Es ist angerichtet: An diesem Montag ermitteln die Lateinformationen in Hongkong den Weltmeister 2023. Ab sieben Uhr mitteleuropäischer Zeit bewerben sich zwölf Teams in Vor-, Zwischen- und Endrunde um den Titel. Mit dabei ist auch der Grün-Gold-Club Bremen; der Titelverteidiger ist in der Vorrunde als elftes Team an der Reihe. Von Hamburg aus ist die 34-köpfige Bremer Gruppe am Donnerstag über Dubai nach Hongkong gereist und dort am Freitagabend (Ortszeit) eingetroffen. Der im „Emperor Hotel“ gegenüber des 3500 Zuschauer fassenden "Queen-Elizabeth-Stadions" residierende Grün-Gold-Tross hat am Sonnabend noch zwei Trainingseinheiten absolvieren können, am Sonntagnachmittag stand für das A-Team überdies die abschließende Stellprobe an.
Weil die Fläche in der Arena etwas andere Maße hat, mussten die Bremer dabei vor Ort ihre Laufwege noch ein wenig anpassen. "Die Stellprobe ist ordentlich verlaufen", sagt Trainer Roberto Albanese. "Die Mannschaft war fokussiert, vielleicht sogar schon etwas zu konzentriert." Auch Kapitän Michel Spiro zeigt sich mit der Generalprobe zufrieden: "Das war eine solide Leistung. Wir haben uns noch einmal die nötige Sicherheit geholt, darauf können wir aufbauen. Wir wollen wieder Weltmeister werden!"
Zwei volle Tage hat sich die Bremer Formation nun akklimatisieren können, auch die Zeitumstellung sollte deshalb kein Thema mehr sein, betont Vereinspräsident Jens Steinmann. "Die Mannschaft geht ausgeschlafen und fit in den Wettkampf." In puncto Vorbereitung hat der amtierende Weltmeister also alles getan, um seinen Titel verteidigen zu können. Ein Thema beschäftigt aber weiterhin die Gemüter: „Freedom and Peace“, Freiheit und Frieden. So nämlich heißt die neue Choreografie des Grün-Gold-Clubs. Es ist ein Thema, das in diesen weltpolitisch schwierigen Zeiten viele Menschen bewegt, sagt Steinmann. „Ich bin sehr gespannt darauf, wie unsere Choreografie in Hongkong ankommen wird“, sagt auch Co-Trainer Sven Emmrich.
Ankommt in einem politisch angespannten Umfeld. Hongkong ist seit 1997 Sonderverwaltungszone der Volksrepublik China unter Beibehaltung einer freien Marktwirtschaft und vertraglich vereinbarter Autonomie. Weil China diese Autonomie-Zusage in den vergangenen Jahren zunehmend gebrochen und die Freiheit der Bevölkerung eingeschränkt hat, kam es dort häufiger zu Massendemonstrationen und Protesten. Zuletzt wurden sogar Wahlgesetze geändert und viele prominente prodemokratische Aktivisten verhaftet. Galt Hongkong lange als Hort der Meinungsfreiheit, als Stadt der Toleranz und Tapferkeit, so hat die autoritäre Macht Pekings diese Freiheiten sukzessive eingeschränkt.
In dieser Gemengelage also wird sich der Grün-Gold-Club mit seiner Choreografie „Freedom and Peace“ präsentieren. Man habe das im Hinterkopf, aber die Darbietung sei keine politische Botschaft und biete deshalb auch keine Angriffspunkte, betont Roberto Albanese. Vielmehr wolle man zeigen, dass der Tanzsport verbinden und Grenzen überwinden kann. "Wir kritisieren niemanden und greifen niemanden an", sagt auch Kapitän Michel Spiro. "Unsere Choreo beinhaltet Werte, die wir vertreten. Wir setzen uns damit für die Menschen ein." Auf einem Teamabend bei Uta und Roberto Albanese habe sich die Formation intensiv mit den Inhalten der Choreografie auseinandergesetzt, schildert Spiro. "Wir haben uns gemeinsam Gedanken gemacht über die ausgewählten Songs. Es gab sogar kleine Referate zu den Liedtexten, deren Aussagekraft und Bedeutung. Damit haben wir alle abgeholt – das war ein berührender Abend."
In den Titeln der von Albanese entwickelten Choreografie geht es um Respekt, Akzeptanz und Toleranz. Um Stärke, Entschlossenheit, Mitgefühl und Empathie. Um Gleichberechtigung, Widerstand und soziale Verantwortung. Und es geht eben auch um die Sehnsucht nach einem besseren Leben. Transportiert und ausgedrückt durch sorgsam ausgewählte Musik, durch das facettenreich gestaltete Outfit und natürlich durch die perfekt abgestimmte tänzerische Darbietung. Das Grün-Gold-Team tanzt zu den Titeln „Stand up“ von Cynthia Erivo, „Freedom! '90“ von George Michael, „Man in the Mirror“ von Michael Jackson, „Think“ von Aretha Franklin und zur Ballade „Baraye“ des iranischen Musikers Shervin Hajipour aus dem Jahr 2022, die zur Hymne der Proteste im Iran geworden ist.
Das von Designerin Olga Vasilkova kreierte Outfit ist ebenfalls ein klares Statement für Freiheit und Frieden. Das Oberteil des Kleides gleicht von der Form einer weißen Taube, die eingearbeiteten Regenbogenfarben sollen Hoffnung symbolisieren, sagt Vasilkova. Die Damen tragen beim Einmarsch zudem ein mit Strass besetztes Tuch über dem Kopf und den Schriftzug Freedom im Graffiti-Stil auf ihren Röcken. Die Herren wiederum tanzen mit dem Friedenssymbol auf dem Rücken. Und passend dazu endet die mit vielen tänzerischen Highlights gespickte Hochgeschwindigkeitschoreografie: Im Schlussbild formiert sich das Team Hand in Hand zu eben diesem Friedenssymbol.
„Tanzen bedeutet Freiheit und Frieden“, sagt Tänzerin Jolina Quast. Diese Botschaft wolle man nun auch in Hongkong mit Stolz und Überzeugung auf die Fläche bringen. Die 19-Jährige hat die ersten zwölf Jahre ihres Lebens in Hongkong verbracht. Sie ist dort geboren und bis zur achten Klasse zur Schule gegangen. Die politische Lage habe sich in den vergangenen Jahren zwar verändert, trotzdem könne man sich in Hongkong ohne Angst bewegen, „das ist schon noch sehr entspannt“. Gleichwohl sagt Jolina Quast auch: „Ich bin gespannt, wie das Publikum reagieren wird.“ Fakt ist: Formationstanzen ist in China nicht so verbreitet, der Stellenwert dieses Sports ist in Fernost eher gering. „Es wird leise sein auf den Rängen“, ahnt Jolina Quast. Darauf müsse man sich vorab einstellen. Der Grün-Gold-Club ist bereit, gegen diese Stille anzukämpfen – und er will seine Botschaft für Freiheit und Frieden in die Welt senden.