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Liebespaar getötet Ließ die PKK in Bremen töten? Was wir über den Bunkermord wissen

Die Tötung von Ayse D. und Serif A. Ende der 1990er-Jahre ist vielen in Erinnerung geblieben – und laut Kripo das einzige Tötungsdelikt in Bremen, das offenbar von PKK-Funktionären in Auftrag gegeben wird.
28.01.2022, 05:41 Uhr
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Ließ die PKK in Bremen töten? Was wir über den Bunkermord wissen
Von Patricia Brandt

Serif A. ist 23 Jahre jung und querschnittsgelähmt. Eine Granate hatte seine Füße zerfetzt. In der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gilt er als Märtyrer, weil er gegen die türkische Armee gekämpft hat. Die in Deutschland verbotene Partei hilft ihm laut Staatsanwaltschaft, nach Bremen zu kommen. Alles wäre für ihn vielleicht gut ausgegangen – hätte er sich nicht in Ayse D. verliebt und sie sich nicht in ihn.

Als ein Passant am frühen Morgen des 24. August 1999, kurz vor 7 Uhr, auf einem abgelegenen Weg unweit des U-Boot-Bunkers Valentin die Leiche eines Rollstuhlfahrers entdeckt, ahnt die Polizei noch nicht, dass sie es mit einem doppelten Gewaltverbrechen zu tun bekommt.

Zwar finden die Polizeibeamten einem Archivbericht des WESER-KURIER zufolge Schleifspuren, die auf der Deichkrone wenige Meter neben der Leiche beginnen und bis hinunter zur Weser führen. Doch erst die hinzugerufene Wasserschutzpolizei stößt im Schlick auf eine erdrosselte Frau. Wer ist das Paar, das auf bestialische Weise getötet wurde? Das ist das erste Rätsel, das der Bunkermord der Polizei aufgibt. Einige der Fragen sind bis heute nicht geklärt.

Bremer Kripo-Chef nennt Bunkermord "außergewöhnlich grausam"

Jürgen Osmers, heute Kripochef in Bremen, arbeitet im Sommer 1999 zwar an der Auflösung eines anderen Mordfalls mit, erinnert sich aber: „In den ersten Tagen hat ein großer Teil der Kripo an den Ermittlungen mitgewirkt, 20 bis 30 Leute.“ Auch nach 40 Jahren Polizeidienst habe er nie ein Verbrechen erlebt, dass „so außergewöhnlich grausam den Opfern gegenüber“ gewesen sei wie die Tötung des kurdischen Paares Serif A. und Ayse D., sagt der Bremer Kripochef.

Die Polizei erfährt, dass die getötete 18-jährige Ayse D. und der 23-jährige Serif A. erst im Mai in seiner Wohnung in Bremen zusammengezogen sind – gegen den Willen ihres Vaters. Sowohl der Vater der jungen Frau als auch der Bruder geraten unter Tatverdacht. Doch beide werden aus der Haft entlassen. Der Verdacht gegen sie lässt sich nicht erhärten.

Fieberhaft arbeitet die Polizei an der Auflösung des Falls: Während Beamte auf der Suche nach der Tatwaffe die Gegend rund um den ehemaligen U-Boot-Bunker im Bremer Norden durchkämmen, verteilen weitere Polizisten am anderen Ende Bremens Flugblätter in türkischer Sprache. Die Hoffnung: Zeugen zu finden, die mehr über das Paar und den Familienkonflikt wissen oder zumindest etwas über die Fahrt von der Wohnung des Paares nach Bremen-Nord sagen können. Die Staatsanwaltschaft setzt eine Belohnung für Hinweise aus – 3000 Mark.

Mehr als 100 Zeugen werden befragt. Als hilfreich bei der Überführung der Täter wird sich laut Kripochef Osmers aber vor allem die Auswertung von Telefonverbindungsdaten erweisen. „Schon vier Tage, nachdem die Leichen am Morgen des 24. August 1999 am Bunker entdeckt worden waren, konnte einer der später verurteilten Täter in Untersuchungshaft genommen werden“, sagt Osmers.

Die Ermittler sind überzeugt, dass die verbotene PKK hinter dem Verbrechen steht und dass Ayse D. und Serif A. in der Nacht zum Dienstag gegen 3 Uhr, begleitet von zwei oder drei Männern, von ihrer Wohnung in Bremen abgefahren sind. „Man hat ihnen gesagt, dass die PKK mit ihnen sprechen wollte“, erklärt Osmers.

