Frau Paul, am Internationalen Hurentag rücken die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Prostituierten in den Fokus. Wo stehen wir 2023 gesellschaftlich, was die Akzeptanz von Sexarbeiterinnen angeht?
Sagitta Paul: Es gibt noch immer eine Menge zu tun. Sexarbeit wird oft mit Zwangsprostitution gleichgesetzt. Sicherlich gibt es diese problematischen Fälle, aber der Großteil ist davon nicht betroffen und geht dem Beruf freiwillig nach. Es gibt die verschiedensten Gründe, warum sich Menschen für Sexarbeit entscheiden. Der häufigste ist in der Regel der finanzielle Anreiz. Das müssen wir als Gesellschaft akzeptieren, anstatt die Frauen dafür zu verurteilen. Die Corona-Pandemie war zwar auf der einen Seite eine Katastrophe für Sexarbeitende, gleichzeitig war das Thema viel in den Medien präsent und hat dafür gesorgt, dass sich mehr Menschen dafür interessieren.
Wie ist Bremen Ihrer Meinung nach aufgestellt? Was müsste sich verändern, um die Situation von Sexarbeiterinnen zu verbessern?
Es sollte mehr Möglichkeiten für sie geben, aktiv zu partizipieren. Als es kürzlich um den Ausbau der Helenenstraße ging, haben in den entsprechenden Runden viele Bürgerinnen und Bürger gefordert, die Frauen selbst dazu zu hören, was uns sehr gefreut hat. Bremen als Stadt, aber auch wir als Beratungsstelle müssen uns außerdem auf die unterschiedlichen sozialen Milieus einstellen, aus denen die Frauen kommen. Es gibt Frauen, die haben einen Berufs- oder Hochschulabschluss und sich trotz wirtschaftlicher Alternativen für den Job entschieden. Bei anderen ist das Thema Armutsprostitution akut.
Sie haben es eben selbst angesprochen. Die Pandemie hat das Rotlichtmilieu schwer getroffen. Wie gut hat sich die Branche inzwischen erholt und wie sehr leiden Sexarbeiterinnen unter der aktuell hohen Inflation?
Durch die langen Schließungen und das Berufsverbot während der Pandemie sind etliche Arbeitsplätze weggebrochen, einige Betriebe haben diese Zeit nicht überstanden. Das hält bis heute an. Wenn man sich die Internetseiten anschaut, auf denen die Frauen inserieren, sind die Anzeigen deutlich zurückgegangen. Und auch jetzt klagen viele unserer Klientinnen über schlecht laufende Geschäfte und gestiegene Kosten. Viele der gut zahlenden Gäste und Stammkunden bleiben weg. Dadurch entsteht ein hoher Konkurrenzdruck. Gleichzeitig tauchen Kunden auf, die die Situation ausnutzen und die Preise drücken wollen.
Mit was für Anliegen kommen die Frauen zu Ihnen?
Das ist von Person zu Person unterschiedlich, wir decken in unserer Beratung eine große Bandbreite an Themen ab: Wir unterstützen etwa bei der Wohnraumsuche, bei Ämtergängen, bei Migrationsangelegenheiten oder Ausstiegswünschen. Außerdem vermitteln wir bei Bedarf zu anderen Stellen wie der Schuldnerberatung oder zu medizinischen Diensten. Leider ist es noch immer so, dass sich die meisten scheuen, ihre Tätigkeit öffentlich zu machen. Dadurch entfällt etwa die berechtigte Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen. Auch darüber klären wir auf.
Mit der Einführung des Prostituiertenschutzgesetzes 2017 sollten Frauen, die in der Prostitution tätig sind, geschützt und ihre Rechte gestärkt werden. Doch an dem Gesetz gibt es viel Kritik. Der Bundesverband Sexuelle Dienstleistung bemängelt etwa, es diene nur der Repression und Kontrolle. Zwangsprostitution werde dadurch keineswegs verhindert. Wie sehen Sie das?
Das Gesetz sollte dazu dienen, Licht in das Dunkelfeld der Sexarbeit zu bringen. Das kann nicht im vollen Umfang gelingen, weil es nach wie vor Frauen gibt, die ihre Tätigkeit nicht bei den Behörden anmelden. Gerade für die Verhinderung von Zwangsprostitution braucht es mehr. Wir wissen aus der Erfahrung, dass betroffene Frauen sich nicht direkt offenbaren, diese Fälle benötigen Zeit und Vertrauen. Dabei informieren wir über die Beratungsstelle für Betroffene von Menschenhandel und Zwangsprostitution (BBMeZ). Falls gewünscht, begleiten wir die Klientinnen auch dort hin.

Sagitta Paul ist Mitarbeiterin in der Bremer Beratungsstelle Nitribitt.
Es gibt politische Stimmen, die das sogenannte nordische Modell in Deutschland umsetzen möchten. Dieses sieht vor, dass Sexarbeiterinnen sich nicht strafbar machen, deren Freier aber schon. Was halten Sie davon?
Wir lehnen das klar ab. Letztendlich ist die Hauptmaßnahme dieses Modells, die pauschale Kriminalisierung aller Kunden von Sexarbeit. Zwar sollen die Sexarbeiterinnen selbst nicht bestraft werden, dennoch bekommen die Frauen dadurch das Gefühl vermittelt, sie tun etwas, was nicht erlaubt ist, und werden zusätzlich stigmatisiert. Solange es eine Nachfrage gibt, wird es auch einen Markt geben. Ein solches Gesetz würde die Sexarbeit vollständig ins Dunkelfeld verlagern. Dadurch wären die Frauen deutlich weniger geschützt.