Herr Deichmann, Sie wollen ab dem 9. Mai 120 Triathlon-Langdistanzen in 120 Tagen bewältigen und damit einen neuen Weltrekord aufstellen. Das sind 3,8 Kilometer Schwimmen, 180 Kilometer Radfahren und 42 Kilometer Laufen. Jeden Tag für vier Monate. Warum tun Sie sich das freiwillig an?
Jonas Deichmann: Ich habe in den vergangenen Jahren verschiedene extreme Weltrekorde aufgestellt und Leistungssport mit Abenteuer verknüpft. Jetzt bin ich 36 Jahre alt und habe das Gefühl, am Höhepunkt meiner sportlichen Leistungsfähigkeit zu sein. Ich möchte noch einmal wissen, was machbar ist, bevor ich mich wieder Weltumrundungen und anderen Abenteuern widme. Dafür gibt es für mich nichts Besseres als eine Triathlon-Langdistanz. Bisher liegt der Rekord für die meisten Ironman-Distanzen hintereinander bei 105. Ich möchte 120 machen, weil ich zusammengerechnet schon mal 120 Ironmans bei meinem Trip um die Welt absolviert habe und die Zahl mit etwas Positivem verbinde.
Für das neue Projekt haben Sie sich die sogenannte Challenge Roth in Mittelfranken ausgesucht, auf der der weltweit größte Wettkampf auf einer Triathlon-Langdistanz ausgetragen wird. Was macht die Strecke für Sie besonders?
Es ist eine sehr abwechslungsreiche Strecke. Jeder, der sie schon bewältigt hat, schwärmt davon. Sie ist nicht ganz flach, hat ein paar Wellen drin, ist aber trotzdem eine Highspeedstrecke, auf der schon Weltrekorde aufgestellt wurden. Das reizt mich.
Wie bereitet man sich auf so eine Mammutaufgabe vor?
Eine Triathlon-Vorbereitung ist extrem aufwendig, da man drei Disziplinen gleichzeitig trainiert. Momentan wende ich dafür wöchentlich zwischen 38 und 50 Stunden auf. Größtenteils bereite ich mich in Portugal und Spanien vor, weil die Bedingungen zu dieser Jahreszeit dort besser sind. Das intensive Trainingsprogramm ziehe ich bis etwa drei Wochen vor dem Start durch, danach fahre ich deutlich runter, um mich zu regenerieren.
Bei einer Langdistanz werden etwa 10.000 Kalorien verbraucht. Ist das für Körper und Geist nicht wahnsinnig anstrengend?
Ich persönlich finde körperliche Erschöpfung wunderschön. Der Zustand, sich zu erholen, nachdem man wirklich Gas gegeben und viel geleistet hat, ist ein tolles Gefühl.
In den vergangenen Jahren haben Sie es bereits unter anderem mit dem Fahrrad mehrfach ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, fuhren unter anderem in 64 Tagen 16.000 Kilometer von Portugal nach Wladiwostok in Russland. Wie unterscheidet sich das neue Projekt von den bisherigen Weltrekorden?
Es ist für mich eine ganz neue Erfahrung. Die sportliche Herausforderung war neben der Nahrungs- oder Schlafplatzsuche immer nur eine Komponente. Ich habe alles gegessen, was ich finden konnte. Das waren oft nur Schokoriegel von Tankstellen, je nachdem, wo ich unterwegs war. Nun habe ich Idealvoraussetzungen und einen Ernährungsberater an der Seite. Mein Vater wird die ganze Zeit über gesund für mich kochen und ich kann in einem richtigen Bett schlafen anstatt in einem Straßengraben irgendwo auf der Welt.
Sie haben jeden Tag ein straffes Programm, wenn Sie pro Tag einen Ironman schaffen wollen. Wie werden Sie sich die Zeit einteilen?
Ich habe mir ein Zwölf-Stunden-Limit gesetzt. 1:15 Schwimmen, 5:30 auf dem Rad und vier Stunden Laufen. Die übrige Zeit ist auch verplant. Ich werde vermutlich auf einem Drittel oder bei der Hälfte der Radstrecke eine Mittagspause machen und Pasta oder Ähnliches essen. Ich kann mich ja nicht vier Monate lang nur von Flüssignahrung ernähren.
