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CO2-freie Wärmeversorgung SWB plant Pilotprojekt für das klimaneutrale Bremen

Die Vordere Neustadt in Bremen soll Schauplatz eines Pilotprojekts zur klimaneutralen Wärmeversorgung werden. Ab 2028 könnte es Realität werden. Unter anderem soll Abwärme von Gewerbebetrieben genutzt werden.
17.02.2024, 05:00 Uhr
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SWB plant Pilotprojekt für das klimaneutrale Bremen
Von Jürgen Theiner

Wie kann die Energiewende konkret im Alltag ankommen, damit Bremen zum Ende des kommenden Jahrzehnts klimaneutral wird? Der örtliche Energieversorger SWB will mit einem Pilotprojekt in der Vorderen Neustadt zeigen, wie es geht. Fachleute des Unternehmens erarbeiten zurzeit eine Machbarkeitsstudie für einen Bereich, der das Gebiet zwischen Weser, Flüsseviertel und B6 umfasst, außerdem den nordwestlichen Teil des Stadtwerders. Das Konzept setzt auf eine Mischung aus Abwärmenutzung, Geothermie und Wärmegewinnung aus dem Wasser der Weser.

Ausgangspunkt der Überlegungen ist die Klimaschutzstrategie des Senats. Sie strebt eine Reduzierung des Bremer CO2-Ausstoßes auf null bis 2038 an. Diese Zielmarke war auch im Abschlussbericht der Klima-Enquetekommission der Bürgerschaft enthalten, sie wird also über die Parteigrenzen hinweg von der Politik getragen. Zwischenzeitlich hat der ­Senat eine kommunale Wärmeplanung in Auftrag gegeben. Sie soll 2025 vorliegen und unter anderem darstellen, wo im Stadtgebiet Nah- und Fernwärmesysteme aufgebaut werden sollen und in welchen Gebieten die Wärmeversorgung eher in der einzelnen Immobilie klimaneutral umgestellt werden muss.

Die SWB will ihre Wärmeversorgungsangebote schon 2035 auf CO2-freie Energieträger umgestellt haben. Das Pilotprojekt in der Neustadt wäre vor diesem Hintergrund „eine Blaupause, um das später auszuweiten“, sagt Projektleiterin Andrea Wesser. Sie ist „Leiterin Quartiersentwicklung bei der Vertriebsgesellschaft SWB Services. Erste Erfahrungen mit dem Aufbau umweltfreundlicher Heizsysteme hat das Unternehmen bereits im Woltmershauser Tabakquartier und auf dem nahen Gewerbeareal „Spurwerk“ in der Nähe des Neustadtsbahnhofs gemacht. Genauer: Man ist gerade dabei. Im Tabakquartier installiert das Unternehmen Wärmepumpen, die dem Abwasser Energie entziehen, im Gewerbegebiet kommen Luftwärmepumpen zum Einsatz.

Die Planung für einen sehr viel größeren innerstädtischen Raum mit Bestandsbebauung und mehreren Tausend Haushalten ist dann doch eine andere Nummer. „Wir reden hier von einem riesengroßen Projekt“, unterstreicht Wesser. Im Einzugsbereich des Pilotprojekts ist ein Energieverbrauch von jährlich 120 Gigawattstunden zu ersetzen, der bisher noch mit Erdgas gedeckt wird. Neben den zahlreichen Privathaushalten sind dort auch große Gewerbebetriebe wie die Brauerei­ Inbev und der Kaffeeröster Azul ansässig, daneben das Rotes-Kreuz-Krankenhaus, die Hochschule und der Martinshof. Für die geplante Bebauung auf dem ehemaligen Hachez-­Gelände muss ebenfalls eine innovative ­Lösung her.

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Bei Unternehmen wie Azul fällt in der Produktion viel Prozesswärme an, die bisher teilweise ungenutzt bleibt. „Die SWB kam auf uns zu und fragte, ob wir bereit wären, diese Energie in das Projekt einzubringen“, sagt ein Sprecher des Kaffeerösters, der seit 1958 an der Straße Am Deich ansässig ist und rund 120 Mitarbeiter beschäftigt. Die Antwort: grundsätzlich ja. Es spreche nichts dagegen, die Abwärme der Röstanlagen für ein Projekt zur klimaneutralen Energieversorgung der Vorderen Neustadt zur Verfügung zu stellen. Man sei gegenwärtig in guten Gesprächen, in denen es um technische Details gehe – unter anderem um die Frage, wo die durchaus voluminösen Wärmetauschanlagen untergebracht werden könnten. Wenn ein „Mehrwert für die Stadt“ entstehe, sei Azul gern dabei.

Eine weitere Quelle der Wärmegewinnung soll die Weser werden – so merkwürdig das klingen mag, wenn der Fluss aktuell nur einstellige Temperaturen aufweist. Aber selbst unter solchen Umständen lässt sich dem Gewässer noch Wärme entnehmen. Das Prinzip geht so: Die Energie wird mittels Wärmetauscher an ein Kältemittel übertragen, das verdampft. Ein Kompressor verdichtet diesen Dampf und erhöht so die Temperatur. Die Wärme des Kältemitteldampfs wird dann auf das Wasser in einem Heizkreislauf übertragen. Als drittes Element des künftigen Versorgungssystems für die Vordere Neustadt gilt die Geothermie, also die Nutzung von Wärme in tieferen Erdschichten.

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Einige offene Fragen gibt es weiterhin. So muss zum Teil auf Privatgrundstücken Platz gefunden werden, um dort technische Infrastruktur unterzubringen. Auch ist noch nicht abschließend geklärt, wo in den teils eng bebauten Straßen die notwendigen Nahwärmeleitungen verlegt werden können. Aber das sind keine unüberwindbaren Hindernisse. Ohnehin ist nicht vorgesehen, ausnahmslos alle Haushalte und sonstigen Verbraucher anzuschließen. Die SWB geht von etwa der Hälfte aus. Es handele sich um ein Angebot ohne Nutzungszwang, betont das Unternehmen.

Die Machbarkeitsstudie soll bis Ende des Jahres fertig sein. Weitere vier bis sechs Jahre einer vertieften Planung würden sich anschließen, sodass zwischen 2028 und 2030 in die Realisierung eingestiegen werden könnte.

Umweltsenatorin Kathrin Moosdorf (Grüne) steht dem Projekt nach eigenen Worten „überaus offen gegenüber“. Ihr Haus prüfe derzeit, welche öffentlichen Flächen dafür zur Verfügung gestellt werden könnten. Das geplante Nahwärmenetz kann nach Moosdorfs Einschätzung „einen wichtigen Beitrag leisten, um die Wärmewende in Bremen umzusetzen und die Wärmeversorgung in den betreffenden Gebieten klimafreundlich zu gestalten“. Ein Vorbehalt gelte allerdings: Bei der Installation der Anlagen und der Verlegung der Leitungen dürften keine Bäume und Grünanlagen geschädigt werden.

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