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Bürgerbeteiligung in Osterholz Klinkenputzen für mehr Wahlbeteiligung

Der Osterholzer Beirat sucht nach Wegen, damit sich mehr Menschen im Stadtteil am Gemeinschaftsleben beteiligen. Einige Hinweise, wie das gelingen kann, gab der bekannte Politologe Lothar Probst.
22.02.2024, 09:00 Uhr
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Klinkenputzen für mehr Wahlbeteiligung
Von Christian Hasemann
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Die Osterholzer Beiratssitzungen sind in der Regel gut besucht. Die ehrenamtliche Arbeit im Ortsbeirat, aber auch die Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger, die dort ihre Anliegen stets als ersten Tagesordnungspunkt vorbringen können, ist eine Form der Beteiligung am gesellschaftlichen und politischen Leben im Stadtteil. In der jüngsten Sitzung des Gremiums wurde allerdings klar, dass diese Form nicht ausreichend ist, um alle Gruppen im Stadtteil anzusprechen.

Das sagt der Politikwissenschaftler

Der Beirat hatte zu seiner Sitzung den Bremer Politikwissenschaftler Lothar Probst eingeladen. Der Schwerpunkt des emeritierten Politologen liegt auf der Parteien- und Wahlforschung. "Erwarten Sie nicht den Königsweg, diesen gibt es wahrscheinlich nicht", dämpfte Probst gleich am Anfang die Erwartungen, dass es einfache Möglichkeiten zur Bürger- und Wahlbeteiligung geben könnte.

Gerade in sozial benachteiligten Ortsteilen ist die Beteiligung der Menschen gering. In Tenever zum Beispiel liegt die Wahlbeteiligung sehr deutlich unter dem Bremer Durchschnitt. Arbeitslosigkeit, Armut, Sozialleistungsbezug seien Faktoren, die die Wahlbeteiligung drückten, so Probst. "Wer versucht, mit Sozialleistungen irgendwie über die Runden zu kommen, wird vielleicht gar nicht die Möglichkeit haben, sich einzubringen."

Ähnlich verhalte es sich bei Arbeitslosigkeit. "Es fehlen die Strukturen. Sie haben zwar viel Zeit, aber diese wird eher selten genutzt, um sich einzubringen", so der Politologe. Beteiligung hänge außerdem von der Bildung ab. "Und zwar auf jeder Ebene der Beteiligung."

Menschen mit einem gehobenen sozialen Status ließen sich besser ansprechen, als jene mit niedrigem Status. Daneben spiele auch das Alter und die Eingebundenheit in soziale Strukturen eine Rolle. "Sehr wichtig sind Mitarbeit in Kirchen, Vereinen und Gewerkschaften." Wer sich schon irgendwo einbringe, sei bereiter, sich noch mehr einzubringen. "Menschen in Vereinen sind in der Regel politisch interessierter", sagt Probst.

Was folgt aber nun aus der Analyse? Probst gab einige Denkanstöße, die nicht alle neu waren: "Das Gemeinschaftsleben entfalten, Bürgertreffpunkte, Nachbarschaftsfeste, öffentliche Lesungen", zählte er auf. "Bürgerbüros mit niedrigschwelligen Angeboten", ergänzte er. "Was sehr wichtig ist, sind Multiplikatoren aus politikfernen Bereichen, zum Beispiel Sportler, DJs, Influencer." Insgesamt gehe es darum, ein "Wir-Gefühl" zu entwickeln. 

Das sagt die Landeszentrale für politische Bildung

Während Probst an den Gemeinschaftssinn als Basis für weiteres Engagement appelliert, verfolgt die  Landeszentrale für politische Bildung neue Wege in der politischen Bildung. Die aufsuchende politische Bildung in den Stadtteilen sei seit einigen Jahren ein Modell, das viel Aufmerksamkeit bekomme, so Lisa Peyer von der Landeszentrale. "Wir versuchen, dezentral zu arbeiten, aber wir machen die Erfahrung, dass wir, wenn wir in Ortsämtern und Bürgerhäusern sind, auch nicht so viele Menschen erreichen. Deswegen gehen wir auf die Menschen zu." Ein Projekt der Landeszentrale: Mein Herz für Grundrechte. "Wir stellen uns damit zum Beispiel auf Stadtteilfeste und sprechen die Leute direkt an." Ein Vorgehen, das offenbar wirkt. "Es ist erst einmal überhaupt ein Anlass, um über Politik zu sprechen." 

Ein weiteres Projekt seien die sogenannten Wahlscouts. Diese informieren in Stadtteilen mit einer hohen Nichtwählerquote Bürgerinnen und Bürger über die Möglichkeit zu wählen. "Eine total wichtige Information für viele Menschen ist, dass es die Möglichkeit der Briefwahl gibt", erklärt Peyer. "Wir haben auch unheimlich viele Menschen, die aus Unsicherheit nicht wählen gehen."

Viele Menschen sagten, dass es an jemandem fehle, mit dem sie über Politik reden könnten. "Unzufriedenheit oder Protest wurden dagegen sehr selten als Grund genannt, nicht wählen zu gehen." Peyers Schluss: "Mit Broschüren und Flyern wird man die Wahlbeteiligung nicht heben können. Auf kommunaler Ebene ist Politik Beziehungsarbeit." Sie warnte auch vor reflexhaften Maßnahmen. Nach den Skandalen um die rechtsextreme AfD wurden Forderungen nach mehr politischer Bildung in den Schulen laut. Peyer: "Es kann nicht genügend politische Bildung an Schulen geben." Wählen gehen aber Erwachsene, und wer noch weniger politische Bildung habe als Schüler seien Erwachsene. 

Das sagt der Beirat

"Die Wahlscouts sind 2023 nicht eingesetzt worden, gibt es Möglichkeiten, das weiterzuführen?", wollte Annette Kemp (SPD) wissen. "Die Wahlscouts sind vom Innenressort gestoppt worden, weil diese nach der Meinung des Innenressorts das Wahlverhalten bestimmter sozialer Gruppen ändern würden", erläuterte Peyer. Ihren Angaben nach vertritt das Innenressort die Einschätzung, dass die Wahlscouts auch in Stadtteilen mit hoher Wahlbeteiligung wie Schwachhausen eingesetzt werden müssen.

Der Streit zwischen Landeszentrale und Innenressort werde vor dem Staatsgerichtshof geklärt werden, sagte Peyer. "Es ist ein Projekt, das sich an Nicht-Wähler richtet und wohl eher nicht in Schwachhausen nötig ist." Zum Vergleich: In Tenever lag die Wahlbeteiligung zur Bürgerschaftswahl bei 32,3 Prozent in Schwachhausen bei 80,6 Prozent. Das unterschiedliche Wahlverhalten führt so zu einer Unterrepräsentanz bestimmter Bevölkerungsgruppen in der Bürgerschaft. 

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