Das Liebespaar wird mehrere Stunden in einer Wohnung in Osterholz-Scharmbeck festgehalten, während in einer gelben Telefonzelle vor dem Haus ihr Schicksal besiegelt wird: Osmers zufolge telefoniert einer der Täter immer wieder mit dem Auftraggeber, um Anweisungen entgegenzunehmen. Am Ende der Telefonate steigen alle, Täter und Opfer, in einen roten VW Golf.

Der frühere U-Boot-Bunker Valentin in Farge-Rekum ist die Ruine einer U-Boot-Werft der deutschen Kriegsmarine aus dem Zweiten Weltkrieg. Beim Bau der bis zu sieben Meter dicken Mauern starben mehr als 1600 Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge an Unterernährung, Krankheiten und willkürlichen Tötungen. Es ist ein monströses Mahnmal, abgelegen am Weserufer. Der rote Kleinwagen parkt in der Nähe dieses grauen Betonkolosses, in dessen Schatten das Liebespaar in der Nacht quälend langsam sterben wird.

Bunkermord in Bremen: Opfer wurde mehrmals überfahren

Die Täter schleifen die 18-Jährige über den Deich und drücken ihr Gesicht in den Weserschlick, während ihr hilfloser, an den Rollstuhl gefesselter Mann auf die eigene Hinrichtung warten muss. Serif A. wird geschlagen, getreten – und überfahren. Nicht nur einmal, sondern mindestens zweimal überrollt ihn der Wagen. Die Gerichtsmediziner stellen später fest, dass ihm elf Mal mit einem schweren Werkzeug auf den Kopf geschlagen wird. Bei der Tatwaffe soll es sich um den Radmutternschlüssel aus dem Kofferraum des Golfs handeln, mit dem Serif A. überfahren wird. Der junge Mann erleidet multiple Verletzungen. Doch sein Todeskampf dauert viele Stunden.

Im Gerichtssaal behauptet der Jüngste der vier angeklagten Täter später, dass er sich „vor Angst in die Hosen gemacht“ habe, als das Auto über den schwer verletzten Serif A. gerollt sei. Einer seiner Mittäter hingegen behauptet, dass es der 27-Jährige gewesen sei, der so „grausam, grausam“ war, dass er selbst fast einer Ohnmacht nahe gewesen sei. Nicht nur dieser Mittäter sieht sich als Opfer eines Komplotts von PKK-Funktionären. „Aus dem dreckigen Plan kam keiner mehr raus“, zitiert der WESER-KURIER den Mann.

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Das Interesse der Öffentlichkeit am gewaltsamen Tod des jungen Paares ist groß. Bundesweit berichten die Medien jetzt über den Bunkermord, der ab August 2000 unter strengen Sicherheitsvorkehrungen vor der Zweiten Schwurgerichtskammer des Landgerichts Bremen verhandelt wird. Mehr als 20 Journalisten, zehn Polizisten und 50 Zuschauer sitzen im großen Saal, als der Prozess gegen vier kurdische Türken im Alter von 27 bis 34 Jahren beginnt.

Mutmaßlicher Auftraggeber des Bunkermords tauchte ab

Den vier Männern wird vorgeworfen, das junge Paar grausam ermordet zu haben. Das Motiv für die Hinrichtung liegt lange Zeit weitgehend im Verborgenen. Die Spekulationen reichen laut Medienberichten von persönlichen Motiven eines PKK-Funktionärs bis hin zu einem direkten Befehl zum Mord aus der Führungsriege der Partei.

Die beauftragten Täter selbst behaupten zwar, unter großem Druck und Angst vor ihren Auftraggebern gehandelt zu haben. „Es konnte aber nicht abschließend geklärt werden, in welchem Ausmaß dies Schutzbehauptungen waren“, resümiert Osmers. Klar ist heute so viel: „Es war das einzige offenbar im Auftrag von PKK-Funktionären ausgeführte Tötungsdelikt in Bremen.“ Den mutmaßlichen Auftraggeber sucht die Polizei seit der Tat per internationalen Haftbefehl. Er ist seit damals abgetaucht.

Fest steht für Staatsanwalt Uwe Picard, als er die Anklageschrift verfasst, dass „die eheähnliche Verbindung des Paares nicht im Einklang mit den Prinzipien der PKK“ stand. Als sich beide im Winter 1998/99 kennenlernen und ineinander verlieben, erfährt die Familie von Ayse D. nichts davon. Und als Serif A. schließlich Ayses Mutter seine Liebe zur Tochter am Telefon kundtut, stellt er die Familie vor „vollendete Tatsachen“, berichtet Uwe Picard. „Ohne dass die kurdischen Verhaltensregeln eingehalten worden wären, die ein erhebliches Mitspracherecht des Vaters beziehungsweise der Eltern des Mädchens bei der Auswahl des Ehegatten vorsehen.“ Dass Ayse im Mai von zu Hause auszieht, um nach ihrer heimlichen Heirat mit Serif in dessen Wohnung zu leben, habe eine „erhebliche Verletzung der Ehre“ der Familie bedeutet.

