Verteidigungsminister Boris Pistorius plant für das kommende Jahr ein neues Wehrdienstmodell: Junge Männer müssen eine sogenannte Bereitschaftserklärung abgeben – wollen sie zur Bundeswehr, fühlen sie sich befähigt? Für Frauen ist die Teilnahme freiwillig. Später kommt bei den geeigneten Kandidaten noch eine Musterung dazu. Mehr Zwang gibt es zunächst nicht, keine Wehrpflicht.
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Pistorius erhofft sich von dem Gesetz, dass sich die jungen Leute zumindest mal mit dem Gedanken auseinandersetzen, den Dienst an der Waffe anzutreten. Ein erster, moderater Schritt, dem andere folgen könnten, denn der Bedarf ist groß: In Deutschland gibt es derzeit rund 182.000 Soldatinnen und Soldaten. Angestrebt wird vor dem Hintergrund gestiegener Verpflichtungen in der Nato und der Bedrohung speziell aus Russland, die Zahl der aktiven Soldaten bis 2035 auf mindestens 260.000 zu erhöhen. Die Reserve soll von 100.000 auf 200.000 Soldaten aufgestockt werden.
Mehr als 14 Jahre nach Aussetzung der Wehrpflicht kommt sie jetzt durch die Hintertür möglicherweise wieder zurück. Doch wie war das damals mit diesem Dienst? Wie war es mit seinem Pendant, dem Zivildienst? Zwei Männer, der eine einst Soldat, der andere "Zivi", erinnern sich.
Erste Schritte ins Erwachsenenleben
Zivildienst – sagen wir’s mit Dittsche: Das war der Schritt ins wirklich wahre Leben. Dauerhaft von zu Hause weg. Einzug in eine Wohngemeinschaft. Haushaltspflichten. Der erste Arbeitgeber, es war die evangelische Kirche, und gleich verbunden mit Auseinandersetzungen, in denen sich der junge Mann bewähren musste. Er galt im Dienst als (politisch) unzuverlässig, wurde getriezt und bestraft. Das Bundesamt für Zivildienst drohte mit Gehaltskürzung und Versetzung nach Bayern. Nerven behalten, war die Devise, den Rücken gerade machen, auch das ein Lernprozess.
Mit Turbo-Geschwindigkeit ging’s die Lebensbahn entlang. Privat, weil plötzlich Selbstständigkeit gefragt war und soziales Miteinander, bis hin zum Abwasch in der Küche. Und beruflich, denn seinen Mann stehen, Anfechtungen abwehren und ganz profan einen Acht-Stunden-Tag überstehen – das war neu und unbekannt.
Den Mann stehen, ja, das musste man auch beim Bund. Ehrlicherweise das erste Mal im bis dahin behüteten Leben. Hinter dem Kasernentor erwartete den Rekruten eine neue Welt. Die Haare kurz geschoren, die Stiefel stets geputzt, wenn es die Kaserne zu bewachen galt, die langen Märsche anstanden oder man tagelang im Wald den Krieg simulierte. Gestern noch Sohn, Schüler, Heimschläfer. Tags drauf schon Soldat in der tristen Kaserne, weit weg von Mutters warmer Stube. Noch grün hinter den Ohren, hielt man plötzlich eine Waffe in der Hand. Wusste man, was man tat?
Der Wehrdienst, Mitte der Neunziger dauerte er kaum ein Jahr, war damals noch das Normale. Man musste ja hin, warum drüber nachdenken? Augen zu und durch, es war ja nicht lang. Zugleich redete man sich ein, irgendwie schon das Richtige zu tun, weil es galt, das Land und die Lieben zu verteidigen, wenn es drauf ankommen sollte. Dabei war der Kalte Krieg längst vorbei, kaum jemand rechnete ernsthaft mit einem Einsatz.
So geriet der Dienst zu einem Survival-Camp. Man erfuhr, wie man sich im hohen Gras versteckt oder mit einem Maschinengewehr schießt. Man musste mit dem Mangel klarkommen. Schon damals gingen die Panzer beunruhigend schnell kaputt und standen viel zu lang in der Wartungshalle. Und beim Scheingefecht im Wald rief man auch mal “Peng, Peng”, wenn es galt, die knappen Platzpatronen zu sparen. Der Zweifel marschierte ständig mit.
Jugendarbeit bei der Kirche, anders als fest verabredet nur wenig davon, weil die Oberen dem "Zivi" nicht mehr trauten, Gott bewahre!, er könnte ja den Nachwuchs verderben. Stattdessen Essen ausfahren für Kindergärten, drucken, kopieren, Verwaltungsarbeit, und wenn es mal wieder Zoff gab, weil der Angestellte sich nicht blind unterordnen wollte, musste er im Keller Seife sortieren. Die Situation eskalierte und war irgendwann nicht mehr auszuhalten. Besser wechseln, dachten sich alle Seiten, auch das Bundesamt für den Zivildienst. Danach wurde alles gut.
