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Herr Schlichting geht Was der Kontaktpolizist im nördlichsten Revier Bremens erlebt hat

Acht Jahre war Fred Schlichting im nördlichsten Revier der Stadt im Einsatz. Jetzt hört der Kontaktpolizist auf – zur Abschiedsfeier kamen Hunderte.
30.06.2023, 12:00 Uhr
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Was der Kontaktpolizist im nördlichsten Revier Bremens erlebt hat
Von Christian Weth

Diesen Polizisten kennt so gut wie jeder im Quartier: Kaum eine Straße kann er überqueren, ohne zu grüßen oder gegrüßt zu werden: Moin Herr Schlichting! Hallo Herr Schlichting! Guten Tag Herr Schlichting! Es ist schon lange her, dass er sich jemandem in Farge und Rekum mit Namen vorstellen musste. Jahre. Und weil er vielen bekannt ist, sind auch viele gekommen, um ihn zu verabschieden – rund 250 Frauen, Männer und Kinder auf einen Schlag.

Es gibt ein Video, das zeigt, wie sie ihn empfangen. Fred Schlichting im alten Polizeiauto, die Leute im Halbkreis drumherum. Vom Motor ist nichts zu hören, weil der Applaus der umstehenden Menschen alles übertönt. Seine letzte Dienstfahrt war in dieser Woche. Befreundete Beamte haben ihn zur nördlichsten Polizeistation im Bremer Stadtgebiet chauffiert, die auch eine der kleinsten ist: Farger Straße 134. Acht Jahre war das Schlichtings Büroadresse. Ein Schreibtisch, ein Drehstuhl, ein Tisch, fünf Stühle und keinen Kollegen.

Allein war er trotzdem nie. Jedenfalls nie lange. Entweder kam jemand bei ihm vorbei, der ein Anliegen hatte – oder Schlichting klärte ein Anliegen vor Ort: beim Gespräch auf der Straße, am Gartenzaun, auf dem Pausenhof, im Gruppenraum einer Kita. Er hat gemacht, was ihm vor acht Jahren gesagt worden war: Dass er als Kontaktpolizist eben vor allem Kontakt halten und deshalb immer wieder im Ortsteil unterwegs sein sollte. Entweder zu Fuß oder mit dem Rad. Es gibt zwar einen Parkplatz hinter der Polizeistation, aber keinen Dienstwagen.

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Lange Wege gibt es in Farge und Rekum auch nicht. Für Schlichting, 62, verheiratet, zwei Kinder, ergeben beide Ortsteile ein Dorf. Jeder, meint er, kennt jeden. Und jeder weiß, was der andere macht. Das klingt für manche langweilig, aber nicht für ihn. Schlichting wollte den Job unbedingt. Er sagt, dass er bis dahin immer im Schichtdienst war – erst in der Neustadt, später in Blumenthal, anfangs als einfacher Beamter, zuletzt als Dienstgruppenleiter. Und dass ihn irgendwann die Rolle des Kontaktpolizisten mehr gereizt hat als der Einsatzdienst.

Dass er Farge und Rekum zu seinem Revier machen wollte, hat auch damit zu tun, dass er den nördlichsten Bremer Norden schon lange kennt – nicht erst seit seiner Zeit bei der Polizei. Schlichting kommt quasi aus der Nachbarschaft. Er ist Schwaneweder. Dort ist er aufgewachsen und geblieben. Darum wusste er schon, was wo in Farge und Rekum ist, als er 1982 seinen Dienst bei der Polizei antrat und sechs Jahre später von der City in diesen Teil der Stadt wechselte. Und noch mal 27 Jahre später sein Aufgabengebiet als Beamter.

Weg vom Streifendienst, hin zum Netzwerken mit Anwohnern, Vereinsfunktionären, Behördenvertretern, Schulleitern, Kitakräften. Dass er viel mit Klassen und Kindergartengruppen zu tun hatte, kann man auf dem Video zu seinem Abschied sehen. Von den Menschen, die ihn und das alte Polizeiauto umringen, reichen ihm die meisten bis zur Hüfte oder zur Schulter. Manche Mädchen und Jungen haben Blumen in den Händen, andere Luftballons und fast alle Liederzettel. Ein Junge wird später zu ihm gehen und sagen, dass er ihn nie vergessen wird.

Und das, sagt Schlichting, wird er wiederum nicht vergessen. Wie auch anderes. Zum Beispiel den Zehnjährigen, der zu ihm kam, weil er erpresst wurde – und sie gemeinsam den Erpresser stellen konnten. Zum Beispiel die Stimmung in Farge, als ein Haus für jugendliche und straffällig gewordene Flüchtlinge eröffnet wurde. Zum Beispiel die Termine, bei denen er zum Vorleser in der Kita wurde. Mal handelten die Bücher von Toleranz, mal von Verkehrserziehung. 20 Minuten dauerten seine Einsätze, dann wollten die Kinder wieder spielen.

Auch im Ruhestand will er erzählen. Dann soll es allerdings nicht um Geschichten gehen, sondern Geschichte. Schlichting plant, Gruppen durch den Bunker in Rekum zu führen. Ende dieser Woche ist sein letzter Tag als Kontaktpolizist – und Anfang nächster der erste für seinen Nachfolger. Michael Dedner heißt der. Zwei Wochen hat er bei Schlichting hospitiert und der ihn bei so vielen Vereins-, Schul- und Kitavertretern wie möglich vorgestellt. Eine Mappe mit Kontakten gibt es für den Neuen dennoch. Schlichting hat sie schon bereitgelegt.

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