Es sei ein übliches Vorgehen der PKK gewesen, Kriegsversehrte wie Serif A. bei mit der PKK sympathisierenden kurdischen Familien in Europa unterzubringen. Diese fremden Familien hätten ehemalige PKK-Kämpfer gerne als Gäste bewirtet. Uwe Picard: „Die PKK allerdings erwartete von ihren Kämpfern in den Rückzugsgebieten, dass diese sich auch wie Gäste verhalten …“ Aus Sicht der PKK habe dazugehört, dass sich ein als Gast aufgenommener Märtyrer nicht gegen den Willen der Familie einem anderen Familienmitglied näherte. „Auch gab es Hinweise darauf, dass ein PKK-Kämpfer als Partei-Kader überhaupt nicht heiraten durfte.“

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Serif A. hat sich nicht an diese Regeln gehalten. Picard: „Damit war der Vater nicht einverstanden. Dieser hat sich an die PKK gewandt, nach unseren Erkenntnissen allerdings ohne die Absicht, die Ermordung seiner Tochter oder von Serif A. herbeizuführen.“ Alle Versuche der PKK, die Verbindung des Paares zu lösen, schlugen fehl, die beiden jungen Menschen wollten zusammenbleiben. „Das ist kurz umschrieben das Tatmotiv, wie wir es nach den damaligen Ermittlungen zu erkennen glaubten.“ Picard spricht von Disziplinarmorden, die einerseits das „Bremer Problem“ beseitigen und gleichzeitig nach außen und in die Parteigliederung hinein zeigen sollten, dass die PKK entschlossen und konsequent handele.

Hilfreich bei der Aufklärung des Verbrechens ist vor allem die Auswertung von Telefonverbindungsdaten. „Mit wem diese Personen in den letzten Stunden vor der Tat gesprochen hatten, lieferte entscheidende Anhaltspunkte“, so der Leiter der Kriminalpolizei. Aber auch Fußspuren von zwei der drei Haupttäter im Schlamm nahe dem U-Boot-Bunker geben Aufschlüsse zum Tathergang, ebenso ein Gummihandschuh als Spurenträger. Osmers: „Damals war die DNA-Analyse keine neue Methode mehr. Der Gummihandschuh wurde als Indiz herangezogen, um die Tathergänge zu untermauern.“

Staatsanwalt hält Bunkermord-Urteil für zu milde

Nach monatelangem Schweigen gestehen drei Täter. „Ich muss bekennen, dass ich schwach und feige war. Ich habe Mitschuld am Tod der beiden“, sagt einer vor Gericht, er ist Familienvater. Nach den Worten von Richter Jan Stegemann verurteilt das Gericht drei Täter zu Freiheitsstrafen von einmal 15 Jahren und zweimal 13 Jahren. Der vierte Angeklagte bekommt wegen Beihilfe zum Totschlag eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten. Alle Täter, bestätigt der Leiter der Bremer Staatsanwaltschaft, Janhenning Kuhn, seien inzwischen aus der Justizvollzugsanstalt entlassen. „Die Strafe ist abgegolten.“

Gegen die erste Entscheidung des Gerichts, der Verurteilung wegen Totschlags, hatte die Staatsanwaltschaft zwar Revision eingelegt. Doch vergebens: „Die Entscheidungen der Strafkammern, auf das Vorliegen der Tatbestandsmerkmale des Totschlags bei diesen brutalen Tötungen zu erkennen, halte ich nach wie vor für falsch. Es waren Morde und nichts anderes!“, sagt Uwe Picard.

Die PKK unterliegt damals wie heute einem Betätigungsverbot. Seit 2002 wird sie auf der EU-Terrorliste geführt. Ihr Anhängerpotenzial beträgt nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz 14.500 Personen. Die PKK gilt demnach als schlagkräftigste ausländerextremistische Organisation in Deutschland. Sie sei in der Lage, Personen weit über die eigene Anhängerschaft hinaus und innerhalb kürzester Zeit zu mobilisieren. „Personen und Vereinsstrukturen, die in Verbindung mit der PKK stehen, sind weiterhin auch in Bremen Gegenstand von polizeilichen Ermittlungen“, sagt Kripochef Osmers.

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