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Integration durch Sport Vom Profispieler in Syrien zum Coach in Bremerhaven

Kinan Nader war Profi-Basketballspieler in Syrien, doch dann kam der Krieg. Heute ist er Trainer einer U18-Mannschaft in Bremerhaven und will nun seine Jungs zu Profis machen.
18.06.2019, 21:24 Uhr
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Vom Profispieler in Syrien zum Coach in Bremerhaven
Von Eva Przybyla

In Syrien hat Kinan Nader zuletzt jeden Tag Basketball gespielt und an seiner Karriere gefeilt. Doch dann begann der Krieg, der ihn 2015 zur Flucht aus seiner zerbombten Heimatstadt Homs nach Deutschland führte. Heute lebt der 28-Jährige in Bremerhaven und ist immer noch im Basketball zu Hause. Nur steht er jetzt am Spielfeldrand statt auf dem Feld. Nader ist Jugendtrainer bei der BSG Bremerhaven. Er macht eine Ausbildung zum Erzieher und arbeitet in einer Wohngruppe mit Jugendlichen, die nicht mehr bei ihren Eltern leben. Außerdem ist er pädagogischer Mitarbeiter an einer Schule in der Bremer Neustadt. Aber Basketball bleibt sein Leben.

An einem Sonnabend ist Nader wieder dort, wo seine Sportlaufbahn in Bremerhaven begann – beim offenen Training in der Ernst-Reuter-Sporthalle. Der 1,95 Meter große, muskulöse Hüne wirft einen Fußball zielsicher und entspannt in einen Basketballkorb, der hochgeklappt an der Decke hängt. Basketbälle gibt es in der Halle an diesem Tag nicht. Das stört keinen der Geflüchteten, sie wollen sowieso lieber Fußball spielen. Das geringe Interesse an Basketball kennt Nader schon aus seiner Jugend. „In Syrien gibt es nur wenige Menschen, die Basketball überhaupt kennen“, sagt er. Auch Nader kannte den Sport mit 14 Jahren nicht, bis ihn sein Sportlehrer zu einem Basketballtraining schickte. Er fand schnell Spaß an diesem rasanten Spiel und entwickelte sich zu einem erfolgreichen Center.

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Nader spielte in der ersten Liga Syriens, kämpfte im ganzen Land um Punkte. Auch wenn er als Profi-Basketballspieler galt, musste er nach den Abitur Geld verdienen. Nach einer Ausbildung arbeitete er als Kunstlehrer an einer Schule. Zwei Jahre musste er das Training unterbrechen, bis er schließlich während des Lehramtsstudiums wieder als Basketballspieler durchstartete. „Ich hatte nur Basketball im Kopf“, sagt Nader heute. Der nächste Schritt, die Aufnahme ins syrische Nationalteam, stand ihm bevor. Doch dann begann der Krieg. Er sollte ein Drittel von Naders Heimatstadt Homs zerstören.

Der Syrer floh 2015 mit etwas Geld über den Libanon und die Türkei nach Deutschland. Seine Familie blieb in Homs. In Bremen angekommen, informierte sich Nader schon in der Flüchtlingsunterkunft, wo er weiter Basketball spielen könnte. „Ich wollte direkt loslegen“, erinnert er sich. Zu einem Probetraining der ersten Herrenmannschaft des BTS Neustadt in Bremen ging er in Badehose und Sneakers – Sportsachen hatte er keine. Aber dann kam die Ernüchterung: Er konnte im Team nicht mithalten. „Ich war nicht bereit“, sagt er heute. Seine Fitness habe nicht ausgereicht. Eine Erfahrung, die sich wenige Monate später bei der ersten Herrenmannschaft in Cuxhaven wiederholte. Auch dort war er nicht gut genug.

Es kam alles zusammen

Ruth Rywak aus dem Vorstand der Bremerhavener Sportjugend (BSJ) erinnert sich noch gut an Nader in dieser Zeit. „Als er ankam, waren seine Ansprüche an sich selbst unheimlich hoch“, erläutert Rywak. Er habe gehofft, auch hier in einer Profiliga spielen zu können. Dass die Mannschaft in Cuxhaven ihn nicht aufnahm, erklärt sie sich nicht nur mit Naders fehlendem Training, sondern auch mit dem Niveau der syrischen Ligen: „Der Basketball in Syrien ist nicht Weltklasse“, sagt sie.

Es kam alles zusammen. Der geplatzte Traum von der Profikarriere in Deutschland, dazu das nicht anerkannte Lehramtsstudium aus Syrien. Doch Rywak half ihm, eine Perspektive in Bremerhaven zu finden. Sie habe ihn von einem Bundesfreiwilligendienst beim Bremerhavener Verein SFL überzeugt, sagt Nader. Im Rahmen des Dienstes baute er mit etwa 20 Geflüchteten zwischen 14 und 22 Jahren eine Basketballmannschaft auf und absolvierte die C-Lizenz als Basketballtrainer. „Viele haben bei null angefangen“, sagt Nader.

