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Aktuelle Studie Die meisten Bremer Arztpraxen sind nicht barrierefrei

Stufenfreie Zugänge, höhenverstellbare Liegen, Leitsysteme für Sehbehinderte, induktive Anlage für Hörgeschädigte: Eine Studie bescheinigt Bremer Arztpraxen bei der Barrierefreiheit einen Verbesserungsbedarf.
03.07.2023, 05:00 Uhr
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Die meisten Bremer Arztpraxen sind nicht barrierefrei
Von Sabine Doll

Haus- und Fachärzte in Bremen sollen sich selbst verpflichten, ihre Praxen barrierefrei zu gestalten – dieses Ziel haben SPD, Grüne und Linke im Koalitionsvertrag festgeschrieben. Barrierefreiheit ermöglicht es Menschen mit Behinderungen, sich eigenständig um ihre Gesundheit zu kümmern und Arztbesuche ohne Hürden und fremde Hilfe zu bewältigen – so wie es die UN-Behindertenrechtskonvention vorschreibt. Daran hapert es bundesweit und insbesondere auch in Bremen, wie ein Ländervergleich der Stiftung Gesundheit zeigt.

Während in Berlin 57 Prozent der Praxen über mindestens ein Merkmal der Barrierefreiheit verfügen, sind es in Bremen 40,3 Prozent – also noch nicht einmal die Hälfte. Gemeinsam mit Rheinland-Pfalz (39,8 Prozent) und Bayern (38,8 Prozent) bescheinigt die Stiftung den Arztpraxen in der Hansestadt den größten „Verbesserungsbedarf“.

Große Unterschiede zeigt auch der Blick auf die einzelnen Kategorien für Barrierefreiheit: Bei Vorkehrungen für Menschen mit eingeschränkter Mobilität gehört Bremen ebenfalls zu den Schlusslichtern. Knapp mehr als ein Drittel der Praxen (36,6 Prozent) ist etwa mit Behindertenparkplätzen, stufenfreiem Zugang, rollstuhlgerechten Aufzügen und Praxisräumen, höhenverstellbaren Liegen oder Ähnlichem ausgestattet. In Brandenburg (53,1 Prozent) ist dies in jeder zweiten Praxis der Fall.

„Die meisten Praxen sind nicht vollständig barrierefrei – zumindest nicht für alle betroffenen Gruppen“, stellt die Stiftung fest. Dies trifft besonders auch für Menschen mit Hör- und Sehbehinderungen zu: Hier geht es um Vorkehrungen wie induktive Höranlagen, Terminvergabe per Fax oder online sowie Orientierungshilfen für Sehbehinderte. Bremen zählt in diesen Bereichen zwar nicht zu den Schlusslichtern, mit einem Anteil von 9,6 und 2,3 Prozent ist der Abstand zum Spitzenreiter Sachsen deutlich, dort ist mehr als jede dritte Praxis (je 35,2 Prozent) entsprechend ausgestattet. Am schlechtesten sind Praxen auf Patienten mit kognitiven Einschränkungen eingestellt: Den höchsten Anteil bietet Hessen mit 4,5 Prozent, Schlusslichter sind Bremen und Sachsen-Anhalt mit jeweils 0,6 Prozent. Kriterien sind etwa Informationsmaterial und Internetseiten in Leichter Sprache.

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Bremens Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein kommt zu einem deutlichen Befund: „In Deutschland hat jeder das Recht auf eine freie Arztwahl, für Behinderte ist dies aber eingeschränkt. Die Folgen sind Versorgungsdefizite.“ Ein Problem sei, dass es kein Zertifizierungssystem für Barrierefreiheit in Arztpraxen und anderen Gesundheitseinrichtungen gebe, die Angaben beruhten auf Freiwilligkeit. „Das kann nicht so bleiben.“ Häufig stimmten die Angaben zur Barrierefreiheit auch nicht, wie Betroffene berichteten. „Statt einer Rollstuhlrampe gibt es dann doch Stufen.“ Frankenstein kritisiert zudem, dass es keine gesetzliche Verpflichtung für bestehende Praxen zur Barrierefreiheit gebe.

Beim Neubau einer Praxis müsse diese barrierefrei gestaltet sein, teilt die Kassenärztliche Vereinigung Bremen (KV) mit. Bei Bestandsimmobilien wäre dies aber häufig nur mit einem sehr hohen finanziellen Aufwand möglich. In vielen Fällen sei selbst dies wegen baulicher Gegebenheiten nicht umsetzbar. Die KV weist auch auf den Ärztemangel hin: Ein Grund, dass Praxen nicht an Nachfolger übergeben würden, seien auch hohe Investitionskosten. „Wenn in dieser Situation die Übernahme einer Praxis noch zusätzlich mit der Herstellung der Barrierefreiheit verbunden würde, werden Altbestandspraxen in vielen Fällen nicht mehr übernehmbar und der Aufbau neuer Praxen für Berufseinsteiger kaum noch finanzierbar sein“, erklärt Sprecher Christoph Fox.

Die KV fordert, bei der Ausweisung von Neubaugebieten, konsequent Immobilien zu berücksichtigen, die für Praxen geeignet seien und die Anforderungen an Barrierefreiheit erfüllten. Dies sei etwa in der Überseestadt nicht passiert. Mit dem Landesbehindertenbeauftragten habe die KV zudem eine begrenzte Ausschreibung vorgeschlagen: Modellhaft könnten für die Ausschreibungsgewinner die Kosten der Umrüstung einer bestehenden Praxis übernommen werden. Dazu habe es Gespräche mit der Landesregierung gegeben. „Leider wurde die gemeinsame Initiative nicht aufgegriffen“, so Fox.

„Das Gesundheitswesen muss insgesamt inklusiver werden, dies zeigt auch diese Auswertung zu Arztpraxen“, so Gesundheitssenatorin Claudia Bernhard (Linke). Sie wünsche sich, dass alle Bremerinnen und Bremer die Möglichkeit bekämen, sich ohne Hilfe um ihre Gesundheit zu kümmern. Die Behörde verweist auf das Online-Angebot der KV, das die Suche nach geeigneten Praxen erleichtern könne. Die Angaben basieren auf Selbstauskünften der Praxen.

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