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Landesregierung Zwei Jahre Rot-Grün-Rot – eine Zwischenbilanz

Halbzeit für Rot-Grün-Rot in Bremen: Vor zwei Jahren startete der 25. Senat der Freien Hansestadt um Bürgermeister Andreas Bovenschulte. Eine Einordnung.
14.08.2021, 09:31 Uhr
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Von Sara Sundermann Jörg Niemeyer Nina Willborn Silke Hellwig Jürgen Theiner Florian Schwiegershausen Sabine Doll Jürgen Hinrichs
Inhaltsverzeichnis

Zwei Jahre rot-grün-roter Senat: Am 15. August 2019 kam die Landesregierung um Bürgermeister Andreas Bovenschulte (SPD) ins Amt. Nachdem die rot-grüne Koalition bei der Bürgerschaftswahl drei Monate zuvor ohne Mehrheit geblieben war, einigten sich SPD, Grüne und Linke in mehrwöchigen Koalitionsverhandlungen auf ein Dreierbündnis. Es war die erste Regierungsbeteiligung der Linken in einem westdeutschen
Bundesland.

Welchen Eindruck vermitteln die Senatsmitglieder nach der Hälfte ihrer Amtszeit? Was
haben sie geleistet und welche Herausforderungen warten noch
auf sie? Eine Einschätzung.

ANDREAS BOVENSCHULTE: PRÄSIDENT DES SENATS

Einstand als Krisenmanager  (von Jürgen Theiner)

  • ANSEHEN: Zwei Jahre sind nicht viel Zeit, um sich ein Image als allseits anerkannter Landesvater aufzubauen. Doch Andreas Bovenschulte scheint dies gelungen zu sein. Anfang Juni ergab eine repräsentative Umfrage, dass 66 Prozent der Bevölkerung mit der Arbeit des Rathauschefs zufrieden oder sogar sehr zufrieden sind. Ein stolzer Wert. In seiner eigenen Partei, der SPD, können sie ihr Glück kaum fassen.
    Fraglos hat die Popularität des Bürgermeisters viel mit der Pandemie-Bewältigung und entsprechend hoher medialer Präsenz zu tun, denn Bekanntheit ist nun einmal die Voraussetzung für positive Bewertungen. Aber der Regierungschef hat die Rolle des obersten Krisenmanagers, die ihm qua Amt zufiel, eben auch gut ausgefüllt. Wie er die Entscheidungen des Senats nach außen vertrat, wirkte stets maßvoll, unaufgeregt, souverän. Das kam an.
  • ERFOLGE: Was Bremen während der akuten Phase der Pandemie in eigener Verantwortung tun konnte, wurde weitgehend fehlerfrei getan. Und mehr als das: Bremen führt bei der Impfquote die Bundesländer-Tabelle an. Fachlich geschah dies in Zuständigkeit der Gesundheitsbehörde, die von der Linken Claudia Bernhard geführt wird. Doch Bovenschulte verstand es, das Rampenlicht auf sich zu lenken – die politische Gutschrift erfolgte auf sein Konto.
    Als Erfolg kann der 56-Jährige auch für sich in Anspruch nehmen, die widerstreitenden Interessen in seinem Dreierbündnis aus SPD, Grünen und Linken bisher weitgehend im Zaum gehalten zu haben. Zwar gibt es immer mal wieder Meinungsverschiedenheiten in durchaus wichtigen Fragen wie der Ausweisung von Gewerbegebieten oder der Umgestaltung des Straßenbahnknotens Domsheide, doch ein vorzeitiges Aus für Rot-Grün-Rot wird derzeit bei keinem der Partner ernsthaft erwogen.
  • PROBLEME: Bovenschultes größtes Problem sind die finanziellen Begrenzungen, denen das kleinste Bundesland unterliegt. Irgendwann wird die Pandemie vorbei sein oder zumindest in den Hintergrund treten, und dann werden die Leute fragen: Was hat der Bovenschulte eigentlich konkret erreicht?
    SPD, Grüne und Linke hatten in ihrem Koalitionsvertrag allerhand wünschenswerte Projekte fixiert, von der Verkehrswende über eine Schulbau-Offensive und den Ausbau der Kita-Betreuung bis zur Aufstockung von Polizei und Ordnungsdienst. Das Gesamtvolumen der Maßnahmen liegt bei rund zwei Milliarden Euro. Dieses Geld hat Bremen nicht. Zwar ist man seit Kurzem offiziell kein Haushaltsnotlage mehr, doch das besagt gar nichts.
    Zudem sind die Folgekosten der Pandemie zu schultern. Diese Last wird sich voraussichtlich erst ab 2024 in ihrer vollen Brutalität auswirken, bemerkbar macht sie sich aber schon jetzt. So musste der Senat beispielsweise seinen ehrgeizigen „Wissenschaftsplan 2025“ eindampfen. Der Ausbau der Hochschullandschaft wird sich dadurch verzögern. Und das ist nur der Anfang. Bovenschulte wird die notwendigen Abstriche koalitionsintern moderieren und dann nach außen verkaufen müssen.
  • PERSPEKTIVEN: Andreas Bovenschulte mag zwar erst zwei Jahre Bremer Bürgermeister sein, aber er verfügt aus früheren Funktionen über ein hohes Maß an politischer Erfahrung. Das Rathaus hat er inzwischen zu einer soliden Machtbasis ausgebaut und auch Themen an sich gezogen, die eigentlich in der Verantwortung von Fachressorts angesiedelt sind, beispielsweise die Innenstadtgestaltung und der perspektivische Umzug von Teilen der Uni an den Brill. Wenn diese Projekte klappen – gut für den Bürgermeister. Wenn nicht, werden die Fehlschläge auch mit seinem Namen verbunden sein. 
    Andreas Bovenschulte spielt mit hohem Einsatz.

