Selten waren Olympische Spiele so von Kritik begleitet wie jetzt in Peking. Haben die Spiele an Attraktivität für Sportlerinnen und Sportler verloren? Hier erklären fünf Bremer Athletinnen und Athleten, was sie von Olympia halten. Und warum sie weiter von den Spielen träumen, sich aber nicht mit Kritik an Gastgeberländern wie China oder am IOC zurückhalten.
Umzug für den großen Traum
Von den Winterspielen in Peking hat die Bremer Sportgymnastin Sandy Kruse nicht allzu viel mitbekommen. Die Übertragungen in der Nacht lagen naturgemäß ungünstig, während der Wettbewerbe am Vormittag saß sie in der Schule. Einen Wettbewerb hat sie dann aber trotzdem ziemlich genau mitverfolgt: das Eiskunstlaufen. "Das hat mich interessiert, was da mit Kamila Walijewa passiert ist." Die 15-jährige Russin stand nach einem Dopingverdacht im Fokus der Welt, strauchelte und wurde nur Vierte.

Die Sportgymnastin Sandy Kruse.
Sandy Kruse ist zwei Jahre älter, und was alles auf Kamila Walijewa eingeprasselt sei, habe sie traurig gemacht. Aber der Vorgang schreckt sie nicht ab. Im Gegenteil, ihr Traum bleibt die Teilnahme an den Olympischen Spielen – und zwar im besten Fall schon 2024 in Paris. "Wenn es in zwei Jahren noch nicht klappt, dann eben in sechs Jahren. Aber es sollte schon so schnell wie möglich sein." Ihr Motto: "Ich mache Rhythmische Sportgymnastik, weil ich etwas erreichen will. Wenn ich es nicht in den Nationalkader geschafft hätte, hätte ich wohl aufgehört." Denn die Aussicht auf Erfolg sporne sie an. Teilnahme an Olympia – das bedeute für sie, zu den Besten der Welt zu gehören und womöglich berühmt zu werden, sei es nur für wenige Tage. Um das zu erreichen, verzichtet Sandy Kruse auf viel. "Freunde treffen, ins Kino gehen, das geht eigentlich alles nicht, weil ich dann ja immer trainiere." Aber den Alltag ihrer Schulfreundinnen vermisse sie nicht, ganz im Gegenteil. "Ich habe ein großes Ziel vor Augen, dafür muss ich eben auf viel verzichten." Wobei sie das gar nicht als Verzicht empfinde. "Im Sport erlebe ich immer wieder große Glücksmomente. Das ist dann ein tolles Gefühl."
Im März zieht Sandy Kruse von Bremen nach Schmiden in der Nähe von Stuttgart, sie wird die heimische RSG in Bremen verlassen. Dort wird sie auf ein Internat gehen, das dem Bundesstützpunkt für Rhythmische Sportgymnastik angegliedert ist. Ein Umzug, der sie dem Traum von Olympia ein großes Stück näherbringen soll.
Mailand soll ganz anders werden
Die Nächte waren kurz zuletzt, zumindest manchmal. Ja, sie habe nachts um 2 zugeschaut, wenn in Peking Riesenslalom oder die Abfahrt auf dem Programm stand, sagt Bremens beste Alpin-Läuferin Friederike Huber. Die 18-jährige Oberschülerin sagt, dass sie "voll dabei" ist, wenn die Rennen laufen. Sie würde das mit Spannung verfolgen, und so würde das auch bei ihren Freundinnen oder Konkurrentinnen von der Piste sein. Wenn die Anziehungskraft olympischer Wettkämpfe in einer aufsteigenden Skala von 1 bis 10 zu bewerten wäre, würde sie eine 8 ankreuzen, sagt sie.