Ihr letztes Projekt führte Sie 2023 quer durch die USA. Sie sind erst mit dem Rad von New York nach Los Angeles geradelt und dann zu Fuß zurück an die Ostküste. Jeweils 5000 Kilometer waren das. Was ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?
Es war ein riesiges Abenteuer. Vor allem an die Landschaften und Leute mit ihren starken Kontrasten erinnere ich mich gerne zurück. Egal wo man im Westen der USA hingeht, seien es die Rocky Mountains oder Utah mit den vielen Canyons, einfach alles ist spektakulär. Im Gegenzug dazu ist der Mittlere Westen mit seinen Bundesstaaten wie Kansas landschaftlich gesehen wohl einer der langweiligsten Orte auf der ganzen Welt, wo man wochenlang nur durch Maisfelder läuft. Bei den Menschen waren die Gegensätze ähnlich stark.
Inwiefern?
Es gibt Gegenden, in denen man unglaublich freundliche, nette, liberale Menschen trifft, die einen sofort zu sich nach Hause einladen und einen Schlafplatz anbieten. Dann wiederum gibt es Landstriche, wo Leute absolut andere Grundsätze und Werte vertreten. Ich habe nirgendwo sonst auf meinen Reisen derart vor Augen geführt bekommen, welchen Stellenwert Privatbesitz haben kann. Grundstücke werden dort zum Teil mit Stacheldrahtzaun und Schildern der Waffenlobby abgegrenzt. Da habe ich mein Zelt dann eher nicht aufgeschlagen.
Das Essen spielt auf Ihren Trips immer eine große Reise. Den USA eilt da ein gewisser Ruf voraus.
Ja, und der ist zutreffend. Das Essen war grausam. Es war eine riesige Herausforderung, etwas Gesundes zu finden. In Kalifornien oder New York ist das natürlich kein Problem, aber in Kleinstädten gibt es außer Fast Food nichts anderes im Restaurant. Die größte Tankstellenkette im Mittleren Westen hatte eine Werbeaktion, als ich dort war, und hat das sogenannte Midwest-Frühstück angeboten, das aus einem Stück Pizza und einer Cola bestand. Das symbolisiert für mich sehr gut die Esskultur in den USA.
Es ist ein Leben voller Extreme, für das Sie sich entschieden haben. Warum?
Als Kinder waren wir immer viel draußen und haben Sport gemacht. Während des Studiums bin ich zwei Jahre lang um die Welt geradelt. Mit den Rekorden kann ich meine Leidenschaften miteinander verbinden: Abenteuer mit Leistungssport.
Würden Sie sagen, Sie sind inzwischen süchtig nach Rekorden?
Nicht nach Rekorden, aber süchtig nach Erlebnissen und Herausforderungen. Der Rekord kommt an zweiter Stelle, ist aber eine Bestätigung für die harte Arbeit und motiviert mich zusätzlich, weiter schwierige Expeditionen zu unternehmen. Es gibt nichts Tolleres für mich, als auf ein Ziel hinzuarbeiten, was für mich persönlich Sinn ergibt. Es ist sehr hart und entbehrungsreich manchmal, aber ich ziehe viel daraus und möchte es nicht missen.
Wie finanzieren Sie das alles?
Über Sponsoren und Motivationsvorträge.
Haben Sie sich durch dieses Leben verändert?
Ich habe extrem viel Selbstvertrauen bekommen. Ursprünglich war ich nur Radfahrer. Jetzt bin ich zusätzlich ein recht erfolgreicher Ultraläufer und passabler Schwimmer. Das hat aus meiner Sicht ganz viel mit dem Mindset zu tun. Wenn ich beim Radfahren durchhalten kann, kann ich das auch in anderen Disziplinen. Das lässt sich auf viele Lebensbereiche übertragen. Ich habe gelernt, mit schwierigen Situationen umzugehen, und weiß, was Verzicht ist. Ist es beispielsweise nötig, die Hälfte seiner Zahnbürste abzuschneiden, um ein paar Gramm Gewicht zu sparen? Für mich ja. Es sind viele kleine Details, die sich optimieren lassen und die am Ende Großes bewirken können.
