Herr Probst, die Alternative für Deutschland hat in Bremen Nord, und dort vor allem in Blumenthal und Burgdamm, bessere Ergebnisse eingefahren als in anderen Stadtteilen Bremens. Warum ist das so?
Je weiter wir in Bremen nach Norden schauen, desto exorbitanter fallen die Wahlergebnisse der AfD aus. Das hat sicherlich etwas damit zu tun, dass im Bremer Westen aber auch in Marßel, Lüssum oder Bremerhaven die sozialen Probleme größer sind als in anderen Stadtteilen. In einigen dieser alten Arbeiterviertel sind in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viele Einwanderer hinzugezogen. Es herrscht dort eine Konkurrenz auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt zwischen Alteingesessenen und Zuwanderern. Viele fühlen sich dadurch bedroht und sehen in der AfD eine legitime Stimme, die dieses Anliegen in die Öffentlichkeit transportiert.
Beschäftigt die AfD-Wähler in diesen Stadtteilen eher die Migrations- oder soziale Frage?
Das überlagert sich natürlich. Die sozialen Probleme führen dazu, dass sich viele Menschen in diesen Stadtteilen von der Politik abgehängt fühlen. Blumenthal hatte zum Beispiel früher eine prosperierende Industrie, heute ist das ein depressiver, abgehängter Stadtteil. Die Politik versucht zwar, zu investieren, das Zentrum wieder zu revitalisieren – aber bisher ohne durchschlagenden Erfolg. Die Menschen wählen entweder gar nicht mehr oder eine rechtsextreme Partei. Die AfD verspricht ja: 'Wenn wir das Problem der Migration lösen, verschwinden auch alle anderen Probleme.' Das ist natürlich eine Milchmädchenrechnung. Aber viele Menschen glauben der AfD. Aber auch Bürger, die nicht aus wirtschaftlich schwachen Haushalten kommen, wählen die AfD – wegen ihrer kulturpolitischen Agenda. Sie befürworten einen autoritären Staat, der durchgreift. Sie sind gegen das Gendern oder dass die Grünen wie eine Art Sprachpolizei vorgeben, was man noch sagen darf.
Wird die AfD aus Überzeugung oder Protest gewählt?
Wir sprechen seit mehr als zehn Jahren über die AfD. Viele Menschen wissen, dass es sich um eine rechtsextreme Partei handelt. Trotzdem wird sie gewählt. Vielen AfD-Wählern ist es also zumindest egal oder sie teilen sogar die Überzeugungen, die diese Partei in ihrem Programm artikuliert: also raus aus der Europäischen Union und dem Euro, eine harte Migrationspolitik und stringente Bekämpfung der Kriminalität. In Bremen ist die AfD bisher wirklich nicht durch konstruktive Arbeit aufgefallen und hat sich heillos zerstritten. Trotzdem bekommt sie in manchen Stadtteilen 15, 20 oder gar 25 Prozent. Aber sicherlich wollen auch einige Wähler den anderen Parteien nur einen Denkzettel verpassen.

Lothar Probst
Was befürchtet die alteingesessene Bevölkerung in Marßel oder Lüssum angesichts der vielen Migranten?
Es ist bekannt, dass wir in Bremen zu wenig Wohnraum haben. Die Politik baut aber zu wenige neue und bezahlbare Wohnungen.Und in Stadtteilen wie Blumenthal finden sich natürlich auch nicht so viele gute Job-Angebote. Wenn Flüchtlinge und Migranten eine Arbeitserlaubnis bekommen, drängen sie auch noch auf dem Markt. Da Flüchtlinge ja auch irgendwie bezahlt werden müssen, befürchten viele Menschen, dass das Geld an anderer Stelle fehlen wird – zum Beispiel beim Bürgergeld.
Interessant, dass Sie das Bürgergeld ansprechen. Die AfD möchte das ja reformieren, was den Beziehern schaden würde. Nehmen die Wähler die wirtschaftsliberale Agenda der AfD gar nicht wahr?
Viele AfD-Wähler sind sich gar nicht bewusst, dass sie bei einer Regierung dieser Partei Nachteile hätten. Aber nur wenige Menschen lesen Parteiprogramme. Sie machen ihre Wahlentscheidung von ihrer Grundüberzeugung abhängig oder entscheiden sich intuitiv und emotional. Das hilft natürlich der AfD. Dass die Rechtsextremen der deutschen Wirtschaft und auch den Arbeitnehmern schaden, durchblicken viele Bürger nicht. Wenn Deutschland aus der EU austritt, ist das für die Wirtschaft ein Desaster, viele Arbeitsplätze gehen dann verloren. Allerdings haben in diesen Stadtteilen viele Menschen auch nur eine geringe formale Bildung. Sie sind politisch nicht wirklich interessiert und informieren sich auch nur selten.
