Nelson Janßen von den Linken kann seinen Part offenbar kaum erwarten: Unruhig wippt er mit seinem linken Fuß hin und her. Erst als vierter Politiker ist er an diesem Vormittag im Kino Gondel in Schwachhausen an der Reihe. Es geht zunächst um die „Polizeireform 2600“. Die hat ihren Titel bei der Zielzahl von 2600 Polizeibeschäftigten entlehnt, die Innensenator Ulrich Mäurer ausgegeben hat. Der SPD-Politiker sieht die Reform auf einem guten Weg, spätestens in vier Jahren sollen es bereits 2900 Stellen sein. Mäurer zuversichtlich: „Wir schaffen das!“
Das sieht Thomas vom Bruch, stellvertretender Vorsitzender der CDU-Bürgerschaftsfraktion, dann doch etwas anders. Er mahnt, dass Bremen in Sachen Besoldung und Arbeitssituation im Vergleich zu anderen Bundesländern konkurrenzfähig bleiben müsse. Vom Bruch: „Und wir müssen sicherstellen, dass die Polizei nicht dauerhaft am Limit arbeitet.“ Björn Fecker, Fraktionsvize der Grünen, fordert mehr „gesellschaftliche Anerkennung“ für die Polizisten und andere Helfer. Das bedeute eine bessere Ausbildung, eine vernünftige Besoldung und eine Entlastung der Beamten durch einen stärkeren Einsatz digitaler Technik.
Nun ist endlich Nelson Janßen an der Reihe – und sein Fußwippen damit beendet. Er bezweifelt, dass das 2900-Stellen-Ziel ohne Probleme erreicht werden kann. Der Bürgerschaftsabgeordnete diagnostiziert nicht zuletzt strukturelle Probleme und nennt ein Beispiel: „Die Hochschule für öffentliche Verwaltung platzt schon jetzt aus allen Nähten. Peter Zenner, innenpolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, erinnert an den rigiden Sparkurs, den der rot-grüne Senat jahrelang bei der Polizei gefahren habe. Er vermisst vom Innensenator ein langfristiges Konzept für die Personalausstattung. Zenners steile These: „Die Polizeireform 2600 ist schon gescheitert.“
Stellen-Ziel ist kaum erreichbar
Lüder Fasche, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) und externer Experte der Veranstaltung, dürfte Zenners Kritik nur allzu gerne gehört haben. Auch in seinem Lagebericht zur Bremer Polizei kommt der Senat nicht gut weg. Fasches Fazit: „Die aktuellen Rahmenbedingungen stimmen erst einmal nicht.“ Und das 2900-Stellen-Ziel sei wegen starken Abgängen in den Ruhestand kaum erreichbar. „Wir müssten exorbitant einstellen“, gibt der GdP-Landeschef zu bedenken.
Vom Bruch legt noch einmal nach. Er kritisiert Mäurer für die „Ausdünnung der Revierstruktur“. Die hat bekanntlich in einigen Stadtteilen zu erheblicher Verärgerung bei den Bürgern geführt. Der CDU-Politiker verspricht im Namen seiner Partei: „Wir werden die künftige Polizeistruktur genau überprüfen.“ Moderatorin Nina Willborn, Redakteurin beim WESER-KURIER, leitet diese „Drohung“ an Fecker weiter. „Soll ich jetzt den Senator raushauen?“, fragt der Grünen-Politiker und hat die Lacher auf seiner Seite. Nein, er haut Mäurer nicht raus. Aber Fecker stellt eine sehr berechtigte Frage: Warum zücken Polizisten bei der Aufnahme eines Einbruchs eigentlich immer noch ihr Büchlein – und nicht einen Laptop?
WESER-KURIER-Redakteur Ralf Michel leitet dann die nächste Gesprächsrunde ein. Es geht um das neue Polizeigesetz, das bislang am Widerstand der Grünen gescheitert ist. Konkret geht es um ein Mehr an Videoüberwachung. Für Fecker macht eine flächendeckende Videoüberwachung in Bremen keinen Sinn. Auch der Innensenator hält solche Ideen für „Unsinn“. Aber es zeigt sich doch eine gewisse Diskrepanz zwischen den beiden Noch-Koalitionären. Der Senator würde beispielsweise beim Freimarkt gerne mehr Kameras einsetzen. Seine Begründung: Es gehe dabei nicht nur um die Sicherung von Beweismaterial, sondern auch darum, „dass die Polizei da sein kann, wenn sich etwas zusammenbraut“.
Linke stimmt gegen Polizeigesetz mit Videoüberwachung
Im Falle eines SPD-Wahlsiegs könnte die Reform des Polizeigesetzes für Mäurer zusätzlichen Ärger bedeuten. Denn Janßen positioniert die Linke schon mal für den Fall einer rot-rot-grünen Koalition: „Ein Polizeigesetz mit mehr Videoüberwachung machen wir nicht mit.“ Etwas differenzierter sieht Zenner die Problematik. Er ist pro Kameraeinsatz, aber „nur an kriminalitätsaffinen Orten“. So regt der FDP-Mann an, die „Videoüberwachung mobil zu machen“ – zum Beispiel im Rotlichtbereich Helenenstraße.
Trotz kleinerer Sticheleien: Die Politiker auf dem Podium geben sich bei diesem – gerade in Bremen sehr sensiblen – Thema betont besonnen. Nach einer Stunde Diskussion können die rund 70 Zuschauer ihre Fragen stellen. Nun wird es richtig spannend: Die Gäste des WK-Talks löchern die Politiker mit Fragen nach Revierschließungen, Ordnungsdienst, Drogenpolitik, Frauenhandel und Clankriminalität.
So beschwert sich ein älterer Mann über den Drogenhandel im Viertel. „Wieso glaubt Rot-Grün, künftig für mehr Sicherheit sorgen zu können?“, fragt er. Mäurer gibt zu: „Dort muss man mehr machen als in der Vergangenheit.“ Konkreter wird der Senator nicht, verweist aber auf die Bemühungen, am Bahnhof für Sicherheit und Sauberkeit zu sorgen. Der Mann ist mit der Antwort unzufrieden: „Ich halte das für Symbolpolitik.“ Vom Bruch schaltet auf Duell und kritisiert Mäurer direkt: „Sie sind in manchen Bereichen tatenlos. Das ist eine Frage der politischen Schwerpunktsetzung.“
„Prostitution ist der Gipfel der Respektlosigkeit"
Der Mädchen- und Frauenhandel erschüttert einen weiblichen Gast der Veranstaltung. Vom Bruch leistet sich eine nach seinen Worten „Spezialmeinung“ zu diesem Thema: „Prostitution ist der Gipfel der Respektlosigkeit gegenüber Frauen.“ Für diesen Satz bekommt er lautstarken Beifall. Auch Mäurer bekommt Applaus: „Die Liberalisierung im Prostitutionsgewerbe hat nur der organisierten Kriminalität genutzt.“ Plötzlich sind sich Mäurer und Vom Bruch doch noch ganz nah.
Fazit: Die fünf Vertreter der Parteien haben sich eine Diskussion auf hohem Niveau geliefert. Lediglich schade: Von Wahlkampf war an diesem Morgen nur wenig zu spüren.