Unter dem Motto "Komm, lass uns wählen gehen!" verbreitete der Senat im August 2021 eine Pressemitteilung der Landeszentrale für politische Bildung. Mit dem Projekt "Wahlscouts" sollten Menschen in Stadtteilen mit chronisch schwacher Wahlbeteiligung ermuntert werden, bei der damals anstehenden Bundestagswahl ihr Kreuz zu machen. Doch schon nach der ersten von zwei Wochen wurde das Projekt auf Geheiß des Bremer Innenressorts abrupt gestoppt – das Bundesinnenministerium hatte rechtliche Bedenken erhoben. Nun könnte die Angelegenheit beim Staatsgerichtshof landen.
Die Vorarbeiten dafür seien abgeschlossen, sagt Thomas Köcher, Leiter der Landeszentrale. "Aktuell erfolgt noch eine juristische Prüfung." Die Behörde von Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) begründet den möglichen Gang vor das Bremer Verfassungsgericht mit der Beseitigung von Rechtsunsicherheiten. Bevor das Projekt bei künftigen Wahlen noch einmal aufgelegt wird, sollte "die Frage der rechtlichen Zulässigkeit vom Staatsgerichtshof geprüft werden", sagt Ressortsprecherin Rose Gerdts-Schiffler. Theoretisch könnte die behördliche Prüfung aber auch zu dem Ergebnis kommen, den Staatsgerichtshof nicht einzuschalten. Wann die Entscheidung darüber fällt, ist derzeit nicht abzusehen.
Von einem Streit mit der Innenbehörde will Köcher nicht sprechen. Es gebe unterschiedliche Rechtsauffassungen, sagt der Chef der Landeszentrale für politische Bildung. "Mit dem Wahlscouts-Projekt wollen wir die Leute dort abholen, wo sie leben." Der Grundgedanke: Jeweils zwei Wahlscouts informieren direkt an der Haustür über das Wahlrecht, ohne eine Wahlempfehlung auszusprechen.
Gegen neue Ideen zur Erhöhung der Wahlbeteiligung hat die Innenbehörde nach eigener Angabe prinzipiell nichts einzuwenden. Wahlen müssten aber ordnungsgemäß durchgeführt werden, damit ihre Anerkennung anschließend nicht infrage gestellt werden könne, sagt Gerdts-Schiffler. "Zumal das Wahlrecht keine Wahlscouts kennt." Uneins ist man sich laut Projektleiterin Lisa Peyer von der Landeszentrale darüber, ob die Wahlscouts auch in Stadtteilen mit hoher Wahlbeteiligung eingesetzt werden müssen.
Als Pilotprojekt gingen die Wahlscouts bei der Bürgerschaftswahl 2019 an den Start. Damals in Gröpelingen, wo vier Jahre zuvor gerade mal 37,3 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme abgegeben hatten. Ausgestattet mit Musterstimmzetteln und Basisinformationen zum Wahlrecht klopften die Wahlscouts eine Woche lang täglich an 250 bis 300 Haustüren. Fazit: Häufig seien Unsicherheiten in Bezug auf den Wahlgang und die Stimmabgabe der Grund gewesen, nicht zur Wahl zu gehen.
Bei der Bundestagswahl 2021 wurden die Wahlscouts auch in Berlin aktiv, die Federführung lag bei der Bremer Landeszentrale für politische Bildung. In anderen Bundesländern stießen die Wahlscouts ebenfalls auf Interesse. Gefördert wurde das Projekt von der Bundeszentrale für politische Bildung – und dem Bundesministerium des Innern. Mithin vom selben Ministerium, das später Bedenken hatte. In Bremen sei der Einsatz der Wahlscouts daraufhin "vorsorglich abgebrochen" worden, sagt Ressortsprecherin Gerdts-Schiffler.
Dass die Bremer Landeszentrale darüber alles andere als glücklich war, geht aus dem Jahresbericht von 2021 hervor. "In Berlin erfolgte die Beendigung trotz einer deutlich anders argumentierenden Stellungnahme des Rechtsreferats der Bildungsverwaltung", heißt es dort. Nun befürchtet Köcher, das juristische Tauziehen könnte negative Auswirkungen auf die gesamte politische Bildungslandschaft haben. Sein Wunsch: eine Vorlage für den Staatsgerichtshof noch in diesem Jahr. "Dessen Spruch hätte dann auch über Bremen hinaus Bedeutung."