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Die Trainingssprache war Englisch. Ein halbes Jahr später wurde Nader zum Co-Trainer bei der BSG Bremerhaven für eine U 18-Mannschaft bestimmt. Zunächst sei er unsicher gewesen, sagt Nader. Er habe befürchtet, dass die Jugendlichen ihn ablehnen könnten. Heute weiß er: „Das war falsch.“ Die Mannschaft hätte ihn sofort als Trainer angenommen. Seit fast zwei Jahren trainiert er sie nun allein – mit viel Erfolg.

Auf Fotos steht der imposante Sportler mit gefalteten Händen wie ein Türsteher neben seinem Team. Die Jungen zwischen 13 und 18 Jahren sehen neben ihm klein und schmächtig aus. Einer der Jungs lacht in die Kamera. Ihn habe er aus der Flüchtlingsmannschaft geholt, erklärt Nader. Für Nils Ruttmann, Nachwuchsleiter bei den Eisbären Bremerhaven, ist genau das ein Gewinn. Die Hemmschwelle für Geflüchtete, in eine U 18-Mannschaft zu wechseln, sei dank Nader jetzt niedriger. Ruttmann hat Nader als Trainer beraten und begleitet. „Kinan ist sehr empathisch“, sagt der Ruttmann, der selbst ausgebildeter Coach ist.

Er will in die erste Liga

Nicht nur die Stimmung in der U 18-Mannschaft stimmt, sondern auch ihre Erfolge lobt Ruttmann. Das Team hat in diesem Jahr den zweiten Platz in der Bezirksliga geholt, im vergangenen Jahr sogar den ersten. Zu verdanken sei das auch dem Trainer, weiß Ruttmann. Nader sei kontinuierlich und verlässlich bei seiner Arbeit mit der Mannschaft. „Er arbeitet mit sehr hoher Ernsthaftigkeit und das kommt gut an“, sagt der Nachwuchsleiter. Sowohl die Jugendlichen als auch die Eltern seien sehr zufrieden mit Nader.

Ruttmann glaubt, dass der junge Coach auch in der nächsthöheren Liga, der Landesjugendliga, die Jugendlichen trainieren könnte. Doch dafür bräuchte man viel Zeit. Die könne Nader bei seinem hohen Arbeitspensum mit der Ausbildung sowie den zwei Jobs derzeit nicht aufbringen. Nader will trotzdem gern in die erste Liga, am liebsten mit seinem U 18-Team. Die Jugendlichen wollen Karriere machen, meint er. Dabei versuche er ihnen zu helfen. Dafür lehrt er sie Strategie, aber auch Fitness. Im Training setzt er nach eigenen Angaben auch Übungen aus Syrien ein, zum Beispiel „Seventeen“. Das sind 17 Linienläufe auf kurzer Distanz. Nader selbst spielt nur noch in der Oberliga, die Profi-Karriere ist längst abgehakt. Seine Ziele haben sich verändert: Er möchte die nächsthöhere Trainerlizenz erwerben.

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Zur Sache

Landessportbund bietet viele Angebote

Wie wichtig der Sport als Motor bei der Integration von Geflüchteten ist, hat die Politik in den vergangenen Jahren häufig erfahren. Denn Sportvereine sind oft die ersten Anlaufstellen für Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, um woanders ein neues Leben zu beginnen. Der Landessportbund Bremen (LSB) ist auf diese Menschen vorbereitet und bietet im Zusammenspiel mit dem Deutschen Olympischen Sportbund ein umfangreiches Maßnahmenpaket. „Wir wollen die Integration der Menschen mit und ohne Migrationshintergrund über Bewegungs-, Sport- und Spielangebote fördern und für eine sportbezogene Freizeitgestaltung im Verein motivieren“, heißt es bei der Integrationsberatung des LSB Bremen. Arbeitsschwerpunkte sind die Entwicklung und Durchführung von Sport- und Bewegungsangeboten, die Förderung von sportbezogenen Integrationsmaßnahmen, der Aufbau und die Begleitung von Stützpunktvereinen sowie entsprechende Qualifizierungsmaßnahmen. Informationen gibt es auf der Homepage unter lsb-bremen.de und per Telefon unter 04 21 / 79 28 70.

Weitere Informationen

Sie sind geflüchtet aus Syrien, Afghanistan oder anderen Ländern, um in Deutschland eine neue Heimat zu finden. Der WESER-KURIER porträtiert in loser Reihenfolge in der Serie „Integration Sport“ Menschen, die sich über den Sport in Bremen integriert und so eine neue Heimat gefunden haben. Den Auftakt macht der Syrer Kinan Nader, der sich beim Basketball in Bremerhaven engagiert.

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