Auch wenn die ersten Beiräte wieder in Präsenz tagen, soll die digitale Form der Sitzungen damit nicht automatisch abgeschafft werden. Dafür haben sich zumindest die meisten Nordbremer Stadtteilparlamente ausgesprochen. Sie wollen digital bleiben und nach Möglichkeit noch digitaler werden. Über gestreamte Debatten, die im Internet live verfolgt werden können, wird ebenso diskutiert wie über hybride, bei denen Wortmeldungen sowohl im Saal als auch online möglich sind – ohne das heute jemand genau sagen kann, wie beides eigentlich zusammengeführt werden soll.
Unterstützung für Beiräte, die netztauglich werden wollen, gibt es seit Längerem. Bremen hat einen Etat in Höhe von 300.000 Euro bereitgestellt. Die finanzielle Hilfe ist quasi eine Corona-Hilfe. Das Geld stammt aus dem Bremen-Fonds. Wie lange es noch reicht, kann Karl-Henry Lahmann nicht sagen. Der Mitarbeiter der Senatskanzlei weiß nur, welche Summen bisher abgerufen wurden. Ihm zufolge waren es im vergangenen Jahr 15.000 und in diesem bisher 18.000 Euro. Die Beträge wurden unter anderem für einen Dienstleister ausgegeben, der Debatten ins Internet überträgt – für 1800 Euro pro Sitzung.
Manche Bürgerschaftsparteien wollen mehr möglich machen. Zum Beispiel die Fraktion der Grünen. Sie fordert, dass Sitzungen dauerhaft gestreamt werden können und auch dauerhaft Geld dafür da ist – also auch nach einem Ende der Pandemie. Ralph Saxe, der bei den Grünen unter anderem Sprecher für Beiräte ist, hat sich vergeblich dafür eingesetzt, dass im nächsten Haushalt 400.000 Euro für die Stadtteilparlamente bereitstehen. Jetzt will er die Hälfte, weil ihm zufolge auch die Hälfte der Beiräte digitaler werden will. Worauf sich die Nordbremer Parlamente einstellen und welche Herausforderungen die Ortsamtsleiter sehen - ein Überblick:
Blumenthal: Die Fraktionen haben Oliver Fröhlich schon häufiger gesagt, dass die Digitalisierung der Beiratsarbeit, die durch Corona beschleunigt wurde, nicht mehr wegzudenken ist. Und dass sie sich im Prinzip beides vorstellen können, wenn es die Pandemie zulässt: Präsenz- und Onlinesitzungen. Und vielleicht auch beides zugleich. Der Ortsamtsleiter sieht das ähnlich – wenn denn vorher ein Problem gelöst ist, dass ihm zufolge andere Ortsamtsleiter nicht haben. Der Blumenthaler Beirat hat keinen festen Tagungsort, sodass die Technik, die für die Übertragung von Sitzungen erforderlich ist, jedes Mal auf- und wieder abgebaut werden müsste.
Fröhlich weiß, dass es ein Budget bei der Stadt gibt, aus dem er schöpfen könnte. Nur wird es seiner Meinung nach schnell verbraucht sein, wenn alle 22 Beiräte sämtliche Sitzungen streamen lassen und dabei auf Zuschüsse zurückgreifen. Er glaubt, dass es günstiger ist, den Beiräten Geld für Technik zu geben – und diese Technik fest in einem Sitzungssaal zu installieren. Vorausgesetzt: Sie haben einen. Fröhlich rechnet damit, dass das in Blumenthal erst in einigen Jahren so weit sein wird. Er spekuliert auf Räume im neuen Kämmerei-Quartier. Vor der Pandemie haben die Fraktionen zuletzt in einem Restaurant getagt.
Dass alle Sitzungen im Internet übertragen werden, kann sich Fröhlich leichter vorstellen als hybride Sitzungen. Er sagt, dass dafür sowohl eine ausgefeiltere Technik als auch mehr Personal erforderlich ist. Wie, fragt er, soll jemand allein den Überblick behalten, wenn er nicht nur die Diskussion in einem Saal koordinieren soll, sondern zusätzlich im Internet. Geklärt werden muss seiner Meinung auch, ob allein das Publikum die Wahl hat, wie es an einer Sitzung teilnimmt oder auch die Politik. In diesem Fall geht er von einem komplizierten Abstimmungsprozedere aus. Und davon, dass der Senat für mehr Rechtssicherheit sorgen muss.