Die alpine Skiläuferin Friederike Huber.
Und doch war es eine quasi abgebremste Begeisterung in den beiden Olympia-Wochen. China sei doch keine Wintersport-Nation, die Skischanzen hätten irgendwo in einem Industriegebiet gestanden, sagt Friederike Huber. Die nächsten Winterspiele in vier Jahren in Mailand beziehungsweise Cortina d'Ampezzo würden ganz anders werden. Weil es dann vor Ort geben wird, was es in Peking nicht gab: begeisterte Fans und eine in der Region verankerte Wintersport-Kultur. Wettkämpfe, die den Leuten nicht fremd oder exotisch vorkommen. "Das macht doch eine ganz andere Atmosphäre", sagt die junge Bremer Rennfahrerin.
Das wäre dann auch ihr Wunsch an das IOC – wenn sie denn einen Wunsch frei hätte. Winterspiele sollten lieber in Länder vergeben werden, wo der Wintersport zuhause ist. Das sagt Friederike Huber auch ganz unabhängig von der Frage, was das für ihre eigene Motivation bedeuten würde. Sie weiß, dass ein Olympiastart wenig realistisch ist. Dafür sind für eine Alpin-Sportlerin die Möglichkeiten am "flachen" Standort Bremen vergleichsweise sehr begrenzt, dafür müsste sie inzwischen in einem der Leistungszentren im Kader des nationalen Verbandes trainieren.
Doch das, sagt sie, ändere nichts an ihrer Liebe zu ihrem Sport, an ihrem Ehrgeiz und Einsatz. Und nach Lage der Dinge auch nicht an ihrem gesteigerten Interesse, wenn das TV-Programm wieder aus ganz viel Olympia besteht.
Starke Begeisterung und starke Kritik
Nein, stundenlang vor dem Fernseher gesessen habe sie nicht, als in den vergangenen Wochen im fernen China die Winterspiele liefen, sagt Hannah Fricke. Mit olympischem Desinteresse hat das allerdings weniger zu tun. Erstens hatte die 15-jährige vielseitig begabte Leichtathletin des SV Werder zumeist Schule, als in Peking die Entscheidungen fielen. Zweitens gehört ihr Herz halt mehr dem Sommersport. Vergangenen Sommer, als die Wettkämpfe von Tokio gezeigt wurden, habe sie in den großen Ferien den ganzen Tag vor dem Bildschirm gehockt. Gebannt, so darf man sich das vorstellen. "Olympia: Wenn man dieses Wort hört, werden die Augen größer", sagt sie, "es gibt kein größeres Ziel und keine größere Ehre für Leistungssportler." Ja, na klar hat sie diesen Olympiatraum.

Die Leichtathletin Hannah Fricke.
So klar, wie sie den hat, so klar ist auch ihr kritischer Blick auf das größte Sportereignis der Welt. Zu sehr werde versucht, Geld und Image mit ihm zu machen, zu wenig würden die Interessen und Bedürfnisse der Sportler berücksichtigt. "Es wird nicht im Sinne der Sportler gehandelt", sagt sie. Die Sportler sollten doch im Mittelpunkt der Spiele stehen. "Und dann werden sie so behandelt", sagt Hannah Fricke. In Tokio habe man die Athleten in teilweise "katastrophale Unterkünfte" gesteckt. Da hat sich aus ihrer Sicht etwas verschoben. "Ich habe das Gefühl, dass da im IOC Leute sitzen, die es nur aufs Geld abgesehen haben", sagt die junge Mehrkämpferin.
Die Tochter des einstigen Hochspringers und Olympiakämpfers Roman Fricke würde sich eine bessere Unterstützung für Athleten in etlichen Sportarten wünschen. In ihrer Leichtathletik, die immerhin als olympische Kernsportart gilt, könne man, sagt sie, "in Deutschland vom Spitzensport allein kaum leben". Damit deckt sich die Sicht einer aufstrebenden Athletin mit jener vieler Sport-Routiniers und Sport-Beobachter. Olympia als leuchtendes Ziel für junge Menschen ist wirklich etwas ganz Großartiges. Aber dass sich im modernen Spitzensport nicht großartig etwas ändern muss, ist damit trotzdem nicht gemeint.
"Fokus mehr auf den Sport richten"
Natürlich habe auch er schon einmal davon geträumt, bei Olympia zu starten. "Das ist so ein riesiges Event", sagt der Handballer Nick Horstmann, "wenn ich die Teams bei der Eröffnungsfeier sehe, denke ich schon, wie cool das wäre, da auch mal selbst einzulaufen." Was gebe es Besseres als das eigene Land bei so einem Ereignis zu vertreten und mit vielen Gleichgesinnten einen Traum zu leben, fragt der fast 18-Jährige. Als A-Jugend-Bundesligaspieler beim HC Bremen ist auch er ein Leistungssportler. Zwar nicht auf Olympia-Niveau, aber mit zum Teil mehrmals täglichen Trainingseinheiten und Spieleinsätzen an den Wochenenden.

