Die Lücken sind riesengroß, die die 2021 gestorbene Gisela Drygala und ihre im vergangenen August gestorbene Tochter Larissa in der Rhythmischen Sportgymnastik (RSG) hinterlassen haben. Doch die beiden Leitfiguren ihrer Sportart in Bremen haben die Arbeit natürlich nie ganz allein bewältigt. Es gab stets treue Weggefährtinnen und Weggefährten, von denen etliche jetzt dafür verantwortlich sind, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen. "Alle versuchen, die Riesenlöcher zu stopfen, die Gisela und Larissa hinterlassen haben", sagt die am Bundesstützpunkt (BSP) Bremen zur Cheftrainerin aufgerückte Birgit Passern, "jede Person kennt ihre Aufgaben, es läuft gut."
Was den Verantwortlichen am BSP bei der Organisation auf jeden Fall entgegenkommt: Sie haben Planungssicherheit. Immer mal wieder waren in der Vergangenheit Gerüchte aufgekommen, der Bremer BSP an der Universität sei in seiner Existenz bedroht. Doch jedes Mal haben es die Politiker und der Bremer Turnverband geschafft, der RSG die nötigen finanziellen Mittel bereitzustellen. Mindestens bis Ende 2025, möglicherweise sogar bis Ende 2026 sei der BSP Bremen derzeit abgesichert, sagt dessen Leiter Matthias Wiatrek. Das bisherige Anerkennungsverfahren sei ausgesetzt, weil künftig eine Agentur bundesweit über die Vergabe von Fördergeldern und BSP-Genehmigungen entscheiden soll.

Die neue Cheftrainerin Birgit Passern.
Da diese Agentur frühestens Ende 2025, vielleicht auch erst später vollumfänglich arbeiten kann, habe auch der Bremer Stützpunkt nun erst einmal Planungssicherheit für mindestens zwei weitere Jahre. Das hilft den Verantwortlichen zum Beispiel auch bei der Suche nach einer weiteren Trainerin. "Wir sind in guten Gesprächen", sagt Matthias Wiatrek, ohne weitere Details zu dieser Personalie zu nennen. Die derzeit einzige Vollzeittrainerin Birgit Passern sagt, dass eigentlich sogar zwei Vollzeitstellen unbesetzt seien. Angesichts der vielen Mädchen seien für eine optimale Betreuung drei Trainerinnen nötig, hätten Larissa Drygala und sie schon vor längerer Zeit gefordert. Aktuell wären alle Beteiligten erst einmal zufrieden, wenn wenigstens eine Trainerin ganz bald gefunden werden könnte.
"Wir können das Pensum auf Dauer nicht so leisten wie jetzt gerade", sagt die Cheftrainerin, "ich habe drei Trainingsgruppen und manchmal eine 60-Stunden-Woche." Darüber beklagt sich Birgit Passern gar nicht – vielleicht weil sie seit Langem erlebt, dass Rhythmische Sportgymnastik ohne übergroßes persönliches Engagement von Trainerinnen und Gymnastinnen kaum erfolgreich betrieben werden kann. "Alle arbeiten im Augenblick überdurchschnittlich viel", sagt die 58-Jährige. Sie ist froh, dass ihr mit Aleksandra Hemms (geborene Zapekina), Irina Hermansky-Pfennig, Gabriele Paul, Karina Pfennig und Vanessa Adams kompetente Unterstützerinnen zur Seite stehen. "Wir sind ein sehr dynamisches Team", sagt Passern, die auch dankbar ist, dass sich viele Mütter intensiv mit einbringen.
Während Larissa Drygala sich neben ihrer Tätigkeit am BSP auch um ihre Aufgaben bei Bremen 1860 gekümmert hat, kann sich Birgit Passern voll auf die Aufgaben am BSP konzentrieren. Das sei auch deshalb gut, weil sie viele Büroaufgaben von Larissa Drygala habe übernehmen müssen. Für die Vereinsbelange bei 1860 – und damit auch für die Bundesliga-Mannschaft – sind jetzt Aleksandra Hemms und Gabriele Paul zuständig. In der Deutschen Turn-Liga steht an diesem Sonnabend in Falkensee (Havelland) der zweite und bereits letzte Vorrunden-Wettkampf mit 1860 an. Am 30. September landete 1860 in der A-Staffel der Liga unter den fünf Vereinen auf dem dritten Platz.
"Rang zwei in der Endabrechnung wäre ein Traum", sagt Aleksandra Hemms, "aber wir visieren Rang drei an." Diese Platzierung ist gleichbedeutend mit dem Klassenerhalt. Die Erst- und Zweitplatzierten der Staffeln A und B bestreiten am 11. November in Bremen die Entscheidungskämpfe um die Meisterschaft und um Platz drei, während die Viertplatzierten gegen die beiden Zweitliga-Vizemeister um die Bundesliga-Zugehörigkeit kämpfen. Die beiden Bundesliga-Fünften steigen direkt in die zweite Liga ab.
Für den Veranstaltungsort Bremen wäre die Teilnahme von 1860 am Finale natürlich ein Zuschauermagnet – für den Verein selbst brächte sie das Risiko, im kommenden Jahr nicht mehr erstklassig zu sein. Wegen der Herbstferien trainieren die 13 Mädchen und Frauen, unter denen die frühere Olympia-Starterin Julia Stavickaja mit 25 Jahren die älteste ist, derzeit täglich vier Stunden, um in Falkensee in Bestform zu sein. "Alle sind hochmotiviert", sagt Aleksandra Hemms. Die Bremer Mannschaft besteht aus zehn Gymnastinnen von 1860, zwei vom OSC Bremerhaven und der für 1860 startberechtigten Schweizerin Lauren Grüniger, die in ihrer Heimat unter der in der Schweiz lebenden Karina Pfennig trainiert. In der Deutschen Turn-Liga ist es möglich und unter den Spitzenklubs auch üblich, dass die Vereine starke ausländische Gymnastinnen für die kurze Liga-Saison verpflichten.