Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Mit der Linie 94 unterwegs Was ein Busfahrer zwischen Blumenthal und Marßel erlebt

Hat der Bus Verspätung, ist manch ein Fahrgast auf der Palme. "Ruhe bewahren" lautet dann die Devise für Marco Uhlhorn. Was der Busfahrer auf seiner Strecke sonst noch erlebt, was ihn herausfordert und erfreut.
18.06.2025, 17:45 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Ulrike Schumacher

Das hätte auch im Krankenhaus enden können. Aber die jungen Männer, die in Vegesack über die Straße laufen, obwohl die Fußgängerampel für sie rot leuchtet, haben Glück. Marco Uhlhorn hat sie längst gesehen. Er ist auf der Hut. Und nun laufen sie ihm tatsächlich vor den Bus. Der hätte eigentlich Grün und somit freie Fahrt gehabt. Aber so einfach ist es nicht, weiß der Busfahrer. "Ich muss alles im Blick behalten und immer mit der Dummheit anderer rechnen."

Bahnhof Blumenthal bis Marßel und zurück – so lautet heute der Arbeitsplan für den 51-Jährigen. Zweimal hintereinander fährt Marco Uhlhorn diese Strecke an diesem Tag. In den Morgenstunden zuvor stand für ihn noch Bereitschaftsdienst auf dem Plan. Einspringen, falls eine Kollegin oder ein Kollege ausfällt. Kurz vor zwölf Uhr mittags steigt Marco Uhlhorn dann am Blumenthaler Bahnhof in die Linie 94 und übernimmt die Verantwortung für rund 150 Fahrgäste, die in dem Bus – 18 Meter lang, 18 Tonnen schwer – Platz hätten. Er ist beim Start etwa zu Dreivierteln besetzt. Im Rücken des Busfahrers entspinnen sich muntere Gespräche. An der Haltestelle Gerhard-Rohlfs-Straße kommen zu den Babys in den Kinderwagen nebst ihren Eltern noch zwei Seniorinnen mit ihren Rollatoren dazu. Im vorderen Bereich des Busses ist jetzt jeder Platz belegt. Auch der zum Stehen.

Die Kinder schlummern. Was aber nicht die Regel ist. Es gibt auch Fahrten, da brüllen die Lütten aus Leibeskräften und lassen sich kaum beruhigen. Dafür sorgt nun eine Gruppe junger Männer und Frauen, die an der Constructor-University den Bus wieder verlassen, für einen lebhaften Geräuschpegel. Im hinteren Teil des Busses nutzt jemand sein Handy zum Telefonieren und hat dabei den Lautsprecher eingeschaltet. Alle hören mit. Marco Uhlhorn erreicht inzwischen Knoops Park. Beruhigendes Grün rechts und links der Fahrbahn und Stille im Bus. Bis er sich ab Bahnhof Burg und Stader Landstraße wieder füllt. Die Fahrgäste strömen hinein, in ihren Augen steht die Frage: Gibt es noch einen freien Sitzplatz?

Fahrgastzahlen deutlich gestiegen

Die Zeitung fährt heute mit, weil sie sich ein Bild machen möchte. Was erleben Busfahrerinnen und -fahrer auf ihren Touren? Welchen Belastungen sind sie ausgesetzt? Zumal die Fahrgastzahlen deutlich gestiegen sind, wie der Verkehrsverbund Bremen/Niedersachsen (VBN) berichtet. "Die Menschen im VBN-Gebiet sind wieder deutlich häufiger mit Bus und Bahn unterwegs." Das belegen die Zahlen aus dem vergangenen Jahr: Rund 187,4 Millionen Fahrgäste seien 2024 im VBN-Gebiet in Bussen und Bahnen unterwegs gewesen. "Damit wurde sogar der bisherige Rekord aus dem Vor-Corona-Jahr 2019 um zwölf Millionen Fahrgäste übertroffen", sagt VBN-Geschäftsführer Rainer Counen. Da waren es 175,4 Millionen Menschen, die Busse und Bahnen nutzten.

Im Frühjahr haben auch Fahrerinnen und Fahrer der Bremer Straßenbahn AG (BSAG) im Zuge der Tarifverhandlungen gestreikt. Für eine bessere Bezahlung. Aber nicht wenige klagten auch darüber, dass die Wertschätzung nachgelassen habe. Auch seitens der Fahrgäste. Vielen Menschen, so hieß es, sei gar nicht klar, was Busfahrer auf ihren Touren erleben. Marco Uhlhorn nickt. Seit neun Jahren arbeitet er für die BSAG. "Schon nach meiner ersten Arbeitswoche hätte ich ein Buch schreiben können." Irgendwas passiert immer. Keine Fahrt ohne Herausforderungen. "Und die sind nicht berechenbar." Wie gerade jetzt in der Hindenburgstraße. Auf dem Parkstreifen hält ein Auto, die Fahrerin steigt aus und hinter ihr zwei Kinder, die auf die Fahrbahn laufen. Marco Uhlhorn muss ausweichen, gerade kommt kein Verkehr entgegen.

Augen wie Rundumleuchten

Seine Augen, schildert der Busfahrer die tägliche Situation, "müssen wie Rundumleuchten sein". Immer alles im Blick behalten: Fahrradfahrer, Fußgänger, Fahrgäste, motorisierte Verkehrsteilnehmer. "Die Sicht nach vorn und zur Seite ist super", sagt er. Aber die Sicht auf das Busende sei eingeschränkt. Das werde ab dem Sommer besser, wenn nur noch Elektrobusse auf Strecke gehen. "Die sind mit einem Kamerasystem ausgestattet." Der Bus rumpelt nun über die Stader Landstraße. Dass viele Straßen in einem schlechten Zustand sind, sei anstrengend, findet Marco Uhlhorn, der auch Streckenlehrfahrer ist und neue Fahrer ausbildet. "Es ist für mich eine Herzenssache, gute Leute an den Start zu bringen."

Lesen Sie auch

In Marßel ist erst einmal Endstation. Kurze Erholungspause für den Busfahrer. Sollte ihn jetzt die Blase drücken, muss er sich bis zum nächsten längeren Halt am Bahnhof Blumenthal den Toilettengang verkneifen. Das zählt auch zu den Herausforderungen des Jobs, den Marco Uhlhorn im Übrigen sehr gern macht. "Weil kein Tag dem anderen gleicht, weil man auf verschiedenen Strecken eingesetzt ist und somit Abwechslung hat, weil man mit den verschiedensten Menschen zu tun hat", zählt er auf. Auch im Kollegenkreis. "2500 Beschäftigte zählt die BSAG, 1300 von ihnen sind Bus- und Straßenbahnfahrer. Insgesamt sind es 41 verschiedene Nationalitäten", berichtet die stellvertretende BSAG-Pressesprecherin Katharina Rüßbült. Erfreulicherweise, sagt sie, "gibt es in Bussen und Bahnen kaum Übergriffe". Bei 108 Millionen BSAG-Fahrgästen im Jahr liege man bei etwas über 30 körperlichen Übergriffen – am häufigsten sei Spucken. "Nie Waffengewalt." Die Zahl der verbalen Übergriffe liege bei etwa 100. Was die Leute auf die Palme bringt: wenn der Bus Verspätung hat. Ruhe bewahren, ist Uhlhorns Devise. "Es nützt ja nichts, sich aufzuregen. Jede Verspätung hat immer einen Grund." Und Sicherheit gehe immer vor Pünktlichkeit. Sein Wunsch an die Fahrgäste sei daher: ein bisschen mehr Verständnis zu haben für die Verkehrssituation.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)