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Rollstuhlfahrerin entsetzt Barrierefreies WC als Abstellkammer? Kritik am Klinikum Bremen-Mitte

Rollstuhlfahrerin Inga Buckland ist entsetzt: Das Klinikum Bremen-Mitte nutzt barrierefreie WCs als Abstellkammer und Personalumkleide. Warum ein Krankenhaus-Sprecher dies als Missverständnis bezeichnet.
02.06.2023, 05:00 Uhr
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Barrierefreies WC als Abstellkammer? Kritik am Klinikum Bremen-Mitte
Von Björn Struß

Es wirkt wie ein schlechter Scherz: Was von außen als barrierefreie Toilette ausgewiesen ist, entpuppt sich nach dem Öffnen der Tür als Abstellraum. Gehhilfen versperren den Weg, an eine Nutzung des WCs ist nicht zu denken. So erlebte es Inga Buckland mehrfach im Klinikum Bremen-Mitte. Die Rollstuhlfahrerin war kürzlich fast jeden Tag im Krankenhaus, um ihre Mutter zu besuchen. "Es ist ein neues Gebäude, in das extrem viel Geld gesteckt wurde. Da müssen die Architekten doch an ausreichend Abstellflächen denken", kritisiert die Bremerin.

In dem 2019 bezogenen Neubau konnte Buckland auf zwei Etagen kaum ihren Augen trauen. Neben der "Abstellkammer" fand sie eine weitere rollstuhlgerechte Toilette, die das Krankenhaus zu einer Umkleide für Mitarbeiter umfunktioniert hatte. Einmal half eine freundliche Krankenpflegerin der 55-Jährigen und räumte das stille Örtchen für sie frei. "An einem anderen Tag hieß es, die Toilette sei nicht für Besucher da. Ich wurde ins Erdgeschoss geschickt und musste dort das WC benutzen", berichtet Buckland. Dabei müsse es doch selbstverständlich sein, dass es auf jeder Etage Besuchertoiletten für Rollstuhlfahrer gibt.

Laut Rolf Schlüter, Sprecher der Gesundheit Nord (Geno) und somit auch für das Klinikum Mitte, beruht dieser Unmut allerdings auf einem Missverständnis. "Auf den Stationen gibt es keine Besucher-Toiletten, auch nicht für Menschen ohne eine Behinderung", betont er. Angehörige könnten grundsätzlich die Patienten-Toiletten mitnutzen, die allesamt barrierefrei seien. "Nahe des Eingangs und in den Wartebereichen gibt es zusätzliche WCs für Besucher, auch barrierefreie", sagt der Geno-Sprecher.

Schlüter räumt allerdings ein, dass auf den Stationen eine eindeutige Beschilderung die Toiletten als nicht-öffentlich kenntlich machen sollte. "Die Räume sollen sicherstellen, dass wir auch Mitarbeiter mit Beeinträchtigungen beschäftigen können. Zudem schaffen sie eine zusätzliche Möglichkeit, um Patienten zu waschen", erläutert der Pressesprecher. Im Klinikalltag sei es den Stationen überlassen, die barrierefreien Toiletten auch für andere Zwecke zu nutzen. Schlüter weiter: "Die Stationen müssen auf ständig neue Anforderungen flexibel reagieren. Im Neubau ändert sich die Nutzung der Räume ständig."

Arne Frankenstein, Behindertenbeauftragter des Landes Bremen, äußert sich zu den Erlebnissen von Inga Buckland trotzdem besorgt: "Dass sich behinderte Menschen für die Nutzung einer barrierefreien Toilette rechtfertigen müssen, zeigt, dass wir auf dem Weg in eine inklusive Gesellschaft noch viel zu tun haben." Er erwartet, dass barrierefreie Toiletten dauerhaft einsatzbereit gehalten werden. Denn von ihnen gäbe es im öffentlichen Raum viel zu wenige.

Auch Buckland, die seit vier Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen ist, sieht in der Verfügbarkeit barrierefreier WCs ein grundsätzliches Problem. Ihre Eindrücke aus dem Klinikum Mitte waren der Tropfen, der dieses Fass zum Überlaufen brachte. "Ich möchte mit meinen Freunden einfach mal ein Restaurant besuchen oder ein Bier trinken gehen, ohne mir Sorgen um die Toilette machen zu müssen", berichtet sie.

Um sich in Bremen frei bewegen zu können, ist die Rollstuhlfahrerin auf ihre Erfahrungswerte angewiesen, wo sie ohne Probleme ein WC nutzen kann. "Im gesamten Viertel sind das gerade einmal zwei Möglichkeiten. Die Restaurants Das Revier und Noras Deli", schildert Buckland. Auf einer Online-Übersicht der Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) sind diese Gastronomien nicht verzeichnet. Bremen.de nennt für das Viertel stattdessen die "Nette Toilette" im Burgerhaus.

Für die Innenstadt sind auf der Karte zehn barrierefreie Toiletten verzeichnet, die öffentlich zugänglich sind. "Viele von ihnen sind aber von den Öffnungszeiten der Gastronomen und Kaufhäuser abhängig", weiß Buckland. Für den Tourismus ist es aus ihrer Sicht ein großes Problem, dass Rollstuhlfahrer in der Böttcherstraße und im Schnoor keine geeignete Toilette finden.

Der Behindertenbeauftragte Frankenstein hat deshalb eine klare Forderung: "Die Verfügbarkeit barrierefreier öffentlicher Toiletten muss dringend flächendeckend im gesamten Stadtgebiet ausgeweitet werden.“ Für Menschen mit schwersten Behinderungen brauche es zudem sogenannte "Toiletten für alle". Diese verfügen über besonders viel Platz, besondere Pflegeliegen und technische Hebehilfen. "Notwendig ist dies bei Menschen, die gewickelt werden müssen oder einen künstlichen Darmausgang haben", erläutert Frankenstein. Bundesweit gäbe es immer mehr Städte, die Toiletten für alle einrichteten. In Bremen fehlten diese Sanitäranlagen hingegen bisher noch im öffentlichen Raum.

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