MAIKE SCHAEFER: KLIMASCHUTZ, UMWELT, MOBILITÄT, STADTENTWICKLUNG

Klare Vorstellungen trotz Gegenwind  (von Silke Hellwig)

  • ANSEHEN: In der eigenen Partei ist Maike Schaefers Ruf im Grunde untadelig. Sie füllt ein Schlüsselressort für grüne Ziele und Ideale aus, das gilt nicht nur für Umwelt- und Klima-, sondern auch für Verkehrs- und Baupolitik. Da Schaefer zum einen das Naturell einer Kämpferin hat und zum anderen grüne Ideale eisern durchzuboxen bereit ist, ist ihr die Anerkennung der Basis gewiss. Auch den Kollegen im Senat oder in der Behörde gebricht es nicht an Respekt. Hier und da kommt es offenbar zu Reibereien, unter anderem mit Wirtschaftssenatorin Kristina Vogt. Die Schnittmenge der Arbeitsbereiche von Vogt und Schaefer ist relativ groß.
    Anders sieht es in der Bevölkerung und bei anderen Interessenvertretungen aus, insbesondere Maike Schaefers Verkehrspolitik stößt nicht nur auf Gegenliebe. Die Kosten des Verkehrsexperiments Martinistraße – 1,3 Millionen Euro – leuchten nicht jedem ein. Am erklärten Ziel einer autofreien oder -armen Innenstadt reiben sich Einzelhändler und die Handelskammer. Eine Senatorin der Herzen ist Maike Schaefer nicht. Zu vermuten ist, dass sie das offiziell auch nicht sein will, insgeheim aber schon.
    Schaefer tritt ein schweres Erbe an: Ihre grünen Vorgänger Joachim Lohse (2011 bis 2019) und Reinhard Loske (2007 bis 2011) eckten bereits an. Joachim Lohse legte sich unter anderem mit Platanenschützern in der Neustadt an. Reinhard Loske und Bremen wurden nie richtig warm miteinander. Maike Schaefers großes Plus: Sie ist kein politischer Import, sondern in Bremen bestens vernetzt.
  • ERFOLGE: Nicht als Person, aber als Politikerin polarisiert Maike Schaefer. Bestes Beispiel sind die Verkehrspläne für die Innenstadt, die sie zielstrebig vorantreibt. Nicht anders sieht es bei den Radpremiumrouten aus: Für Radfahrer ist es von Vorteil, wenn der Wall zur Einbahnstraße wird, für Anwohner eher lästig. Maike Schaefer wird, wenn alles gut geht, bis zur nächsten Wahl noch eine Reihe roter Bänder durchschneiden können. Für die Eröffnung der verlängerten Bahnlinien 1 und 8 wird es nicht ganz reichen (für 2024 geplant), für den Ringschluss der Stadtautobahn 281 auch nicht – aber es tut sich was. Den Zentralen Omnibusbahnhof wird sie eröffnen können, ebenso wie zentrale Stadtentwicklungsprojekte vom Tabakquartier bis zur Überseeinsel.
  • PROBLEME: Maike Schaefer hat es nicht leicht, als Bürgermeisterin zu glänzen. Zum einen ist da das Thema Corona-Krise, das Aufmerksamkeit und Engagement bindet. Die Bürgermeisterin steht im Schatten des SPD-Bürgermeisters, der die Repräsentation des Senats in der Corona-Krise eher für sich allein beansprucht. Die Stimmung zwischen den beiden gilt als freundlich, nicht aber freundschaftlich. Maike Schaefers Stärke ist ihre Schwäche: ihre Kompromisslosigkeit, die gelegentlich an Verbissenheit grenzt. Ihre Verteidigung von Klimaprotest-Aktionen wurde missverstanden. Zur Erwägung, die Straßenbahn aus der Obernstraße zu entfernen, stellt sich Schaefer dickköpfig quer, statt wenigstens eine Probephase zu ermöglichen (was bei der Martinistraße möglich ist).
  • PERSPEKTIVEN: Selbst wenn sie es nicht zugeben würde, Maike Schaefer will einerseits als Bürgermeisterin neben Bovenschulte wahrgenommen und auch von den Bremerinnen und Bremern anerkannt und gemocht werden, die mit den Grünen nicht so viel am Hut haben. Das könnte gelingen, wenn sie die Menschen umwerben würde, die skeptisch oder gar ablehnend sind. Bislang macht sie mit Bemühungen, Kontrahenten einzubinden oder zu umgarnen, nicht von sich reden.

KRISTINA VOGT: SENATORIN FÜR WIRTSCHAFT, ARBEIT UND EUROPA

Die Pragmatikerin (von Jürgen Hinrichs)