Arno Staschewski, AfD-Kandidat für Bremen-Nord, sagt, dass auch viele Menschen mit Migrationshintergrund seine Partei wählen. Hat er recht?
Ich kenne keine Analysen, aus denen hervorgeht, dass besonders Menschen mit Migrationshintergrund AfD wählen. Aber bekannt ist: Eine Zuwanderergruppe präferiert die in Teilen rechtsextreme Partei: Das sind die Russlanddeutschen, die zum Beispiel in der Lüssumer Heide und in Marßel leben.Sie konsumieren russlandnahe Medien wie Russia Today und liebäugeln mit autoritären Strukturen. Und sie finden gut, was die AfD zu ihrem Heimatland sagt: ‚Putin ist ja gar nicht so schlimm, die Ukraine soll mal zu Potte kommen und Selenskyj ist der eigentliche Bösewicht.' Aber grundsätzlich wählen Deutsche mit Migrationsgeschichte eher SPD, Grüne und Linke als CDU oder AfD.
In ehemaligen SPD-Hochburgen wie Bremen-Nord oder Gelsenkirchen sind nun die Rechtspopulisten stark. Ist die AfD die neue Arbeiterpartei?
Deutschland hat heute eine andere Sozialstruktur als noch zu Beginn des Jahrhunderts oder vor 50 oder 60 Jahren. Heute bezeichnen sich nur noch wenige explizit als Arbeiter. Trotzdem ist die AfD auch für Arbeiter attraktiv. In Ostdeutschland wählen aber vor allem Menschen aus dem Sicherheitsapparat, dem Kleingewerbe, dem Mittelstand sowie Angestellte und Beamte diese Partei. Sie haben keine ernsthaften sozialen Probleme, befürchten aber, dass sie mit der Globalisierung ihre nationale Zugehörigkeit verlieren. Abgesehen davon ist die SPD schon lange keine Arbeiterpartei mehr. Heute unterstützen vor allem Rentner, die sich noch an Willy Brandt erinnern, sowie Angestellte und Beamte des öffentlichen Dienstes die Sozialdemokraten. Klar, die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter in den größeren Betrieben wählen auch heute noch SPD sowie Linke. Außerdem: Laut Wählerwanderung kommt der Löwenanteil der AfD-Wähler von der CDU.
Unterscheidet sich die Wählerschaft in westdeutschen Großstädten wie Bremen von der in Ostdeutschland?
In Ostdeutschland erfährt die AfD eine breitere Unterstützung und ist eine akzeptierte Kraft. Auf kommunaler Ebene arbeiten die anderen Parteien mit der AfD zusammen. Und viele Ostdeutsche akzeptieren mit einem Schulterzucken ihre Wahlergebnisse und sagen: ‚Na ja, schön ist das nicht´. In Westdeutschland erschrecken sich bei solchen Wahlergebnissen immer noch viele Leute. Kirchen, Gewerkschaften, Parteien und Bewegungen leisten Widerstand gegen die Rechtsentwicklung, das ist in Ostdeutschland viel schwächer ausgeprägt.
Was können Parteien der Mitte wie SPD, CDU und Grüne tun, um AfD-Wähler zurückzugewinnen?
Ein Verbot der Partei würde, glaube ich, nicht weiterhelfen. Es entstünde der Eindruck, dass man einen unliebsamen Mitbewerber ausschalten möchte. Die anderen Parteien aber auch Kirchen, Gewerkschaften und die Zivilgesellschaft müssen mit demokratischen Argumenten AfD-Positionen widerlegen und ihr die Hoheit über Themen, von denen sie profitiert, entreißen. Friedrich Merz hat es ja neulich im Bundestag mit einem Entschließungsantrag und einem Gesetzentwurf zur Migrationspolitik versucht. Das hat sich für die CDU bei der Bundestagswahl nicht ausgezahlt und die AfD hat es auch nicht kleiner gemacht. Schon früher haben die Parteien angekündigt, wie sie die AfD stellen wollen. Aber die Rechtspopulisten sind immer weiter gewachsen, da die Migrationsfrage weiterhin relevant und emotional aufgeladen ist. Die Parteien und Medien sind in der Verantwortung, viel mehr über gelingende Migration und Integration zu reden: Zeitungen und Fernsehsender sollten jeden Tag Berichte bringen über Migranten, die eine Firma gegründet haben, die Steuern zahlen, die als Pfleger oder Ärzte arbeiten. Das würde wahrscheinlich auch das politische Klima verändern.