Der Handballer Nick Horstmann.
Grundsätzlich ist der angehende Abiturient ein Fan von Olympischen Spielen. Von der Veranstaltung in Peking hat er nicht ganz so viel gesehen, weil die nach deutscher Zeit überwiegend lief, als er entweder schlief oder in der Schule war. Bei Sommerspielen schaue er aber viele Wettbewerbe an. "Da gibt's so tolle Geschichten", sagt er. Dass Olympia wirklich ein Treffen der Jugend der Welt ist, findet er nicht. Aber wenn sich Aktive aus exotischen Ländern mit den Besten messen, sehe er schon, dass sich Völker verbinden und Barrieren fallen.
Nick Horstmann würde es begrüßen, wenn Sportler die olympische Bühne auch nutzen dürften, um sich politisch zu äußern. Dass sich das Internationale Olympische Komitee (IOC) politisch neutral verhalte, findet er nicht. "Wer zu Menschenrechtsverletzungen schweigt, zeigt ja auch seine Position", sagt Horstmann. Niemand solle sich bei diesem Thema auf Neutralität berufen, "weil es nicht unkommentiert bleiben sollte".
Nick Horstmann glaubt zwar nicht, dass das IOC politisch etwas ausrichten könnte. Aber es könnte über die Verhältnisse in einem Land mehr aufklären und vielleicht so Veränderungen herbeiführen. "Grundsätzlich wäre es schön, wenn der Fokus bei Olympischen Spielen mehr auf dem Sport liegen würde und nicht auf politischen Ereignissen oder einem möglichst großen finanziellen Gewinn."
Medaille im Blick, die Ringe im Kopf
Angelina Blietz ist ein Politik-interessierter Mensch. Und womöglich wird Politik in der Zukunft der 16-jährigen Hockeyspielerin mal einen richtig breiten Raum einnehmen; Stichwort Studium. Eben weil sie so interessiert ist, hat sich die Torfrau vom Bremer HC im Vorfeld der Olympischen Winterspiele auch ausführlich über die Situation im Gastgeberland informiert. Blietz hat gelesen über Menschenrechtsverletzungen in China und die zunehmende Kommerzialisierung dieser Sportveranstaltung. Gut heißen konnte sie all das nicht – und hat deshalb zumeist einen Bogen um den Fernseher gemacht, wenn von den Winterspielen in Peking berichtet wurde. "Ich wollte das nicht unterstützen", sagt Blietz.

Die Hockey-Torfrau Angelina Blietz.
Mit Blick auf China zeigt die angehende Abiturientin am Gymnasium Horn eine klare Haltung, den olympischen Traum aber hegt auch die zweifache U16-Nationalspielerin. "Darauf arbeite ich hin", sagt sie. Die talentierte Keeperin absolviert im Klub bis zu sechs Einheiten wöchentlich, sie ist bereits regelmäßig beim Training der ersten Damenmannschaft dabei. Ein großes Pensum, das neben der Schule wenig Freiraum lässt für weitere Hobbys. Für Angelina Blietz ist das vollkommen okay. Hockey ist ihre große Leidenschaft, ehrgeizig verfolgt sie ihre Ziele. Sie will sich im Nationalmannschaftskader der U18 etablieren. Und sie möchte mit ihrer Vereinsmannschaft Erfolge feiern. Am besten schon am Wochenende, wenn Blietz mit dem BHC zur Endrunde der Deutschen Hallenmeisterschaft nach Düsseldorf reist. "Ich hoffe, dass wir über Nacht dort bleiben", sagt Angelina Blietz. Das nämlich würde bedeuten, dass die BHC-Mädchen den Einzug ins Halbfinale am Sonntag geschafft hätten und nach einer Medaille greifen.