  • ANSEHEN: Da kommt das linke Schreckgespenst, eine Antikapitalistin, die ihre festen Überzeugungen hat und keine Kompromisse kennt. Ideologisch wird sie auf Kurs sein, klar, eine Frau der Partei. Das waren etwas überspitzt die Gedanken, als das Wirtschaftsressort von den Linken übernommen wurde. Seitdem sitzt Kristina Vogt im Haus an der Schlachte; nach 19 Vorgängern während der Nachkriegszeit ist sie die erste Frau in dem Amt.
    Vogt, um es kurz zu machen, hat die Erwartungen in erfreulicher Weise enttäuscht. Für sie gilt nicht das Parteiprogramm, sondern Pragmatismus. Die Unternehmen im Land, auch die Handelskammer, haben das schnell gemerkt und zu schätzen gelernt. Die Senatorin vertritt ihre Positionen, das schon, und nimmt dabei stark die Arbeitnehmerinteressen in den Blick. Aber, so das Urteil: Mit der kann man reden.
  • ERFOLGE: Vogt ist dort, wo die Menschen sind – eine ehemalige Kneipenwirtin, die weiß, welche Tonlage sie wählen muss, um gehört zu werden. Das ist schon mal ein Pfund. Sie hatte in den vergangenen zwei Jahren auch sonst ihre Bühne, bundesweit als Vorsitzende der Wirtschaftsminister-Konferenz, bei der es zuletzt in erster Linie um die Überbrückungshilfen wegen Corona ging.
    Die Senatorin profilierte sich mit ihrem Engagement für den Ausbildungsmarkt, sie kämpfte erfolgreich für die Tarifbindung in Unternehmen und setzte sich für die Wasserstoffwirtschaft ein. Das Energiethema der Zukunft soll in Bremen ein Schwerpunkt werden. Und sie verstand es geschickt, in verschiedenen Bereichen Fördergelder einzustreichen. Zuletzt warb Vogt mit ihren Länderkollegen beim Bund für einen 500-Millionen-Euro schweren Topf zur Unterstützung der darbenden Innenstädte.
  • PROBLEME: Komplett verhoben hat sich die Wirtschaftssenatorin im Bremer Bordell-Streit. Vogt stellte die Gewerbefreiheit in den Vordergrund, während der restliche Senat die Gefahr sah, dass Gruppen der organisierten Kriminalität das Geschäft mit der Prostitution übernehmen. Die Senatorin forderte von der Innenbehörde Beweise für diesen Verdacht, setzte sogar eine Frist. Nun ist sie, auch nach Druck aus ihrer Partei, zurückgerudert und hat angekündigt, mit den anderen Ressorts eine gemeinsame Linie zu suchen.
