Daimler hat auf dem Pariser Autosalon das erste reine Elektroauto von Mercedes-Benz präsentiert. Wo es produziert werden soll, ist noch offen. Im Rennen sind alle Standorte, auch Bremen.
Es ist ein trüber Herbsttag in Paris, graue Wolken hängen dicht über der Spitze des Eiffelturms, als an der Porte de Versailles im 15. Arrondissement ein Donnerwetter losbricht. In Pavillon 5 des Pariser Messegeländes verdunkelt sich schlagartig das Licht, blau-silberne Blitze zucken über Video-Wände groß wie Tennisplätze, Bässe grollen ohrenbetäubend aus Surround-Boxen, und wie aus dem Nichts durchdringt ein einzelnes, blau-silber-leuchtendes Fahrzeug die Dunkelheit.
So präsentiert Daimler am Donnerstag auf der Mondial de l’Automobile, der Pariser Auto-Weltausstellung, das erste große und reine Elektrofahrzeug von Mercedes-Benz, den „Generation EQ“. Die Inszenierung ist gigantisch, die Botschaft, die der Autobauer senden möchte, eindeutig: Hier kommt das Licht, dass die dunkle, alte Welt der Verbrennungsmotoren erleuchtet. Hier kommt die Zukunft des Autos, und wenn es nach Daimler geht, dann kommt diese Zukunft aus Stuttgart-Untertürkheim. Nicht aus dem Silicon Valley in Kalifornien, wo Tesla-Gründer Elon Musk schon seit acht Jahren Elektroautos baut und nebenbei an seinem Plan arbeitet, den Mars zu besiedeln.
Elektrofahrzeuge von Mercedes-Benz
Bis zur Präsentation des „Generation EQ“, die Abkürzung steht für „electric intelligence“, also elektrische Intelligenz, hatte sich Daimler monatelang höchst bedeckt gehalten und kaum Informationen zum Fahrzeug preisgegeben. Der Autobauer wollte die große Bühne in Paris nutzen, wo bis zum 16. Oktober mehr als eine Million Besucher erwartet werden und fast alle größeren und kleineren Hersteller vertreten sind. Nun ist klar: Das in Paris gezeigte Auto ist eine Studie, die Vorbild sein soll für eine ganze Serie von Elektrofahrzeugen aus dem Hause Mercedes-Benz.
Der „EQ“ ist ausgestattet mit zwei Elektromotoren, die bis zu 300 Kilowatt leisten sollen, umgerechnet rund 400 PS. Mit maximalem Drehmoment von 700 Newtonmetern soll der Fahrer Tempo 100 in unter fünf Sekunden erreichen. Der „EQ“ ist ein Allrad-Fahrzeug und soll mit einer Ladung bis zu 500 Kilometer weit fahren, die Akkus kommen von der Daimler-Tochter Accumotive aus Kamenz bei Dresden. Als SUV konzipiert, ist der „Generation EQ“ ein Viersitzer.
Rückspiegel sind keine eingebaut, Kameras übertragen die Bilder direkt auf ein großes Touchpad im Cockpit. Überhaupt fehlen Knöpfe und Regler jeder Art, das Interieur wirkt reduziert, futuristisch, kühl. Auch auf einen Frontgrill hat Daimler verzichtet, blaue Leuchtstreifen zeichnen ihn nach. Die futuristische Optik soll Modernität vermitteln, Zukunft, und die soll bei Mercedes-Benz möglichst schnell beginnen. Denn wenn der „Generation EQ“ im Jahr 2019 auf den Markt kommt, wird Tesla sein Konkurrenz-SUV „Model X“ schon vier Jahre lang verkaufen.
2020 soll Marktstart sein
Auftritt Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, grauer Schnäuzer, silberner Haarkranz. Er spricht frei, trägt Jeans und Freizeitschuhe zu blauem Leinensakko, und auch das gehört natürlich zur Inszenierung, soll das neue Gefühl beim Autobauer vermitteln – weg vom Anzug, weg von Konventionellem, hier ist die Zukunft, soll das sagen. „Es geht nicht darum, ob wir in der Marktgeschwindigkeit vorne oder hinten liegen“, sagt Zetsche.
