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Nutria aus dem Niederblockland Aus der Falle in die Pfanne

Dammsiel-Wirtin Katja Behrens will in ihrem Lokal frisch gefangene Nutria auf den Tisch bringen und damit ihre Wildkarte um ein Angebot aus der unmittelbaren Region erweitern.
05.11.2022, 05:00 Uhr
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Aus der Falle in die Pfanne
Von Justus Randt

Einen noch kürzeren Weg auf den Teller hätte wohl nur der Schnittlauch aus dem Blumentopf am Küchenfenster. Mit einer Idee von Dammsiel-Wirtin Katja Behrens bekommt regionale Küche eine neue Bedeutung – zunächst im Niederblockland mit seinen drei Jagdrevieren. Dort und in Hemelingen wird ein Großteil der in Bremen lebenden Nutria bejagt. Katja Behrens bringt die auch Sumpfbiber genannten Tiere demnächst auf ihre Gasthaus-Tische. Ein erster Probelauf in der Küche und ein anschließendes Testessen mit den Beschäftigten des Lokals, ihrem Freund Fabian Meyer und Nachbarn war aus Sicht der Chefin ein Erfolg.

"In unserem Garten, direkt hinter dem Haus, lebt eine Nutria-Familie vor unseren Augen", sagt die Wirtin. Das liege nicht an der Wümme, die dort entlang fließt, sondern an den sieben alten Apfelbäumen, die zum Dammsiel gehören: "Äpfel sind ihre absolute Leibspeise, damit locken die Jäger sie auch in ihre Lebendfallen."

Neuerdings leben die Nachbarn gefährlich. "Unter den Jägern kursiert eine Rundmail: Katja verarbeitet unsere Nutria", berichtet die 31-Jährige vom Ergebnis gemeinsamer Überlegungen mit den Waidleuten. "Es gibt eine Überpopulation der Tiere, und sie haben keine natürlichen Feinde. Die Nutria buddeln beim Höhlenbau unsere Deiche und Böschungen kaputt." Deshalb werden die aus Südamerika stammenden Nagetiere in Bremen intensiv bejagt. "Im Moment steht dabei der Hochwasserschutz im Vordergrund, wir sind aber an der Nutzung der Tiere interessiert", erklärt Stadtjägermeister Richard Onesseit.

Die Nutria kam Ende des 19. Jahrhunderts nach Europa. Als Pelztier machte der Nager auch in Deutschland Karriere. In der DDR war die Fellproduktion ein Wirtschaftszweig, das Nutriafleisch gab es im Supermarkt, der dort Konsum hieß. Ähnlich dem Waschbären, der längst ebenfalls als invasive Art gilt, haben sich Nutria schließlich auch in freier Wildbahn verbreitet. Inzwischen sind Rauchwaren kaum mehr gefragt und die Tiere nicht von wirtschaftlichem Interesse. "Auch wir Jäger laufen ja überwiegend in Polyacryl herum, das müsste man zugunsten natürlicher Kleidung überdenken", sagt Richard Onesseit und räumt ein, Nutriafell könne er sich aber höchstens als Futter seiner Jägerjacke vorstellen.

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Auch das Fleisch des nach dem Biber zweitgrößten Nagetiers Mitteleuropas wird nicht systematisch verarbeitet. Katja Behrens, der die Wildzubereitung "besonders am Herzen" liegt, kann das nicht gut mit ansehen: "Wir versuchen, das ganze Tier zu verwerten." Die Knochen werden für die Soße ausgekocht. Nutria, die ihre Küche erreichen, sind bereits vom Jäger aus der Decke  geschlagen, werden also ohne das Fell geliefert, dessentwegen sie früher gezüchtet und in Südamerika beinahe sogar ausgerottet worden wären. Auch der Schwanz der Tiere bleibe – als Beleg für den Fang – beim Jäger, sagt Fabian Meyer, der im Lokal mitarbeitet.

Die sogenannte Strecke, die Zahl der erlegten Tiere, betrug in Bremen laut Richard Onesseit 1379, "einschließlich acht Stück Unfallwild", im Jagdjahr 2021/2022 und 2038 im Jahr zuvor. Die Paarungszeit der Nutria erstreckt sich über das ganze Jahr. Nach einer Tragzeit von rund vier Monaten werden sechs bis acht Junge geboren. Nutria, die künftig im Gasthaus Dammsiel zubereitet werden, sollen als Fünferlei auf der Karte stehen: Erprobt wurden Gerichte mit Keule, Braten, Ragout, Minirouladen und Filet.

Letzteres könnte vorerst durch einen Nutria-Burger ersetzt werden. "Zum Kennenlernen, mal sehen", sagt Fabian Meyer. Bislang enthält die Wildkarte Reh, Damwild, Hasen, Fasan und Flugenten aus der unmittelbaren Umgebung und Rotwild aus der Rotenburger Gegend. Fabian Meyer (33) vermutet, dass das neue Angebot erklärungsbedürftig ist: "Das ist etwas für Leute, die über den Tellerrand schauen, sich für Nachhaltigkeit einsetzen und von Haus aus gern Wild essen. Ich kannte die Tiere ja bisher auch nur aus dem Garten." Auch die Jäger seien bislang zurückhaltend gewesen mit der Zubereitung und hätten höchstens mal eine Nutria auf den Grill gelegt.

Katja Behrens ist überzeugt von der Aufgeschlossenheit ihrer Gäste: "Ich glaube schon, dass wir das Publikum haben, das das versucht." Und was erwartet die Neugierigen geschmacklich? Das helle Fleisch der Pflanzenfresser aus der Familie der Biberratten komme "ohne den schweren Wildgeschmack" aus, sagt die Wirtin. Die Ähnlichkeit mit Kaninchen, die dem Nutriafleisch nachgesagt wird, hat sie nicht festgestellt. Ungewürzt erinnere Nutriafleisch am ehesten an Schwein.

Die üblicherweise bis zu sieben Kilogramm schweren und bis zu 60 Zentimeter langen Tiere seien schon ihrer Größe wegen gastronomietauglich, meint die Gastronomin. "Uns hat beim Testessen zu viert ein Tier gereicht." Allerdings gibt es manchmal auch besonders große Nutria. Stadtjägermeister Richard Onesseit weiß von einem rekordverdächtigen 18-Kilo-Tier aus Bremen. Ein doppelter Exot.

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