Was haben Sie durch all Ihre Erlebnisse fürs Leben gelernt?
Insbesondere zwei Dinge: Erstens ist man zu viel mehr fähig, als man eigentlich denkt. Das andere betrifft die Menschen an sich. Ich war bis jetzt in mehr als hundert Ländern unterwegs. Und trotz aller Konflikte sind die Leute überall auf der Welt im Grunde freundlich und streben nach ähnlichen Werten.
Welche wären das?
Die allermeisten Menschen wollen einfach in Frieden leben und ihren Wohlstand halten oder entwickeln. Besonders in Ländern mit zweifelhaftem Ruf, wie Russland oder Iran ist mir aufgefallen, wie weit Politik und das Leben der einfachen Leute auseinanderklaffen.
Sie werden auf Ihren Touren immer wieder etappenweise von anderen Sportbegeisterten begleitet. Die mexikanischen Medien gaben Ihnen 2021 den Spitznamen Forrest Gump. Denken Sie, in Deutschland können Sie ebenfalls Menschen motivieren, sich zu beteiligen?
Ich gehe davon aus, dass mich in Deutschland noch deutlich mehr Leute begleiten werden. Challenge Roth ist Partner bei dem Projekt und wird ebenfalls zur Teilnahme aufrufen. Ich möchte Leute animieren, ihre eigenen Grenzen auszutesten und sich solchen Herausforderungen zu stellen.
Sie sind nach Ihren Touren unter anderem als Redner unterwegs – waren auch schon in Bremen. Was raten Sie Leuten, wenn es darum geht, ein Ziel durchzusetzen? Wie bleibt man am Ball?
Das Schwierigste ist, sich an die Startlinie zu wagen. Der beste Zeitpunkt dafür ist jetzt. Ansonsten kommt immer etwas dazwischen im Leben. Dafür ist eine positive Grundeinstellung wichtig. Ich bin ein bedingungsloser Optimist. Ich könnte mir natürlich vorab alle möglichen Horrorszenarien ausmalen, gehe aber davon aus, dass Dinge funktionieren oder man eine Lösung findet. Außerdem breche ich gerne Ziele ins Kleine herunter. Ich denke nicht: Oh, es sind noch 5000 Kilometer und ich habe Gegenwind, sondern: Hey, in 20 Kilometern kommt eine Tankstelle und da gibt es einen Schokoriegel. Geil, darauf freue ich mich.
Treibt das viele Leute um? Dass sie sich nicht trauen, einfach zu starten?
Absolut. Viele werden vom Alltag eingeholt. Wenn man Familie oder einen festen Job hat, wird es sicherlich schwieriger. Trotzdem sind gewisse Dinge möglich. Wenn man einen Traum hat, muss man ihn einfach angehen.
Wie lange dauert es, bis Sie nach einem abgeschlossenen Rekord wieder unruhig werden?
Das nächste Projekt habe ich eigentlich immer schon im Kopf. Damit kann ich die Pausen besser genießen. Ich brauche schon immer etwas, auf das ich mich freuen kann.
Das heißt, das übernächste Projekt steht auch schon wieder?
Es ist noch nicht entschieden, aber ich habe eine Bucketlist mit Dingen, die ich in der Zukunft gerne noch machen möchte. Aktuell teste ich nebenher, ob für mich ein Leben in einem Campervan infrage kommt, mit dem ich die Wintermonate in Südeuropa verbringe.
Können Sie sich vorstellen, jemals wieder in einen klassischen Alltag zurückzukehren?
Auf keinen Fall.
Wie wird Ihr Leben in 20 Jahren laufen? Wollen Sie noch als Rentner Rekorde aufstellen?
Ich finde es spannend, nicht zu wissen, was die Zukunft bringt. Prinzipiell hätte ich gerne irgendwo eine Basis. Ob das nun ein Van ist oder ein Haus, wo ich ein paar Monate im Jahr lebe, wird sich zeigen. Ich werde aber immer viel reisen und Abenteuer erleben und mich sportlich betätigen. Auch mit 60 kann ich noch um die Welt segeln und tolle Geschichten erzählen.