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Fußball-WM der Frauen Der ewige Vergleich mit den Männern

Am Donnerstag beginnt in Australien und Neuseeland das WM-Turnier der Fußballerinnen. Das Auftaktspiel ist ausverkauft. Es hat sich viel getan im Ringen um Aufmerksamkeit. Und es bleibt noch viel zu tun.
19.07.2023, 13:29 Uhr
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Von Frank Hellmann

Es gibt nicht viel Besseres im Leben junger Menschen, als einen freien Tag in Sydney zu verbringen. Die Metropole an Australiens Ostküste wirkt auch an Wintertagen betörend, weil romantisch, trendig, charmant und unglaublich schön. Wer erstmals den Blick von der Harbour Bridge über die Bucht mit dem Opera House schweifen lässt, kommt aus dem Schwärmen nicht heraus. Insofern hat Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg alles richtig gemacht, ihren Fußballerinnen einen freien Montag zu gewähren, an dem die meisten aus dem abgelegenen Quartier in Wyong an der Central Coast hierher gefahren sind. Zum Sightseeing oder Whalewatching, Shoppen oder Schlemmen. Staunende Münder, leuchtende Augen. Kann eine Fußball-WM der Frauen, die am Donnerstag in Australien und Neuseeland beginnt, mehr bieten?

Bevor der zweifache Weltmeister Deutschland gegen Marokko in Melbourne (Montag 10.30 Uhr MESZ/ZDF) seine Mission zum dritten Stern beginnt, eröffnen erst einmal die Gastgeber: Neuseeland gegen Norwegen in Auckland (Donnerstag 9 Uhr MESZ/ARD) und Australien gegen Irland in Sydney (Donnerstag 12 Uhr MESZ/ARD) wollen jeweils einen emotionalen Startschuss geben, wobei das in Down Under sicher gelingt: Überall in Sydney sind Hinweisschilder angebracht, bloß nicht mit dem Auto in den Olympic Park fahren zu wollen. Das Australia-Stadion mit seinen 83.500 Plätzen wird ausverkauft, die Stimmung gigantisch sein.

Doch die Bilder dürfen nicht täuschen: Noch ist eine WM der Frauen bei allen Expansionsbestrebungen kein Event, um das sich die Massen um die Karten für jedes Spiel wie bei den Männern reißen. Es wird, insbesondere in Neuseeland, oft viele leere Plätzen geben, auch wenn die vom Weltverband Fifa gesteuerten TV-Kameras selten darauf schwenken.

Eigentlich wollte Australien ja jene große Männer-WM 2022 ausrichten, die letztlich in Katar stattfand. Im ersten Wahlgang rauschte der fünfte Kontinent bei der skandalumtosten Abstimmung 2010 mit nur einer Stimme durchs Rüttelsieb. Daraus resultierte, auch aus gewissem Trotz, die spätere Bewerbung fürs Frauen-Turnier 2023. Die Fifa konnte froh sein: Während der Vergabe mitten in der Corona-Pandemie sprangen bis auf Kolumbien alle Interessenten ab.

Die neunten WM-Auflage bei den Frauen wird erstmals mit 32 Teilnehmern ausgespielt. Mit deutlich mehr Teams aus Afrika, Asien, Süd- und Mittelamerika. Doch die Kluft zu Europa ist weiterhin groß, wo die Ligen viel schneller professionelle Strukturen entwickeln. Und in den USA und Kanada genießen Ikonen wie Alex Morgan oder Christine Sinclair fast traditionelle Rückendeckung eines breiten Publikums. Aber es tut sich was: Selbst die Macho-Nation Brasilien kann sich inzwischen für die ewige Marta und ihre deutlich jüngeren Mitspielerinnen begeistern. Dass Jamaika, Panama, Haiti und die Philippinen, Sambia und Marokko sich qualifiziert haben, macht die WM vielleicht nicht besser, aber bunter. Der Entwicklung des Frauenfußballs in diesen Ländern hilft es allemal.