    Noch offen ist, ob sich Vogt bei der Ausweisung neuer Gewerbeflächen durchsetzen wird. Der grüne Koalitionspartner ist dagegen und setzt auf Nachverdichtung bestehender Gebiete. Unklar auch, wie die Senatorin bei der Innenstadtentwicklung Impulse setzen will. Mit den wenigen Pop-up-Stores ist das nur leidlich gelungen, mit dem Programm für die Nebenstraßen in der City bislang gar nicht. Da fehlen entschieden noch die großen Linien.
  • PERSPEKTIVEN: Kristina Vogt kann mit ihrer Arbeit zufrieden sein, sie bekommt viel Zustimmung aus der Bevölkerung, ist beliebt. Doch was hilft ihr das, wenn die Linken in Bremen trotz ihrer im Ganzen sehr soliden Leistung in den Umfragen abschmieren? Zuletzt lag die Partei bei deutlich unter zehn Prozent, wobei sicherlich der Bundestrend eine große Rolle gespielt hat. Vogt kann also alles andere als sicher sein, ihren Sitz im Senat nach der nächsten Wahl zu behalten.

CLAUDIA BOGEDAN/SASCHA AULEPP: KINDER UND BILDUNG

Ein Kraftakt folgt dem nächsten  (von Sara Sundermann)

  • ANSEHEN: Kurz vor Ende der ersten Halbzeit der Koalition trat Bildungssenatorin Claudia Bogedan (SPD) zurück. Und schilderte im Anschluss in einem "Spiegel"-Interview, sie habe in der Pandemie oft eine Politik machen müssen, hinter der sie nicht stehe. Bei überhasteten Entscheidungen habe man die Menschen nicht mitnehmen können. Bei Bremer Bildungspolitikern, Wirtschafts- und Elternvertretern erntete Bogedans Pandemie-Politik durchaus Anerkennung, im eigenen Haus und von Vertretungen der Schulbeschäftigten bekam sie teils starken Gegenwind.
  • ERFOLGE: Bogedan trieb den dringend benötigten Schul- und Kita-Ausbau stark voran. 1200 Kita-Plätze wurden in dieser Legislatur geschaffen. Weil die Zahl der Kinder steigt, fehlten zuletzt aber weiter Plätze. In der Pandemie setzte Bogedan auf möglichst viel Öffnung von Kitas und Schulen, was Befürworter lobten und Gegner als „Durchseuchungspolitik“ kritisierten.
  • PROBLEME: Die Opposition bescheinigte Bogedan nach ihrem Rücktritt, sie sei zwar angetreten, die Bildungsqualität zu verbessern, habe dabei aber versagt. Angesichts der dramatischen Leistungen von Bremer Schülern besonders in Brennpunkten, die sich jüngst erneut in Bildungstests zeigten, dürfte bessere Bildungsqualität eines der wichtigsten Ziele für ihre Nachfolgerin Sascha Aulepp werden.
  • PERSPEKTIVEN: Der Schul- und Kita-Ausbau ist unterdessen keinesfalls abgeschlossen, sondern geht in die nächste Runde. Hinzu kommt der Ganztagsausbau als weiterer Kraftakt, den Aulepp schultern muss.