„Wir wollen den zeitlichen Vorteil von Tesla ausgleichen und überkompensieren.“ Zehn verschiedene Daimler-Elektromodelle sollen deshalb bis 2025 auf den Markt kommen, zwischen 15 und 25 Prozent aller verkauften Mercedes‘ sollen dann Elektro-Fahrzeuge sein. Zetsche definiert den Anspruch: „Bis 2025 wollen wir an die Spitze im E-Fahrzeug-Markt.“ Eine Kampfansage an die Konkurrenz.
Dass die ähnliche Ansprüche hat, versteht sich von selbst. Auch Volkswagen präsentiert in Paris eine E-Studie, die rund 500 Kilometer erreichen soll, und legt außerdem seinen elektrisch angetriebenen Golf neu auf – zwar nur mit einer Reichweite von rund 300 Kilometern, dafür aber auch zum Preis eines Diesel-Golfs, wie VW Markenchef Herbert Diess sagt. 2020 soll Marktstart sein. Audi stellte schon im vergangenen Jahr auf der IAA in Frankfurt den e-tron quattro vor, wie Daimlers „Generation EQ“-Studie ein SUV, ebenfalls mit 500 Kilometer Reichweite.
Elektroauto-Pioniere präsentieren sich
Das Fahrzeug soll schon in zwei Jahren auf den Markt kommen. BMW hat mit dem i3 und dem i8 bereits zwei E-Fahrzeuge auf dem Markt und will Mitte 2019 die E-Limousine i5 starten. E-Mobilität, das ist die Quintessenz dieser Pariser Ausstellung, haben fast alle Hersteller im Fokus – sogar Ferrari, die Autobauer haben ihrem Supersportwagen LaFerrari Aperta mit 800 PS einen zarten Elektromotor mit 163 PS spendiert – zusätzlich zum 12-Zylinder-Motor, versteht sich. Und dann ist da ja auch noch Tesla.
Die Elektroauto-Pioniere präsentieren sich in Paris, das muss man so sagen, so sparsam, wie ihre Autos sein sollen. Ein Stand von der Größe der Bühne, die Daimler nur für seinen „Generation EQ“ nutzt, reicht dem Autobauer aus Kalifornien, um seine Modelle „S“ und „X“ zu zeigen. Firmengründer Elon Musk wird gar nicht erst anreisen.
Auf dem Pariser Stand hat Tesla hinter dem SUV mit den ungewöhnlichen hinteren Flügeltüren sein kalifornisches Understatement riesig plakatiert – drei Eigenschaften des „X“ in großen Buchstaben: 613 Kilometer Reichweite, 250 km/h Spitzengeschwindigkeit, in 2,7 Sekunden von 0 auf 100. Werte, die von der Konkurrenz noch unerreicht sind, auch von Mercedes‘ frischem „Generation EQ“.
Bremen will an der neuen Generation teilhaben
„Ich glaube nicht, dass Teslas 100 Kilometer mehr den Markt in zehn Jahren bestimmen werden“, sagt Daimler-Chef Zetsche. Die Entwicklung von Ladeinfrastrukturen und Kundenbedürfnissen seien entscheidend, meint er, auch flexible Produktionsbedingungen. Wo der „Generation EQ“ produziert werden soll, verrät Zetsche überdies noch nicht. Es sei noch nichts entschieden, sagt er. In China ist der E-Fahrzeug-Markt groß, man müsse deshalb auch darüber nachdenken, ob eine Produktion in Europa oder in Asien Sinn mache.
Für das Werk in Bremen käme eine Produktion-Fernost mindestens unerwartet. Dass der E-SUV in Sebaldsbrück gefertigt wird, „davon gehen wir fest aus“, sagt der Bremer Betriebsratschef Michael Peters. Man bereite sich im Werk darauf vor und will teilhaben an der neuen Fahrzeug-Generation. „Wir wollen natürlich als erster Standort Erfahrungen mit der Linie sammeln“, sagt er.
Ob es so kommt, will Daimler in den nächsten Monaten bekannt geben. Bis dahin wartet die Zukunft als silber-blau-leuchtendes SUV ohne Knöpfe und Regler in Pavillon 5 des Mondial de l’Automobile, 15. Pariser Arrondissement. Und ob sie dann zuerst aus Untertürkheim, Sebaldsbrück, Wolfsburg, Ingolstadt, Rüsselsheim, München oder dem Silicon Valley kommt – sie kommt. Die Zukunft hat gerade erst begonnen.