Darauf ist Verlass: Tagen die Blumenthaler Beiratsfraktionen, sitzt Dietmar Segger neben ihnen. Und debattieren die Parteien über Bürgeranträge, ist mindestens einer von ihm dabei. Manche Leute sagen, dass er damit Gutes für die Quartiere tut, andere, dass er nervt. Warum Segger zu fast jeder Sitzung kommt, was ihn antreibt, auf Versäumnisse hinzuweisen – und davor zurückschrecken lässt, zum Politiker zu werden. Ein Porträt.
Er kann nicht anders. Das merkt man gleich. Segger spricht – und mitten im Satz bückt er sich, um Abfall aufzuheben, den irgendjemand auf den Weg geschmissen hat. Dabei spricht er weiter, als wäre das, was er macht, wie Luftholen: keine Erwähnung wert. Segger, 72, weißes Haar, rote Jacke, Brille, Zopf, redet gerade über Wichtigeres. Über den Stadtteil, der für ihn ein schöner Stadtteil ist. Und darüber, dass man sich darum kümmern muss, dass er schön bleibt.
Segger räumt einmal die Woche auf. Er gehört zu einem losen Bündnis, das sich grünes Blumenthal nennt und dessen Mitstreiter mal Laub harken, mal Büsche schneiden, mal sauber machen, einen Platz, einen Weg, einen Bürgersteig. Und er engagiert sich bei denen, die sich engagieren. Zum Beispiel beim Förderverein des Stadtteils und der Initiative Blumenthal. Segger sagt, im Grunde ständig unterwegs zu sein, um sich irgendwo für irgendetwas einzusetzen.
Am ersten, manchmal am zweiten Montag im Monat ist er nicht irgendwo. Dann sitzt er auf einem Stuhl, der mitunter so dicht bei den Plätzen der Stadtteilpolitiker steht, dass man meinen könnte, Segger säße bei ihnen in der zweiten Reihe. Oder ihnen im Nacken. Der gebürtige Ostfriese, vorübergehende Schleswig-Holsteiner und jetzige Blumenthaler sagt, höchstens einmal im Jahr eine Beiratssitzung zu verpassen. Wenn er im Urlaub ist, der nicht verschoben werden konnte.
Dass Segger so regelmäßig die Debatten der Parteien verfolgt wie andere die Spiele von Werder, hat einen simplen Grund: Er findet, dass Beiräte für Bürger da sind – und dass sich Bürger deshalb bei den Sitzungen immer wieder sehen lassen sollten. Auch, damit die Parteien daran erinnert werden. Segger sagt, kein Wächter und auch kein Kritiker zu sein. Sondern nur einer, dem auffällt, wenn etwas nicht so ist, wie es sein könnte – und der Abhilfe schaffen will. Ohne viel zu reden.
Das war schon immer so. Als Krankenpfleger im Klinikum Nord half er nicht nur Patienten, sondern machte im Flur auch mal Schrauben fest. Und als Schlosser beim Norddeutschen Lloyd machte er nicht nur Schrauben fest, sondern half den Beschäftigten auch, einen Streik zu organisieren. Segger war immer in der Gewerkschaft, aber nie in einer Partei. Er glaubt, dass Absprachen nichts für ihn sind. Müsste er sich politisch einordnen, wäre er irgendwo zwischen SPD und Grüne.
Und müsste er noch einen Grund nennen, warum er nie zum Parteigänger wurde, dann den: die ewig wiederkehrenden Debatten über ein und dasselbe Thema. Segger sagt, dass die Stadtteilpolitiker immer noch über Probleme diskutieren, die schon alt waren, als er anfing, so gut wie jede Beiratssitzung zu besuchen. Vor sechs Jahren war das. Er kritisiert, was auch Politiker kritisieren: dass alles so langsam geht in Bremen. Und alles gleich so kompliziert gemacht wird.
Auch bei seinen Anträgen. Segger will zum Beispiel, dass auf der Bahrsplate spezielle Gitterboxen für Grillkohle aufgestellt werden – aber der Beirat will erst einmal ein Gesamtkonzept für die Grünanlage. Er spricht sich für Fahrradständer beim Fähranleger aus – aber die Politik dafür, darauf zu warten, dass die Behörde welche aus ihrem Ständer-Programm für diesen Platz vorsieht. Segger sagt, für schnelle Lösungen zu sein und damit für manche zu schnell.
Er hat mittlerweile so viele Anträge gestellt, dass die Zahl, die er nennt, eine vage Zahl bleibt. Segger schätzt, im Jahr auf ein Dutzend Anliegen zu kommen. Wahrscheinlich sind es mehr. Es gibt Beiratssitzungen, in denen werden eine Handvoll Forderungen von Bürgern beraten – und fast alle sind von ihm. Inzwischen hat er gehört, dass manche Politiker ihn anstrengend finden. Nicht zuletzt deshalb, weil er immer wieder nachfragt, was aus seinen Anträgen eigentlich geworden ist.
Und weil er das ebenso von den Behörden wissen will, glaubt Segger, auch bei ihnen als schwierig zu gelten. Dabei, sagt er, ist die Sache einfach: Sie brauchen ihm nur zu antworten, dann hört das Fragen auf. Es sei denn, er versteht die Antwort nicht. Wie bei seinem zweitneuesten Antrag: Segger möchte, dass das Gerätehaus beim Spielplatz auf der Bahrsplate bunt angemalt wird – nur verhandelt der städtische Gebäudeverwalter nicht mit Privatpersonen. Segger soll nun einen Träger finden.
Manche würden aufgeben, er nicht. Vergangene Woche hat er wieder einen Antrag gestellt. Darin schlägt er für die Grünanlage an der Weser eine öffentliche Toilette vor. Sechs Zeilen lang ist seine E-Mail ans Ortsamt – seinen Dank und seine Blumenthaler Grüße mitgezählt.