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Fifa-Präsident Gianni Infantino rieb sich bei der WM 2019 in Frankreich die Hände, als weltweit die Quotenrekorde purzelten. Am Ende hatten weit mehr als eine Milliarde Menschen am Fernseher zugeschaut. Dazu kam eine gesellschaftliche Strahlkraft: Wie die rosafarbene Frontfrau Megan Rapinoe ihren Siegeszug zum vierten WM-Titel der US-Amerikanerinnen nutzte, um in ihrem Kampf gegen jede Form der Diskriminierung sogar Präsident Donald Trump die Stirn zu bieten, zog weite Kreise. Eine WM der Frauen ist, gerade wegen der ständigen Quervergleiche mit den Männern, die es in dieser Form in keiner anderen Sportart gibt, auch ein Kampf für Gleichberechtigung geworden.

Dabei sind deutsche Nationalspielerinnen in anderer Form beispielhaft. Es ist fast nur noch eine Randnotiz, wenn Lea Schüller ausführlich über ihre Partnerschaft mit der Seglerin Lara Vadlau spricht. Solche Offenheit ist den Männern im deutschen Profifußball bis heute fremd.
 Bei den Frauen wird auf dem Platz  weniger geschauspielert und gemeckert, vor der Kamera weniger geheuchelt oder gelogen – und trotzdem (noch) viel weniger verdient.

Die Fifa hat die Prämien mitsamt Bonuszahlungen und Abstellungsgebühren gegenüber 2019 auf insgesamt 150 Millionen Dollar verdreifacht. Zum Vergleich: Bei der Männer-WM in Katar kamen 440 Millionen Dollar zur Ausschüttung. Erstmals wird das Gros direkt an die Spielerinnen ausgeschüttet. Jede hat bereits 30.000 Dollar, umgerechnet 28.000 Euro sicher. Jede Weltmeisterin bekommt eine Viertelmillion.

In einem Video der australischen Spielergewerkschaft PFA kritisieren die 23 Spielerinnen des Gastgebers diese Regelung heftig, weil sie von ihrem Verband bereits dieselben Prämien wie die Männer bekommen. „Die Fifa bietet den Frauen für die gleiche Leistung weiterhin nur ein Viertel so viel Preisgeld wie den Männern“, heißt es. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass der Weltverband bei den Frauen nur ein Bruchteil der Summen wie bei den Männern einnimmt – sonst hätte es den TV-Streit mit den Fernsehanstalten der europäischen Kernmärkte nicht gegeben.

Die deutsche Rolle bei dieser Endrunde wird spannend. Die Ausrichter sind kein Politikum wie das Emirat Katar – daran wird sich keiner abarbeiten. Es geht vor allem um Aufmerksamkeit. Vor der WM 2019 musste Starstürmerin Alexandra Popp in einem rotzfrechen Werbespot noch fragen: „Weißt du eigentlich, wie ich heiße?“ Und dann der Satz: „Wir brauchen keine Eier, wir haben Pferdeschwänze.“ Solche Provokationen sind inzwischen überflüssig. Die EM hat  vor einem Jahr viel angestoßen. Die DFB-Frauen waren mit so viel Leidenschaft am Werk, dass beim verlorenen Finale gegen Gastgeber England fast 18 Millionen Menschen einschalteten. Rekordquote für ein Sportereignis 2022. Popp sagt heute: „Wir sind sehr authentisch unterwegs, und ich hoffe, dass das so bleibt.“

Gefährlich würde es, wenn der sportliche Erfolg ausbliebe. Was passieren kann. Zwar sollte die Gruppe mit Marokko, Kolumbien und Südkorea kein Stolperstein sein, doch ein mögliches Achtelfinale gegen Brasilien oder Frankreich wäre nach einem durchwachsenen Länderspieljahr und ernüchternden Testspielen eine hohe Hürde.

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