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Griff nach dem sechsten Stern Tokio-Marathon als Krönung einer speziellen Bremer Lauffreundschaft

Eigentlich sollte die Teilnahme am New-York-Marathon 2016 so etwas wie ein gegenseitiges Abschiedsgeschenk werden. Doch dann kam alles ganz anders. Heute sind Patrick Jahn und Stefan Harmsen unzertrennlich.
13.02.2024, 05:00 Uhr
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Tokio-Marathon als Krönung einer speziellen Bremer Lauffreundschaft
Von Jörg Niemeyer

Dreimal in der Woche lassen Stefan Harmsen und Patrick Jahn vormittags die Arbeit ruhen. Dann tauschen sie Hose und Jackett mit ihrer Laufbekleidung. Um 11 Uhr drehen sie ihre Runde. "Egal zu welcher Jahreszeit: Um 11 ist es immer hell", sagt Stefan Harmsen. Als sie 2016 mit ihrem ungewöhnlichen Treiben begannen, starteten sie noch in Borgfeld, inzwischen, nach dem Umzug ihrer Firma in die Straße Haferwende, geht es in Horn los.

Es ist eine ganz besondere Männer-Beziehung, von der 2010 wohl niemand gedacht hätte, dass sie sich derart entwickeln würde. Erst recht war damals nicht zu erwarten, dass eine gemeinsame Leidenschaft diese beiden nicht nur äußerlich so ungleichen Typen derart zusammenschweißen würde. Gut ein Jahrzehnt später lässt sich aber festhalten: Der 51-jährige Stefan Harmsen und der bald 35-jährige Patrick Jahn haben viel mehr gemeinsam als nur die Umsetzung ihrer verrückten Idee, die "World Marathon Majors" durchzustehen. Wer die sechs Marathonläufe von New York, London, Berlin, Chicago, Boston und Tokio beendet hat, der hat sich die Six-Star-Medaille redlich verdient. Weltweit sind es knapp 13.000 Aktive, die diese Medaille besitzen.

Wenn alles gut geht, woran Jahn und Harmsen nicht zweifeln, schließt sich am 3. März beim Tokio-Marathon ein Kreis, von dem anfangs selbst die Hauptdarsteller noch gar nichts wussten. Denn ursprünglich hatten sie New York als Einzelveranstaltung geplant – als möglichen großen Abschied zweier Freunde, von denen einer seine Zukunft in Übersee sah. "Nach meiner Ausbildung 2013 hatte ich eigentlich in die USA auswandern wollen", sagt Patrick Jahn, "das war der Plan." Und der war auch 2016 noch nicht zu den Akten gelegt.

2010 hatte Jahn seine Ausbildung unter Stefan Harmsen begonnen. "Ich habe Patrick als Azubi aufgedrückt bekommen", sagt der 51-Jährige mit einem breiten Grinsen. Vom ersten Tag an hätten beide gemerkt, dass sie trotz ihres beträchtlichen Altersunterschieds sehr gut zusammenpassen. Heute sind die beiden Kaufleute für Versicherungen und Finanzierungen nicht nur dick befreundet, sondern beruflich selbstständig und auch Partner. Patrick Jahn macht nicht den Eindruck, dass er das Scheitern seiner damaligen Auslandspläne bereut. "Ich glaube jetzt, dass das Leben hier besser passt, als wenn ich auswandern würde."

Weil die Chancen auf eine berufliche Karriere in den USA mit Studium besser schienen als ohne, studierte Jahn ab 2013 berufsbegleitend, blieb aber in seiner angestammten Firma in Bremen. Und dann haben die Berufs- und Laufkollegen darüber nachgedacht, was sie an gemeinsamer Aktivität machen können, bevor sie sich trennen. Der Impuls, der beider Leben entscheidend verändern sollte, ging im Herbst 2015 schließlich von einer Oktoberfestfeier in Hamburg aus. Im Verlaufe dieses Betriebsausflugs und, wie Jahn und Harmsen einräumen, nach dem Genuss einiger Getränke, entstand die Idee, Marathon laufen zu wollen. Und zwar nicht irgendeinen, sondern den in New York.