CLAUDIA BERNHARD: GESUNDHEIT, FRAUEN UND VERBRAUCHERSCHUTZ

Unaufgeregt in schweren Zeiten  (von Sabine Doll)

  • ANSEHEN: Unaufgeregt, sachbezogen und auf Fachlichkeit vertrauend – mit diesen Attributen wird Claudia Bernhard (Linke), Senatorin für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz, in ihrer Behörde und auch parteiübergreifend beschrieben. Grund für mehr Aufgeregtheit hätte sie durchaus, denn die Fachpolitikerin für Arbeit, Bau, Wohnen, Frauen und Landwirtschaft – für diese Themen war sie vor der Bürgerschaftswahl Sprecherin ihrer Fraktion – hatte vom Start weg einen Krisen-Job: Zuerst der wirtschaftlich angeschlagene Klinikverbund Gesundheit Nord (Geno), dann die Corona-Pandemie, in der das Gesundheitsressort Dreh- und Angelpunkt ist.
  • ERFOLGE: Bremen ist bei der Impfkampagne eines der effektivsten und schnellsten Bundesländer – das Gesundheitsressort hat neben den stationären Impfzentren von Beginn an auf mobile Impfteams und Beratung vor Ort gesetzt. Zuerst in den Pflegeheimen und dann in den Stadtteilen, vor allem auch in benachteiligten Quartieren. Mit knapp über 67 Prozent vollständig Geimpften (Stichtag: 13. August) führt Bremen die Länderliste deutlich an.
    Corona hat andere Themen und Vorhaben überlagert. Ein Projekt, der zunächst provisorische Drogenkonsumraum, wurde umgesetzt. Ab 2022 wird daraus eine finanziell abgesicherte und ausgeweitete Einrichtung in der Nähe des Bahnhofs. Ein anderes Vorhaben: Projekte im Zuge der Istanbul-Konvention bekommen eine finanzielle Förderung. So wird etwa ein Betroffenen-Beirat eingerichtet, in den Frauen mit Gewalterfahrung als Beraterinnen eingebunden sind.
  • PROBLEME: Neben der Pandemie bleibt die Geno eine Dauerbaustelle, Bernhard ist Vorsitzende des Aufsichtsrates des städtischen Klinikverbunds. Das jährliche Defizit der Geno liegt im zweistelligen Millionenbereich. Die Geschäftsführung will daher in den kommenden Jahren rund 440 Arbeitsplätze abbauen. Dafür wird Bernhard hart von ihrer Partei angegriffen, die linke Gesundheitssenatorin aber muss verhindern, dass die Geno in die Insolvenz rutscht. Aus der Opposition in die senatorische Behörde bedeutet, sich solchen Sachzwängen aussetzen zu müssen.
  • PERSPEKTIVEN: Die Hauptlast der Pandemie-Bewältigung liegt weiterhin auf dem seit Jahren personell unterbesetzten Gesundheitsamt. Für die nächsten fünf Jahre werden Bundesmittel helfen, das Amt besser aufzustellen. Bernhards Job ist es, im Senat dafür zu werben, dass das Land für die finanziellen Mittel darüber hinaus sorgt. Ein weiteres, drängendes Thema ist der Auf- und Ausbau von Projekten zur Gesundheitsförderung in benachteiligten Quartieren, zum Beispiel Zentren.

