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Im Weserstadion Länderspiel in Bremen: Nur Füllkrug ist schon in EM-Form

Im Benefizspiel gegen die Ukraine im Bremer Weserstadion rettete eine schwache deutsche Mannschaft kurz vor Schluss ein 3:3. Werder-Stürmer Niclas Füllkrug gelang dabei ein historischer Treffer...
12.06.2023, 21:10 Uhr
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Von Jean-Julien Beer Olaf Dorow

Es sollte ein mitreißender Start ins EM-Jahr werden, schließlich beginnt in nur zwölf Monaten die Europameisterschaft in Deutschland. Doch in ihrem 1000. Länderspiel gelang der deutschen Mannschaft gegen die Ukraine nicht mal ein knapper Sieg. In höchster Not rettete das Team von Bundestrainer Hansi Flick ein schmeichelhaftes 3:3. Am Publikum lag es nicht: Mit 35.795 Zuschauern war das Weserstadion beim ersten Länderspiel in Bremen seit mehr als elf Jahren ausverkauft. Die Zuschauer waren willig – aber die deutschen Spieler waren auf dem Rasen bei Weitem nicht so gut, wie es Bundestrainer Hansi Flick später herbei reden wollte.

Dabei fing es günstig an fürs deutsche Team: Schon in der 6. Minute ertönte das berühmte Nebelhorn: Niclas Füllkrug, der schon vor dem Spiel vom heimischen Publikum gefeiert worden war und mit seiner kleinen Tochter einlief, hatte einen Schuss von Marius Wolf unhaltbar mit dem Knie abgefälscht, der Ball zappelte zum frühen 1:0 im Netz. Für den Werder-Torjäger war das eine Erlösung und ein Rekord zugleich: Gleich in der zweiten Minute hatte er nach einem misslungenen Rückpass der Ukrainer völlig frei neben das Tor geschossen. Jetzt war ihm doch noch das 1:0 gelungen – und damit schrieb er ein Stück Fußballgeschichte. Denn Füllkrug ist erst der fünfte deutsche Nationalstürmer, der in fünf aufeinander folgenden Länderspielen getroffen hat. Werders Eigengewächs steht damit in einer ruhmreichen Reihe: Vor ihm war das nur dem 54er-Weltmeister Max Morlock sowie Klaus Fischer, Andreas Möller sowie zweimal dem großen Gerd Müller gelungen.

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Einen deutschen Nationalspieler, der in sechs Länderspielen in Folge traf, gab es noch nie. Diesen alleinigen Rekord könnte Füllkrug schon am Freitag aufstellen, dann steht in Polen (20.45 Uhr) das nächste Länderspiel an. Am folgenden Dienstag (20. Juni) spielt Deutschland noch in Gelsenkirchen gegen Kolumbien (20.45 Uhr). Füllkrug erfuhr erst in der Halbzeitpause, dass er der Torschütze war: "Ich wurde angeschossen, das sind ja oft die schönsten Stürmertore."

Mit dem 1:0 im Rücken kam im Weserstadion Partystimmung auf. Sogar die Welle schwappte über die Ränge. Zur Freude der vielen ukrainischen Fans wurde das schnelle 1:1 durch Viktor Tsygankov durch den Videoschiedsrichter anerkannt (18.), die deutsche Defensive hatte bei diesem Konter mal wieder auf ihrer linken Seite zu wenig Tempo offenbart, wie schon beim WM-Aus in Katar. Im Abseits stand der Schütze nicht, er war nur schneller losgelaufen. Damit nicht genug der schwachen Abwehrarbeit: Kurz darauf nutzten die Gäste ein erstaunliches Durcheinander im Strafraum sogar zur 2:1-Führung durch Mykhailo Mudryk (23.) - ein Doppelschlag vor der Bremer Ostkurve binnen vier Minuten. Damit bestätigte sich ein beunruhigender Trend: Viele Jahrzehnte lang hatten die Gegner Angst vor den deutschen Abwehrspielern, inzwischen sind es eher die eigenen Fans, die sich Sorgen machen.