Weil Stefan Harmsen beim TSV Meyenburg als Fußballtrainer seines Sohnes eine Übungsleiterlizenz gemacht hatte und grundsätzlich Interesse an Traineraufgaben hatte, übernahm er diesen Job auch für sich und Patrick Jahn. Beide liefen zu dieser Zeit zwar schon gemeinsam und spielten nebenbei auch hin und wieder Fußball. Aber trotzdem hatte der Jüngere das Problem, dass er einige Kilos zu viel auf den Rippen hatte. Nachdem sich das Duo mithilfe einer Trainings-App ab Februar 2016 erst 100 Tage auf einen Halbmarathon und danach 100 Tage auf einen Marathon vorbereitet hatte, wog Patrick Jahn 25 Kilo weniger als vorher. Um den Preis, dass er kurz vor der lange gebuchten New-York-Teilnahme mit Knieproblemen kämpfte.

"Der Arzt riet mir ab, aber ich wollte Stefan nicht allein laufen lassen", sagt Patrick Jahn. Und so zogen sie ihren Plan durch. Nach etwa 30 gelaufenen Kilometern habe er seinen Partner zwar ziehen lassen müssen, doch zu diesem Zeitpunkt sei er sicher gewesen, dass auch er es ins Ziel schaffen würde. Harmsen lief 4:08 Stunden, neun Minuten nach ihm trudelte Jahn ein. New York sei emotional bisher der größte Lauf für sie gewesen, bestätigen beide. "Drei Millionen verrückte Zuschauer an der Strecke, 15 Grad und Sonnenschein, dann siehst du ständig die Skyline von Manhattan – das Ganze war einfach nur Party", sagt Stefan Harmsen. Als sie abends nach all den Strapazen "völlig tot" in einer New Yorker Burger-Bar saßen, wussten sie aber noch nicht, dass diesem Major-Marathon die anderen folgen sollten.

2017 war Harmsen verletzt, sodass Jahn allein am Bremen-Marathon teilnahm. Aber den Reiz, weiterzumachen, verspürten beide. Und dann zündete es. "Wir wollten das Größte machen, was es gibt – die Six Stars", sagt Patrick Jahn. Und so nahm ihre Laufkarriere Schwung auf. 2018 Chicago, 2019 Berlin, 2021 London und 2023 Boston: Damit waren fünf der sechs Majors absolviert. Und das, obwohl Harmsen – Homeoffice machte es auch in seinem Beruf möglich – für drei Jahre nach Costa Rica gegangen war, weil seine Frau dort als Lehrerin eine Stelle angenommen hatte. "Wir haben uns unsere Trainingsergebnisse gegenseitig geschickt und gemeinsam trainiert, wenn ich für einige Wochen in Bremen war", sagt der 51-Jährige, der im Vorjahr zum zweiten Mal, jetzt mit einem Freund aus Venezuela, den Berlin-Marathon lief.

Aktuell bereiten sich Jahn und Harmsen auf ihr "Meisterstück" vor: Tokio. Leider, wie sie sagen, ohne ihre Frauen, die beide Lehrerin sind und nicht freibekommen, um beim großen Marathon-Finale ihrer Männer dabei sein zu können. Am 3. März soll sich der Kreis also schließen. Die Zeit sei egal, sagen sie, sie wollen vor allem ins Ziel kommen und ihren "Sechser" komplettieren. "Wir wollen den Marathon genießen und werden ihn Seite an Seite laufen", sagt Stefan Harmsen. Das haben sie bei den anderen Marathons aus Gründen der Tagesform nicht immer hinbekommen, aber diesmal gehe es ihnen über alles.

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Und was kommt nach Tokio? "Irgendetwas wird uns anfixen", glaubt Stefan Harmsen. "Wir werden erst mal innehalten und zurückblicken, was wir in den letzten Jahren eigentlich gemacht haben", glaubt Patrick Jahn. Klar ist, dass sie weiter zusammen arbeiten und ihre Freundschaft pflegen werden. "Uns würde etwas fehlen, wenn wir kein gemeinsames Hobby hätten", sagt der Jüngere. Vielleicht starten sie bald in Sydney oder Kapstadt, denn es gebe Überlegungen, dass diese Marathons zu den bisherigen sechs Majors dazukommen könnten. Nicht gänzlich ausgeschlossen also, dass die morgendlichen 11-Uhr-Einheiten von Patrick Jahn und Stefan Harmsen auch in Zukunft Vorbereitungsläufe sein werden.

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