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Im Bremer Norden Fast jeder Zweite in Marßel hat die AfD gewählt

Die AfD konnte in Marßel, einem Quartier im Bremer Norden, einen hohen Stimmenanteil gewinnen. Die Reaktionen der Anwohner auf das Ergebnis sind unterschiedlich, viele sind schockiert.
26.02.2025, 05:00 Uhr
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Von Julia Assmann, Philipp Tappe

Nicht alle sind überrascht, dass die AfD in Marßel, einem Quartier im Ortsteil Burgdamm im Norden der Stadt, einen hohen Stimmenanteil einfahren konnte. Dass er allerdings derart hoch ist – im Wahlbezirk Burgdamm 02 gewann die Partei von Chefin Alice Weidel 47,2 Prozent der Zweitstimmen für sich – schockiert viele dann doch. Am Dienstagvormittag ist auf dem Parkplatz am Marßeler Einkaufszentrum einiges los. Menschen eilen in den Supermarkt, stehen für ein frühes Mittagessen am Imbisswagen an, unterhalten sich mit Bekannten.

Maria Schmolke schließt gerade ihr Fahrrad an. Die Rentnerin will einkaufen gehen. Auf das Wahlergebnis angesprochen, reagiert sie schockiert. "Dass der Stimmenanteil hier so hoch ist, wusste ich nicht", sagt sie und betont gleich: "Wir haben nicht die AfD gewählt." Mit "wir" meint sie sich und ihren Mann. Sie wohnen seit 50 Jahren in Marßel. Im Laufe der Jahre sei der Ausländeranteil sehr gestiegen, erzählt sie. "Vielen Nachbarn und Bekannten, mit denen ich spreche, ist das zu viel." Sie vermutet, dass dies ein Grund dafür sein könnte, dass die Menschen ihr Kreuz bei der AfD gemacht haben. Auch dass die Zahl der Sozialwohnungen in Marßel sehr hoch ist, könnte eine Rolle spielen, glaubt Maria Schmolke.

Der Ausländeranteil in Burgdamm lag am 31. Dezember 2023 bei etwa 25 Prozent. Das geht aus einer Tabelle des Statistischen Landesamts hervor. Demnach waren zu diesem Zeitpunkt 2609 der insgesamt 10.794 Einwohnerinnen und Einwohner Ausländer. Vor einem Jahr wurde das Geld aus dem Förderprogramm „Wohnen in Nachbarschaften“ (WiN), mit dem besonders benachteiligten Gebieten geholfen werden soll, für Marßel von 75.000 auf 150.000 Euro verdoppelt. "In den letzten Jahren fand ein starker Zuzug durch Geflüchtete und Zugewanderte statt", erklärte das Sozialressort dazu im Februar 2024. Für die Festlegung der WiN-Förderung wird ein Sozialindex erhoben, bei dem Indikatoren wie der Sprachförderbedarf von Kindern, die Nicht-Abiturquote und der Anteil der Empfänger von Sozialleistungen eine Rolle spielen. Die Lage in Marßel hatte sich demnach ziemlich verschlechtert.

"Es gibt viele Probleme zu lösen", sagt Marion Bartz, die ebenfalls zum Einkaufen nach Marßel gekommen ist. Sie selbst wohnt in Ritterhude, hat aber Freunde und Bekannte in Marßel. "Ich habe befürchtet, dass die AfD hier viele Stimmen bekommt, aber dass es so viele werden, habe ich nicht gedacht", sagt sie. "Ich höre von Leuten, die in Marßel wohnen, dass sie unzufrieden sind. Viele stört der hohe Anteil an Ausländern. Die Fremden machen ihnen zu schaffen", schildert sie.

Das war zu erwarten. Ich habe damit gerechnet.
Ulrich Krause

Wenig überrascht zeigt sich Ulrich Krause. Der Rentner ist in Marßel aufgewachsen und vor einiger Zeit wieder in den Ortsteil seiner Jugend gezogen. Sein Vater, erzählt er, war früher Hausmeister in der Gemeinde der Söderblomkirche. "Das war zu erwarten. Ich habe damit gerechnet", sagt er zum Wahlergebnis. Wenn er einkaufen geht, trifft er häufig Bekannte, auch von früher. "Viele haben mir vorher schon gesagt, dass sie die AfD wählen werden." Auch er sieht als Ursache für den Wahlausgang den hohen Ausländeranteil. "Das ist hier ein Ballungsgebiet. Die paar Deutschen, die hier noch leben, fühlen sich nicht mehr wohl."

