Die Bremer SPD steuert mit Andreas Bovenschulte als Bürgermeisterkandidat auf das erste rot-grün-rote Regierungsbündnis in Westdeutschland zu. Ein außerordentlicher Landesparteitag im Vegesacker Gustav-Heinemann-Bürgerhaus billigte am Sonnabend ohne Gegenstimmen den Entwurf des Koalitionsvertrages von SPD, Grünen und Linken und stärkte dem sozialdemokratischen Senatspersonal den Rücken. Sowohl für Andreas Bovenschulte als Nachfolger von Carsten Sieling als auch für die weiteren Anwärter auf Kabinettsposten gab es in geheimer Abstimmung breite Mehrheiten.
Für seine mit Spannung erwartete Vorstellungsrede wurde Bovenschulte regelrecht gefeiert. Der 53-Jährige positionierte seine Partei in der Mitte der Gesellschaft, rückte die Themen Wirtschaft, Bildung und Sicherheit in den Vordergrund. „Die normalen Menschen, die Arbeitnehmer, sollen hier vernünftig leben können“, beschrieb er eine der Hauptaufgaben der Sozialdemokratie. Dafür brauche es eine prosperierende Wirtschaft. In diesem Sinne werde er sich einsetzen, auch wenn die SPD das entsprechende Senatsressort an die Linke habe abtreten müssen. Dass die Bildung im Koalitionsvertrag ganz vorne stehe, sei kein Zufall. „Wir wollen absoluten Vorrang für Investitionen nicht nur in Beton, sondern auch in Köpfe“, formulierte Bovenschulte. Allen Kindern und Jugendlichen im kleinsten Bundesland müsse die Chance geboten werden, durch Bildung etwas aus sich zu machen.
Außerdem nahm der designierte Bürgermeister für die SPD in Anspruch, die Partei zu sein, die Sicherheit garantiert. Ausdruck dieses Engagements sei die Zielsetzung im Koalitionsvertrag, die Zahl der Polizeibeamten in der Stadt Bremen von derzeit gut 2500 auf 2900 zu erhöhen und den 2018 eingeführten Ordnungsdienst auszubauen. „Wir sind weltoffen und liberal, aber das heißt nicht, dass wir Vermüllung und Kriminalität hinnehmen“, sagte Bovenschulte, der sich zugleich gegen den Eindruck wandte, im Bündnisvertrag mit Grünen und Linken sei zu wenig sozialdemokratische Handschrift erkennbar. Klimapolitik sei in dem Dokument nicht etwa deshalb mit hoher Priorität versehen, „weil wir den Grünen einen Gefallen tun wollen, sondern weil der Klimawandel eine existenzielle Bedrohung ist, der wir begegnen müssen“.
Ende der Schockstarre
Nach seiner rund 20-minütigen Rede erhielt der aktuelle Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion, der bis vor kurzem Rathauschef in Weyhe war, stehende Ovationen. Wie weggeblasen schien in diesem Moment die Schockstarre, in die viele Genossen nach der verheerenden Wahlniederlage vom 26. Mai gefallen waren. Bovenschulte gelang es mit seinem Auftritt, Aufbruchstimmung in den Reihen der Funktionäre zu erzeugen. Sie dankten es ihm mit einem starken Wahlergebnis. Von 146 möglichen Stimmen erreichte der Jurist 140. Drei Delegierte votierten mit Nein, drei weitere enthielten sich. Das entsprach einer Zustimmungsquote von 95,9 Prozent.
Gute Ergebnisse konnten auch Innensenator Ulrich Mäurer, Bildungssenatorin Claudia Bogedan und die bisherige Bremerhavener Sozialdezernentin Claudia Schilling, die Senatorin für Häfen, Wissenschaft und Justiz werden soll, für sich verbuchen. Sie erreichten Resultate zwischen 120 (Claudia Schilling) und 134 Ja-Stimmen (Ulrich Mäurer). Als künftiger Bevollmächtigter Bremens beim Bund wurde den Delegierten der derzeitige Chef der Senatskanzlei Olaf Joachim vorgeschlagen. Auf ihn entfielen 128 Ja-Stimmen.
Vor den Wahlen hatte die Partei gut zwei Stunden lang über den Koalitionsvertrag diskutiert. Wie der designierte Bürgermeister stellte auch die Landesvorsitzende Sascha Aulepp die Anstrengungen im Bildungsbereich, die in dem 140-Seiten-Dokument breiten Raum einnehmen, in den Mittelpunkt ihrer Betrachtungen. In der Schulpolitik, aber auch im Kita-Bereich gelte es, „Ungleiches ungleich zu behandeln“. Gemeint war: Das Geld soll in diesem Bereich gewissermaßen nicht mit der Gießkanne, sondern gezielt dort eingesetzt werden, wo es besonders benötigt wird, nämlich in den ärmeren Stadtteilen. Also dort, wo besonders viele Kinder aus bildungsfernen Haushalten leben. Weitere für die Sozialdemokratie wichtige Ziele seien mit Grünen und Linken vereinbart. Unter anderem die Ankurbelung des Wohnungsbaus und die soziale Teilhabe von Kindern und Jugendlichen. Beispiel: Von der Freibadsaison 2020 an soll der Eintritt für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren auf einen Euro gesenkt werden.
In der Aussprache über das Vertragswerk gab es nur punktuelle Kritik – wobei von vornherein klar war, dass Nachverhandlungen nicht möglich sein würden. Der Parteitag hatte nur die Wahl zwischen Annahme und Ablehnung. Als zu schwach wurde beispielsweise das Bekenntnis zum Ausbau der Ganztagsschulen bemängelt. Auch einige Aussagen des Koalitionsvertrages zu Stadtteilthemen wurden hinterfragt. So beklagte etwa Huchtings Beiratssprecher Falko Bries, dass sich die SPD mit dem Ausbau der Straßenbahnlinie 1 für das falsche Konzept entschieden habe. Das sei schon während des Wahlkampfs in Bürgergesprächen deutlich geworden. Bries: „Wir sollten den Leuten in den Stadtteilen wieder mehr zuhören.“ Den Tenor der Debatte brachte aber der Abgeordnete Volker Stahmann auf den Punkt. „Ja, es gibt Unzulänglichkeiten, ja, es gibt Mängel, aber im Kern ist es doch ein guter Vertrag.“
+++Dieser Text wurde um 20.03 Uhr aktualisiert+++