Mit dem Rückstand war die schöne Stimmung im Weserstadion erst einmal dahin. Leroy Sané traf kurz vor der Pause zwar per Freistoß noch die Latte, doch das Pfeifkonzert auf dem Weg in die Kabine verhinderte das nicht. Lauter wurden die Pfiffe dann sogar, als klar wurde, dass der Bundestrainer statt Füllkrug in der zweiten Halbzeit Chelsea-Legionär Kai Havertz stürmen ließ. Werders Torschützenkönig blieb in der Kabine und sah dort früh den dritten Treffer für die Ukraine, erneut durch Tsygankov (56.) – diesmal nach einem Patzer von Matthias Ginter. Das redete Flick nicht schön, sondern wiederholte eine bekannte Forderung: „Wir müssen kompromissloser verteidigen.“

Der große Ruck, mit dem die Nationalelf das Publikum mitreißen sollte und wollte, blieb lange aus – stattdessen ruckelte es auch in der zweiten Halbzeit bedenklich. Dabei hatte Flick klar formuliert: „Jedes Spiel ist jetzt dazu da, dass wir die elf Spieler für den EM-Start im nächsten Jahr finden.“ Die Europameisterschaft wird am 14. Juni 2024 in München eröffnet. In Panik will Flick nun aber nicht verfallen, er bemüht lieber die Vergangenheit: „Vor der Weltmeisterschaft 2006 gab es im März eine 1:4-Niederlage in Italien, da war eine wahnsinnig negative Stimmung. Trotzdem ist es ein Sommermärchen geworden.“ Er sei weiter überzeugt von der Mannschaft, die „in Ansätzen guten Fußball“ zeige. Er habe schon viele Teams trainiert und könne die hohe Qualität im Training einschätzen, meinte er etwas trotzig. Und fügte an: „Das Problem ist, dass die Mannschaft im Moment sehr schnell das Vertrauen in ihre Qualität verliert.“

Das Bremer Publikum ist halt hochklassigen Fußball gewohnt. Vielleicht haben sie deshalb ein bisschen gepfiffen.
Niclas Füllkrug

Die Fans im Stadion riefen angesichts des Rückstandes lauthals „Werder Bremen“. Füllkrug kommentierte das ironisch: "Das Bremer Publikum ist halt hochklassigen Fußball gewohnt. Vielleicht haben sie deshalb ein bisschen gepfiffen." Nur ein Jahr vor der Heim-EM ist das DFB-Team jedenfalls weit von einer begeisternden Form entfernt – und auch die neue Dreierkette in der Abwehr (Rüdiger, Ginter, Schlotterbeck) lässt deutsche Titelträume nur mit kühnsten Phantasien reifen. Immerhin: Das 1000. Spiel ging nicht verloren, weil der für Füllkrug gekommene Havertz erst selbst traf und dann einen Strafstoß herausholte, den Joshua Kimmich zum 3:3 verwandelte. Erst in der Nachspielzeit war somit wieder gute Stimmung auf den Rängen – doch der ersehnte Siegtreffer fiel nicht mehr. Der besondere Reiz dieses Spiels lag dann doch mehr am Benefizcharakter gegen einen sehr besonderen Gegner und nicht am deutschen Spiel. Füllkrug: "Trotz unseres vielen Ballbesitzes konnten wir das Spiel nicht kontrollieren."

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Übrigens: Das erste der tausend Spiele ging verloren, am 5. April 1908 mit 3:5 gegen die Schweiz. Die Schweizer waren in der 115-jährigen DFB-Geschichte der häufigste Gegner (53 Spiele). Im Moment ist die deutsche Mannschaft selbst ihr größter Gegner: Langsam, emotionslos, fehlerhaft und zweikampfschwach entfernt sie sich gerade noch weiter von der Weltspitze. Füllkrug ist mit nun sieben Toren in sieben Länderspielen einer ihrer größten Hoffnungsträger mit Blick auf die EM.

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