In der Hansestadt Bremen hat fast jedes zweite Vorschulkind Sprachdefizite. Im Stadtteil Blumenthal liegt der Sprachförderbedarf mit 64,8 Prozent noch höher. Auch 58,5 Prozent der Vegesacker Jungen und Mädchen haben Sprachprobleme. Die Kitas dieser beiden Stadtteile wünschen sich in dieser Situation mehr Unterstützung von Bremen.
Deutsch, arabisch, kurdisch, syrisch, englisch, französisch, russisch und mehrere afrikanische Sprachen – das sind die Sprachen, die im neuen Kinder- und Familienzentrum Grohn des SOS-Kinderdorf Worpswede gesprochen werden. „Zum Teil sind bis zu sieben Muttersprachen in einer Gruppe vertreten“, berichtet Pia Klueh, stellvertretende Kita-Leiterin. Die Erzieherinnen und Erzieher arbeiten mit Bildkarten und mit Gestik und Mimik. Dass es trotzdem zu Missverständnissen kommt, liegt auf der Hand.
Die Sprecherin der Awo-Unternehmensgruppe, Christine Petersen, macht keinen Hehl daraus, dass die Sprachbarrieren auch den Alltag in den Kindergärten belasten: „Durch Sprachdefizite können Kinder ihre Bedürfnisse nicht äußern. Tritt ein Konflikt zwischen zwei Kindern mit unterschiedlichen Muttersprachen auf, kommt es häufiger vor, dass dieser körperlich ausgetragen wird.“
Die Herausforderungen beginnen nicht bei den Kindern, sondern bereits bei den Eltern. "Vor allem die Mütter, die häufig die Ansprechpartnerinnen für die Kita-Mitarbeiter sind, sprechen oft wenig Deutsch. So sind schon die Anmeldung oder die Weitergabe von Informationen oftmals schwierig“, sagt Christine Petersen. Gespräche zwischen Kita-Mitarbeitern und Eltern seien dadurch teils kurz und in einfacher Sprache gehalten.
Höchste Sprachförderquote Bremens
Der Behörde ist die Situation bekannt. „Die Anzahl der Kinder mit Sprachförderbedarf steigt in allen Regionen, so auch in Bremen Nord. Dies gilt insbesondere für Ortsteile mit hoher Fluktuation und hohem Anteil an Familien mit Migrationshintergrund“, erläutert Annette Kemp, Sprecherin der Bildungssenatorin Claudia Bogedan. Die höchste Sprachförderquote Bremens ist nach ihren Worten neben Gröpelingen in Blumenthal zu verzeichnen. "Umso wichtiger ist es, dass nach dem Motto ‚Ungleiches ungleich behandeln‘, zusätzliche Personalressourcen, Fortbildung für pädagogische Mitarbeitende, Material, sowie für Konzeptentwicklung und Fachberatung insbesondere in die Kitas dieser Stadt- und Ortsteile fließen“, so Annette Kemp weiter.
Ein Blick in den Bericht für Bildungsdeputierte zeigt, dass es bisher auch bei den am stärksten betroffenen Stadtteilen Unterschiede in der Mittelzuweisung gab. Die Kitas im Bremer Norden haben zwar wie andere Brennpunktgebiete mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen, sind aber finanziell schlechter gestellt: Nach Unterlagen der Behörde lag der Anteil der Einrichtungen in Blumenthal an den Gesamtmitteln für 2020/2021 bei rund 187.700 Euro, während Gröpelingen im selben Zeitraum fast 100 000 Euro mehr erhielt. Zum Vergleich: In Blumenthal haben laut der Statistik 241 Kinder Sprachförderbedarf, in Gröpelingen 250.
Die Papiere der Verwaltung zeigen noch etwas, nämlich wie stark der Förderbedarf in den vergangenen Jahren gestiegen ist: Demnach hatten 2013 "nur" 94 Kinder aus Blumenthal Sprachförderbedarf. In Vegesack stieg die Zahl der Jungen und Mädchen mit Sprachförderbedarf von 2013 bis 2020 von 116 auf 190. Auch im Stadtteil Burglesum ist der Anteil der Heranwachsenden mit Sprachdefiziten gewachsen, von 77 auf 143.
„Wünschenswert wäre, dass Bremen Nord, wenn es um Bremen geht, mehr in den Fokus gerückt und mitgedacht wird. Der Personalmangel ist nicht von der Hand zu weisen und trifft Bremen Nord besonders“, sagt Christine Petersen. In den Awo-Kitas werden etwa 315 Jungen und Mädchen nördlich der Lesum betreut.
Die Kitas müssten heute mit bestmöglichen Arbeitskonditionen um die wenigen Kräfte auf dem Markt konkurrieren, stellt Sissi Schwab von der Kita Bunte Weser an der Lüssumer Straße fest. Die Kita des freien Trägers Scola Nova gGmbH hat 90 Kita-Plätze. Es fehle überall an Erziehern und Fachkräften zur Sprachförderung. „Der goldene Betriebsschlüssel reicht nicht. Es reicht nicht, zwei Leute auf 20 Kinder anzusetzen.“ In den Gruppen in Lüssum seien 20 Kinder, 17 davon hätten nicht die deutsche Nationalität. „Oft sprechen Mama und Papa auch noch unterschiedliche Sprachen“, sagt Sissi Schwab. Auch hier arbeiten die Mitarbeiter mit Bildkarten und mehrsprachig. Nur dort, wo auch die Muttersprache gesprochen werde, fühlten sich die Kinder zuhause und verstanden. Denn gerade die Kinder, die Förderbedarf aufwiesen, hätten traumatisierende Flüchtlingshintergründe.
Kleinere Betreuungsgruppen bei Kindern mit sehr viel Sprachförderbedarf wären ebenso hilfreich, wie zusätzliches Fachpersonal, heißt es auch beim SOS Kinderdorf und bei der AWO. „Beispielsweise könnten neue Stelle geschaffen werden, um das Sprachförderangebot auszuweiten.“, sagt Awo-Sprecherin Christine Petersen.
"Wichtig ist aus unserer Sicht, dass allen Kindern frühzeitig ein Betreuungsangebot gemacht werden kann", meint Pia Klueh vom SOS-Kinderdorf. „Wenn Kinder erst ein Jahr vor der Einschulung ein Angebot erhalten, dann haben wir in den Kitas leider nur sehr wenig Zeit, um das Erlernen der deutschen Sprache zu unterstützen."