Burglesum: Ortsamtsleiter Florian Boehlke hat bereits Erfahrungen mit gestreamten Beiratssitzungen. Als es die Inzidenzwerte noch zugelassen haben, gab es zuletzt Präsenzsitzungen in einer Schulaula, die vom Ersten Lesumer Fernsehen gefilmt und auf Youtube zu sehen war. Kostenlos. Boehlke spricht von einer Internetübertragung der Marke Eigenbau. Und davon, dass zwar die Zahl der Online-Nutzer, die live zugeschaltet waren, gering war, aber die der Klicks an den Folgetagen deutlich größer. Die Aufzeichnungen wurden bis zu 160 Mal aufgerufen. Zwei gab es.
Für den Ortsamtschef ist die Resonanz ein Beleg dafür, dass mit dem Streamen der Debatten mehr Menschen erreicht werden als allein mit Präsenzsitzungen. Er sagt, dass keine Fraktion des Stadtteilparlaments auf die digitalisierte Form der Beiratsarbeit verzichten will. Nach Boehlkes Ansicht hat sie sich nicht nur bei den Sitzungen des Parlamentes bewährt, sondern auch bei den regelmäßigen Treffen der Fraktionssprecher. Er geht davon aus, dass die sich auch weiterhin online abstimmen werden, weil Zeit knapp ist und Absprachen per Videokonferenz meistens schneller gehen.
Wie es mit den Sitzungen des Beirates weitergeht, wird sich ihm zufolge in den nächsten Wochen zeigen. Die Fraktionen wollen darüber beraten, ob sie nach den Herbstferien wieder in Präsenz tagen und die Debatten aufgezeichnet werden sollen. Dass es zeitnah – oder überhaupt – zu hybriden Sitzungen kommt, hält Boehlke für unwahrscheinlich. Zu viel, meint er, ist noch unklar. Boehlke geht es nicht nur um die Frage des Geldes und des Personals, sondern auch um eine Antwort darauf, ob es nicht auch eine Novelle des Beirätegesetzes braucht. Er geht davon aus, dass frühestens im nächsten Jahr feststeht, wie es laufen könnte.
Vegesack: Der Vegesacker Beirat wird am kommenden Montag der erste im Bremer Norden sein, der sich wieder vor Ort im Sitzungssaal trifft anstatt virtuell per Videokonferenz. Im Gegensatz zu den Stadtteilpolitikern haben Bürgerinnen und Bürger allerdings die Wahl, ob sie den Beratungen im Ortsamt oder von zu Hause aus beiwohnen. Wer sich jedoch für Letzteres entscheidet, kann nur zuschauen, sich aber nicht inhaltlich einbringen, betont Ortsamtsleiter Heiko Dornstedt. „Das wäre personell nicht leistbar“, sagt er. „Ich kann nicht eine Präsenz-Sitzung leiten, mit Beiratsmitgliedern und Referenten kommunizieren und darüber hinaus noch mit Menschen, die sich von zu Hause aus zuschalten.“
Dass Bürgerinnen und Bürger, die die Sitzung über das Internet verfolgen, sich nicht beteiligen können, werde auch in den anderen Ortsämtern so gehandhabt. „Wir haben uns untereinander abgestimmt und gesagt, dass wir den Livestream ermöglichen, aber nur zum Zugucken und Zuhören“, sagt Dornstedt.
Damit die Sitzung live im Internet übertragen werden kann, muss der Sitzungssaal mit mehreren Kameras ausgestattet werden. Dafür ist ein Dienstleister zuständig, der auch den Livestream der Bürgerschaft verantwortet. Zum ersten Mal ist das Unternehmen allerdings nicht in Vegesack. „Vor einiger Zeit hat der Dienstleister schon einmal eine Beiratssitzung aus Vegesack im Internet übertragen“, erzählt Dornstedt. „Nun nehmen wir das Angebot wieder wahr.“
Wie oft das Ortsamt die Firma noch beauftragen wird, kann Heiko Dornstedt nicht sagen. „Ich wünsche mir nichts mehr, als zu einer ganz normalen Arbeit zurückzukehren“, sagt er. „Das ist doch gelebte Demokratie, wenn man sich ins Gesicht guckt und inhaltlich austauscht.“ Doch wann das wieder vollumfänglich möglich ist, hänge von der weiteren Entwicklung der Corona-Pandemie ab.