Beim Paritätischen wartete ein starkes Team – ohne Hierarchie, tatkräftig und auf echte Hilfe ausgerichtet: Möbelspenden an Bedürftige weiterleiten, alte Menschen mit Essen versorgen und am Tag oft ihr einziger Ansprechpartner sein, ein blinder Mann, der sich einmal in der Woche darauf freute, mit dem Tandemfahrrad chauffiert zu werden. Solche Sachen und mehr davon. Echte Hilfe, viel Arbeit und jede Menge Spaß. Eine herrliche Zeit.

Zivildienst bei den Maltesern. In Spitzenzeiten haben mehr als 70.000 junge Männer pro Jahr diese Pflicht erfüllt.
Sie war hart erkämpft. Kriegsdienstverweigerer, in dem Jahrgang waren es knapp 50.000 in Deutschland, mussten sich einer Gewissensprüfung unterziehen. Sie hatten Zeugen beizubringen, die den jungen Mann für moralisch einwandfrei erklärten und ihm seine guten Gründe attestierten, nicht zum Militär zu wollen. Es kam zur Verhandlung, wie vor Gericht, ein Schauspiel. Die Aufführung gelang, Vater Staat akzeptierte, um den frisch gebackenen Zivildienstleistenden danach 20 Monate in Beschlag zu nehmen – ein paar Monate mehr als zum Beispiel den Bruder, der zur Bundeswehr gegangen war.
Der Soldat brauchte später seine Zeit, bis die Anekdoten auserzählt waren und die Absurditäten des Dienstalltags der Erkenntnis wichen, dass die Zeit auch positive Seiten hatte. Man mag es belächeln, aber Ordnung halten, mit wenig Schlaf und ohne Dusche auskommen, selbst schlechtes Essen wertzuschätzen und die Marotten anderer Menschen auszuhalten – des Unteroffiziers zum Beispiel, dieses Wichtigtuers! – sind Fähigkeiten, die manch anderem gut stehen würden.
Wie ein Schauspiel fühlte es sich am Anfang auch beim Bund an. Jeder erhielt eine Rolle – die einen ganz oben, die anderen unten. Schwer zu ertragen für einen, der gerade von der Schule kam und fand, die Welt gehöre ihm allein. Jetzt galt es, Befehle zu befolgen, und wer nicht spurte, wurde eingebuchtet. Doch wer dies annahm, erfuhr auch, wie viel Kraft eine Gruppe entfalten kann, wie Weggefährten und Leidensgenossen füreinander da sein können. Wie Kameradschaft entsteht und lauter Einzelgänger zu einem Team macht, wenn die Gemeinschaft gefordert ist.
Teamgeist, Kameradschaft, Miteinander – das gibt es auch woanders: in der Fußballtruppe oder beim Handball. Dort aber sucht man sich die Gruppe aus. Und kann gehen, wenn man es möchte. Beim Bund galt es durchzuhalten. Auch wenn die Kraft mal nachließ, das Ego verletzt war oder der Kloß im Bauch bei der Rückkehr in die Kaserne am Sonntagabend so groß, dass man eigentlich wieder umkehren wollte. “Keine Lust?”, fragte der Vater früher. Um dann anzufügen: “Dann mach’s doch ohne Lust.” Da war was dran.
Kein Zuvieldienst – und eine Lebensschule
Eine Reifeprüfung im Ganzen, beginnend schon damit, sich entscheiden zu müssen: zu den Waffen oder zur Wohlfahrt? Der Zivildienst, das ist gewiss, brachte mehr Freiheit. Er war Zwang, wurde aber nicht so empfunden, jedenfalls dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Zügel lockerließ. Ein Dienst mit anderen für andere. Verbunden mit tiefen Einsichten in unterschiedlichste soziale Zusammenhänge. Die Zeit wurde weniger dem Staat gegeben als seinen Menschen, das Abstrakte wurde konkret. Die Lehren daraus waren eines der Fundamente für den weiteren Weg, beruflich wie privat. Kein Tag verschwendet, sondern reich eingesetzt. Der Zivildienst war nie Zuvieldienst, er war ein Geschenk.
Und der Wehrdienst? Als Geschenk würde man ihn wohl nicht betrachten. Der Druck, der Drill, die mitunter hohlen Rituale. Eigentlich dazu gedacht, junge Männer in die Lage zu versetzen, schießen und abtauchen zu können, wenn es mal drauf ankommen sollte, war er doch mehr Lebensschule. Eine gute sogar. Gerade richtig, um grüne Jungs zu Erwachsenen zu machen. Kein schlechtes Ergebnis.