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Langzeitfolgen von Corona Post Covid als neue Berufskrankheit

Die Zahl der als Berufskrankheit anerkannten Corona-Fälle steigt rasant. Die ersten Fälle sind zudem an den Genzen des Krankengeldes angekommen. Die Perspektive sind Arbeitslosengeld und Erwerbsminderungsente.
15.07.2022, 19:25 Uhr
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Post Covid als neue Berufskrankheit
Von Timo Thalmann

André Tanski hat seine Berufsgenossenschaft verklagt. Es geht um die Anerkennung seiner Corona-Erkrankung als Arbeitsunfall, denn für den 58-jährigen hat sich das Leben seit seiner Infektion im März vorigen Jahres vollständig verändert. "Ich war sehr sportlich, hab jeden Morgen meine Laufrunde absolviert und jetzt geht mir an manchen Tagen nach wenigen Treppenstufen die Puste aus", erzählt der Handwerker. Auch bei seiner Arbeit als Schmied auf einer Werft war Tanski stets körperlich gefordert. Seit Covid-19 ist das vorbei. Bis heute sorgt die Krankheit bei ihm regelmäßig für einen "kompletten Crash", wie er es nennt. Für zwei bis drei Tage ist er dann kaum handlungsfähig. Kurzatmigkeit, Muskelschmerzen, Brennen in der Brust,  Erschöpfung und Konzentrationsstörungen prägen dann seinen Alltag noch stärker, als ohnehin schon.

Post-Covid-Syndrom nennt man es, wenn die Patienten zwölf Wochen nach der Infektion immer noch Beschwerden haben. Es ist eine neue chronische Erkrankung, die langsam auch in den Sozialsystemen sichtbar wird. Beispiel Berufskrankheit: Für das gesamte Jahr 2020 vermeldet die Statistik des Spitzenverbandes der Deutschen Unfallversicherung bundesweit rund 22.000 Covid-19-Fälle, die von den Berufsgenossenschaften und Unfallkassen als Berufserkrankung oder Arbeitsunfall anerkannt wurden. In diesem Jahr sind es bis Ende Juni schon 82.000 Infektionen von bislang rund 216.000 insgesamt seit Beginn der Pandemie.

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Die Unterscheidung zwischen Corona als Berufskrankheit oder Arbeitsunfall ist eher statistischer Natur. Auf die Leistungen der Versicherung für Reha-Maßnahmen, das sogenannte Verletztengeld als Ersatz fürs Gehalt nach dem Ende der sechswöchigen Lohnfortzahlung, oder gar eine Rente hat es keinen Einfluss. Die Möglichkeit, sich Covid-19 im juristischen Sinne als Berufskrankheit einzufangen, haben ausschließlich Arbeitnehmer, die im Gesundheitsdienst, in der Wohlfahrtspflege oder in einem Laboratorium mit Corona infiziert werden. In diesem Fällen geht man insgesamt von einem erhöhten Kontakt zu Viruserkrankungen aus. Der konkrete Ansteckungsnachweis auf der Arbeit muss nicht unbedingt erbracht werden. In allen anderen Branchen gilt die Infektion als Arbeitsunfall, und für die amtliche Anerkennung möglicher Langzeitfolgen muss der genaue Unfallhergang vorliegen.

Für Tanski heißt das, er muss nachprüfbar angeben, bei wem er sich wann und wo auf der Werft angesteckt hat. "Kann ich auch", ist er sich sicher. Denn wegen einer geplanten Operation seines Sohnes habe sich die Familie im Zeitraum seiner Infektion bereits komplett isoliert, schon als Vorsichtsmaßnahme. "Ich hatte nur auf der Arbeit überhaupt noch Kontakt zu Anderen." Zurzeit kreist der Konflikt um die Frage, ob die Infektion in einer Arbeitspause passiert sein könnte, was Tanski ausschließt.

Bei Nicky Rathje hat die Berufsgenossenschaft seine Post-Covid-Erkrankung inzwischen anerkannt. Als Hausmeister in einem Pflegeheim ist er Arbeitnehmer in der Wohlfahrtspflege. "Das war bei mir trotzdem ein längerer Akt, im Vergleich zu den Kollegen aus der Pflege", sagt der 51-Jährige. Ihn hat das Virus im November 2020 im Rahmen eines Ausbruchs in der Einrichtung erwischt. Aber es brauchte den Nachweis, dass er als Hausmeister regelmäßigen persönlichen Kontakt zu den Bewohnern hatte. Allein seine Tätigkeit in dem Haus reichte nicht aus.

Neben Kämpfen mit der Berufsgenossenschaft berichten beide auch von Schwierigkeiten mit ihren Krankenkassen, die zwar Krankengeld gezahlt haben, aber auch schriftlich oder per Telefonanruf regelmäßig den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben angemahnt haben. "Ich habe mich da ziemlich unter Druck gefühlt", erzählt Rathje. Man habe durch die Erkrankung ohnehin Mühe mit dem Alltag und kaum Kraft für solche Auseinandersetzungen. "Immer wieder muss man seinen Zustand beweisen und ärztliche Befunde schicken." Wegen der langen Krankheitsdauer ist Rathje inzwischen "ausgesteuert", wie es im Fachjargon heißt. Das bedeutet, sein Anspruch auf Kranken- oder Verletztengeld ist nach 18 Monaten vorbei. Aktuell bezieht er Arbeitslosengeld. Die nächste Station wäre die Erwerbsminderungsrente.

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Rathje und Tanski mit ihrer langen Krankheitsdauer sind in dieser Hinsicht ungewollte Pioniere. Noch ist die Zahl der dauerhaft Betroffenen eher niedrig, wie eine Anfrage bei den Krankenkassen ergab. Die Handelskrankenkasse (HKK) meldet bei 523.000 Versicherten aktuell 263, die wegen Post-Covid Krankengeld beziehen, davon sind 64 zwölf Monate oder länger krankgeschrieben. Bei der AOK Bremen gab es laut Sprecher Jörg Hons bei rund 270.000 Versicherten bislang zwei Fälle mit Krankengeld wegen Post-Covid. Ein Patient sei nach fünf Monaten wieder arbeitsfähig gewesen, der andere nach acht Monaten.

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