ULRICH MÄURER: INNERES

Keine Angst vor Streit  (von Nina Willborn)

  • ANSEHEN: Von Altersmilde keine Spur beim Senior des Senats. Ulrich Mäurer (SPD), der vor Kurzem seinen 70. Geburtstag feierte, steht auch in seinem 13. Jahr als Innensenator für den Kurs „klare Kante“. Wenn ihm ein Thema wichtig ist, scheut er kein Risiko und auch keinen Streit, weder mit Granden der Stadt noch Senatskollegen: Nach seinem Sieg gegen die Deutsche Fußball Liga im Streit um die Polizeikosten bei Werder-Heimspielen ist das jüngste Beispiel die Auseinandersetzung mit der Wirtschaftssenatorin beim Thema „Eros 69“. In Umfragen zur Beliebtheit Bremer Politiker belegt Mäurer seit Jahren vordere Plätze.
  • ERFOLGE: Der Kampf gegen die organisierte Kriminalität kommt derzeit auf Basis der Enchro-Chat-Datensätze voran, der Bremer Verfassungsschutz beobachtet den AfD-Nachwuchs und hat seit Mai auch die Gruppierung „Querdenker421“ im Blick. Als sinnvoll erwiesen hat sich der Ordnungsdienst, der die Polizei entlastet und dessen Ausbau im neuen Haushalt finanziell hinterlegt ist.
  • PROBLEME: In Brand gesetzte Fahrzeuge, Anschläge auf Reviere, Übergriffe auf Beamte – gegen die zuletzt häufiger zu beobachtende Gewalt gegen Einsatzkräfte und ihre Einrichtungen hat Mäurer bislang keine Handhabe gefunden. Abzuwarten bleibt auch, ob die Steigerungen unter anderem beim Personal der Polizei – jährlich sollen dort bis zu 225 Nachwuchskräfte eingestellt werden – für die auch durch Corona gestiegenen Aufgaben ausreichen.
  • PERSPEKTIVEN: Ob von rechts, links, von Querdenkern, Reichsbürgern oder sonstigen Gruppierungen – die Bekämpfung des Extremismus jedweder Richtung wird ein wichtiges Thema für den Innensenator bleiben. Ebenso die Sicherheit und Sauberkeit nicht nur in der Innenstadt. Auf überregionaler Ebene hat Mäurer mit den Glücksspielanbietern schon den nächsten großen Gegner im Visier. Offen ist, ob er zur Bürgerschaftswahl 2023 noch einmal antritt.

ANJA STAHMANN: SOZIALES, JUGEND, INTEGRATION UND SPORT

Engagiert für die Schwachen  (von Jürgen Theiner und Jörg Niemeyer)

  • ANSEHEN: Es ist schwer bis unmöglich, in Bremen jemanden zu finden, der über Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) schlecht redet. Über die Parteigrenzen hinweg hat die gebürtige Bremerhavenerin einen guten Ruf. Das dürfte vor allem an ihrer Fähigkeit liegen, engagiert, aber stets fair zu diskutieren. Stahmann wirkt integrierend, sowohl im Senat als auch in ihrer Partei.
  • ERFOLGE: Aktuell existiert kein großes Leuchtturm-Projekt, aber ein ganzes Bündel an Maßnahmen, die vorangebracht oder abgeschlossen wurden: im Sportbereich unter anderem die Erhöhung der Übungsleiterpauschale und eine gesicherte Sockelfinanzierung für die Quartierszentren. Kontinuierlich wurden zudem die Mittel für neue Spielplätze erhöht.
  • PROBLEME: Es gibt Baustellen, nicht nur im übertragenen Sinne. Das Bäderkonzept mit diversen Um- und Neubauten ist eine der größeren. Der Ersatzbau für das marode Westbad kommt nicht voran. Dieses Projekt hat seit Planungsbeginn nur mit Preissteigerungen auf sich aufmerksam gemacht.
  • PERSPEKTIVEN: Wie ihren Vorgängerinnen fällt es auch Anja Stahmann schwer, das Ausgabenwachstum zu zügeln. 2016 durchbrach der Sozialetat erstmals die Milliardengrenze. 2022 wird er in der Stadt wohl um 3,4 Prozent über dem aktuellen Niveau liegen, im Land sogar um 6,8 Prozent. Gelingt es nicht, die Transferausgaben einzudämmen, geht das zulasten notwendiger Zukunftsinvestitionen.

