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Hochwasserschutz in Nord Bohren für die Flutbarriere

Er ist der teuerste Hochwasserschutz in Nord, jetzt werden die Arbeiten im Blumenthaler Kämmerei-Quartier noch teurer – und später fertig als geplant.
04.08.2022, 12:21 Uhr
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Bohren für die Flutbarriere
Von Christian Weth

Immer wieder ist der Boden im Kämmerei-Quartier sondiert worden. Und dennoch sind die Arbeiter jetzt, fast zweieinhalb Jahre später, auf Hindernisse gestoßen. Auf so viele, dass erneut schweres Bohrgerät auf der Baustelle am Weserufer eingesetzt wird. Nicht etwa, um ein weiteres Mal die Tiefe probeweise zu durchlöchern, sondern um alles kurz- und kleinzufräsen, was unten im Weg ist: verrostetes Metall, verschütteter Beton, verwitterte Träger. Sie sind nicht der einzige Grund, warum das teuerste Hochwasserschutzprojekt im Bremer Norden teurer wird – und länger dauert als geplant.

In einem Bürocontainer liegen Fotos auf dem Tisch, die zeigen, warum es den Metall, den Beton und die Träger im Boden gibt – und was bei den Arbeiten noch so in der Erde gefunden wurde. Es sind alte Aufnahmen von Hallen der Woll-Kämmerei, die früher dort waren, wo jetzt gebohrt und gebaggert wird. Und neue Bilder von rostbraunen Klumpen und schwarz glänzenden Pfählen. Nicole Raming sagt, dass die einen mal Rohre waren und die anderen Stützen, auf denen die Industriebauten gestanden haben. Und dass jetzt alles kaputtgemacht wurde, damit die neue Spundwand in den Boden kann.

Die Projektleiterin des Deichverbands ist an diesem Tag im Kämmerei-Quartier, weil es morgens eine Lagebesprechung mit allen Partnern gab. Im Oktober, als die Bürocontainer zum Baustart für die Flutbarrieren kamen, standen noch drei Firmennamen auf einer Tafel an der Zufahrt, jetzt sind es doppelt so viele. Das hat mit der Dimension des Vorhabens zu tun. Die Baustelle ist mit anderthalb Kilometern zwar vergleichsweise kurz, aber die Anforderungen sind größer als bei anderen Hochwasserschutzarbeiten. In Blumenthal geht es nicht bloß um eine höhere Spundwand, sondern um eine höhere Spundwand mit städtebaulichem Anspruch.

Wilfried Döscher sagt das mehrmals. Und auch, was das bedeutet: mehr Arbeit. Der Chef des Deichverbands spricht von einem Deichschart, durch das die Leute später direkt ans Wasser gelangen. Von einer Promenade, auf der sie wie an der Maritimen Meile in Vegesack spazieren gehen können. Und von so viel Stahl, der zum Schutz vor Hochwasser in den Boden kommt, dass man sich die Menge nur schwer vorstellen kann. Läge man alle Spundbohlen wie Gehwegplatten nebeneinander, käme seiner Rechnung nach eine Fläche von anderthalb Hektar heraus. Was etwas mehr als zwei Fußballfeldern entspricht, die Standardmaße haben.

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Und weil das viel Stahl ist und sich die Kosten für ihn vervielfacht haben, wird das Schutzvorhaben nun noch einmal teurer. Ontja Fischer hat die Preissprünge verfolgt: In dem halben Jahr, den der Ukraine-Krieg nun beinahe dauert, ging es monatlich um bis zu 20 Prozent rauf. Die Baustellenleitern sagt, dass für den Stahl der Spundwand eine Million Euro mehr bezahlt werden müssen. Mit der Folge, dass aus dem 19- ein 20-Millionen-Projekt wird, mindestens. Genau kann das Projektchefin Raming noch nicht sagen. Nur, dass es nun nicht mehr der Stahl sein kann, der die Kosten steigen lässt. Alle Chargen sind inzwischen geliefert.

An einem Ende der Baustelle kann man sehen, was stattdessen die Kalkulation noch höher ausfallen lassen könnte: der Bohrbagger. Für ihn wird so viel Geld am Tag fällig, dass Raming ihn nicht gleich beim ersten neuerlichen Hindernisfund geordert, sondern die Problemfälle im Boden quasi gesammelt hat. Eine Handvoll sind es. Seit fast zwei Wochen ist das 70 Tonnen schwere Spezialgerät wieder im Einsatz. Wo es zuletzt war, liegen verbogene Eisenstücke im Sand, die er aus der Tiefe nach oben befördert hat. Deichverbandschef Döscher zeigt auf Schrammen im Rost. Hier ist die neue Spundwand aufgesessen und konnte nicht weiter in den Boden.

So ist es immer: Trial and Error, Versuch und Irrtum – Raming sagt das. Und auch, dass trotz Probebohrungen ein Restrisiko immer bleibt, auf neue Hindernisse zu stoßen. Wo welche waren oder wo noch welche sind, ist leicht zu erkennen: an den Lücken in der neuen Spundwand. Mal sind sie eine Lastwagenlänge breit und mal so schmal, dass man meinen könnte, jemand hätte eine Bohle vergessen. Auch das macht das Projekt teuer: die Maßarbeit. Laut Döscher braucht es schon eine Menge Routine, eine 1,6 Tonnen schwere Bohle exakt neben eine andere zu setzen. Aber sie genau zwischen zwei Bohlen zu platzieren, benötigt Spitzen-Know-how.

Und Zeit. Das und die erneuten Bohrungen haben Ramings Terminplan so durcheinandergebracht, dass die Projektleiterin noch gar nicht sagen kann, um wie viele Wochen oder Monate sich das Vorhaben verzögern wird. Eigentlich sollte im nächsten Jahr die neue Spundwand fertig sein, damit die alte abgeschnitten werden und das Pflastern der Promenade beginnen kann. Bisher hieß es, dass sie Anfang 2024 freigegeben wird – jetzt heißt es, dass der Abschluss der Arbeiten neu ermittelt werden muss.

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