Britta Philipsen ist über das Wahlergebnis entsetzt. Die junge Mutter drückt sich drastisch aus: "Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte. Ich kann verstehen, dass man mit der Politik unzufrieden ist, das bin ich auch. Aber das ist doch keine Alternative." Die Ursache für den Erfolg der in Teilen rechtsextremen Partei sieht sie weniger in Problemen im Ortsteil als vielmehr im Wahlkampf auf Bundesebene. "Der Wahlkampf war nur auf Migration ausgelegt. Als ob es nichts anderes gäbe: Die Schulen sind kaputt, es gibt zu wenig Kitaplätze und die Wirtschaft ist desolat." Für sie und ihre junge Familie sei das Ergebnis schwierig. "Mein Mann hat arabische Wurzeln. Wir überlegen wirklich, ob wir auswandern sollten."

Auch Menschen mit Migrationshintergrund wählen in Marßel AfD.
Werner Müller

Für Werner Müller spielt bei der Entscheidung, ob jemand die AfD wählt, die Schulbildung eine Rolle. „Manche in Marßel haben ein einfaches Gemüt. Sie wollen nicht lange nachdenken, sondern eine klare Ordnung haben.“ Der ehemalige Integrationsbeauftragte und jetzige Sprecher der Sportgemeinschaft (SG) Marßel sagt: „Alice Weidel spricht immer in ganz einfachen Sätzen. Die Politiker anderer Parteien hingegen versuchen, Sachverhalte zu erklären“, sagt Müller. Auch Menschen mit Migrationshintergrund wählen in Marßel AfD, zeigt er sich überzeugt. "Sie leben schon lange in Deutschland, sind integriert und arbeiten. Sie haben das Gefühl, dass die neuen Hinzukommenden ihnen etwas wegnehmen, etwa wenn sie keinen Job haben“, sagt Müller. Flüchtlinge dürfen aber auch nicht sofort arbeiten, betont er. Russlanddeutsche, von denen viele in Marßel leben, geben der AfD ebenfalls ihre Stimme, "auch wegen ihrer Russlandnähe", sagt der Vereinssprecher. „Außerdem kommen sie nicht immer mit unserem System klar.“

An der Helsingborger Straße ist Oliver Husem-Nowak soeben mit seinem Hund aus dem Haus gekommen. "Woran das liegt, ist klar", sagt der 52-Jährige zum Erfolg der AfD: "Es muss sich etwas ändern." Er erklärt ihn sich allerdings nicht mit Problemen in Marßel. "Ich bin hier groß geworden und habe kein Problem mit dem Ausländeranteil. Mich stört vielmehr, dass das Geld in andere Länder geschickt wird, während hier alles im argen liegt. Unsere Straßen sind kaputt, die Schulen sind marode, ebenso wie das Gesundheits- und das Rentenwesen."

Das Ergebnis muss in Relation zur Wahlbeteiligung gesehen werden.
Katharina Fischer

Im Café des Nachbarschaftshauses am Helsingborger Platz sitzen Frauen und Männer aus der Umgebung zum Mittagessen zusammen. Unter ihnen ist Norbert Peters, der Vorsitzende des Vereins Nachbarschaftshaus Marßel. Er sei "nicht unbedingt überrascht, aber erschrocken" darüber, dass die AfD im Ortsteil so viele Stimmen bekommen hat. "Ich vermute, es ist Protest gegen die Politik", sagt er. Und gibt zu bedenken: "Es hängt natürlich auch mit der Wahlbeteiligung zusammen." Das betont auch Quartiersmanagerin Katharina Fischer, die ihr Büro im Nachbarschaftshaus hat. "Das Ergebnis muss in Relation zur Wahlbeteiligung gesehen werden." Die lag im Wahlbezirk Burgdamm 02 bei 49,7 Prozent. Von insgesamt 805 Wahlberechtigten haben 400 Personen gewählt.

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