DIETMAR STREHL: FINANZEN

Auf schwankenden Planken  (von Jürgen Theiner)

  • ANSEHEN: Unprätentiös, pragmatisch, lösungsorientiert – das sind Adjektive, die sich mit Bremens Kassenwart Dietmar Strehl (Grüne) verbinden. Sein kollegialer Stil wird allenthalben geschätzt. Allerdings verfügt der Finanzsenator nicht über das politische Gewicht seiner Vorgängerin Karoline Linnert, die in der grünen Partei eine tragende Rolle spielte. Im Linnert-Stil einen amtierenden Bürgermeister „auf den Pott“ zu setzen, wenn dieser – unabgestimmt – ausgabenwirksame Wahlgeschenke ankündigt, käme für Strehl nicht infrage.
  • ERFOLGE: Bremen in der Corona-Krise finanzpolitisch handlungsfähig gehalten zu haben, ist ein Verdienst, das Strehl zumindest teilweise auf sein Konto buchen kann. Handwerklich macht Strehl, der vor seiner Senatorenzeit schon acht Jahre als Staatsrat im Finanzressort diente, keiner etwas vor.
  • PROBLEME: Bremens Finanzen fahren Achterbahn. Nach Jahren kräftig sprudelnder Steuereinnahmen kam mit Corona 2020 der Einbruch, und es ist unklar, wie schnell und wie nachhaltig die Erholung sein wird. Auf solch schwankenden Planken lässt sich schlecht arbeiten.
  • PERSPEKTIVEN: Den schwersten Brocken hat der 65-Jährige noch vor sich: Gegen Ende seiner Amtszeit wird Dietmar Strehl den Haushalt 2024/25 zumindest vorbereiten müssen, und dabei erscheinen harte Einschnitte unvermeidlich. Ein Notlageninstrument wie der kreditfinanzierte, auf die Corona-Folgen bezogene „Bremen-Fonds“ ist dann nicht mehr verfügbar. Insider sehen bereits eine „Abbruchkante“ für die bremischen Finanzen.

CLAUDIA SCHILLING: HÄFEN, WISSENSCHAFT UND JUSTIZ

Drei Ressorts mit vielen Baustellen  (von Florian Schwiegershausen)

  • ANSEHEN: Bei den Koalitionsverhandlungen bestand ein Zugeständnis der Linken an die SPD, dass diese als Ressort die Politikbereiche Häfen und Flughafen behalten durfte. Doch gerade hier überlässt Claudia Schilling (SPD) als Senatorin auffällig oft ihrem Staatsrat Tim Cordßen-Ryglewski (SPD) das Feld, der in vielen Bereichen auch mehr im Thema zu sein scheint. Auch wenn Claudia Schilling selbst aus Bremerhaven ist, reicht das allein noch nicht als Kompetenz. Am ehesten ist die frühere Direktorin des Amtsgerichts Geestland im Thema Justiz firm. Dafür, dass sich die Sozialdemokratin für ihre drei Ressorts gleich zwei erste Pressesprecher leistet, kommt zu wenig in der Öffentlichkeit an. Einen Sprecher hat sie bereits verschlissen.
  • ERFOLGE: Viele Projekte, die im Ressort angeschoben wurden, sind noch nicht abgeschlossen.
  • PROBLEME: Es gibt mehrere Baustellen: Flughafen und Häfen brauchen kräftig Investitionen. Bei den in die Jahre gekommenen Uni-Gebäuden hat die Renovierung gerade erst begonnen. Die Ausgestaltung des Uni-Etats birgt Streitpotenzial. Bei einem tragfähigen Zukunftskonzept für die Jacobs University läuft Schilling die Zeit davon. Ehrlicherweise ist zu erwähnen, dass die Senatorin viele Schwierigkeiten von ihren Vorgängern geerbt hat.
  • PERSPEKTIVEN: Claudia Schilling könnte als Wissenschaftssenatorin in Erinnerung bleiben, in deren Ära das Aus für die Jacobs University fiel. Wenn sie die Uni noch retten möchte, muss sie da auch gegen Strömungen in ihrer Partei ankämpfen. Damit könnte sie ihr Profil schärfen.
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