Vor sechs Jahren, als der Bundesgesundheitsminister noch Jens Spahn (CDU) hieß, war die Berliner Behörde von 25.000 Pflegekräften ausgegangen, die deutschlandweit fehlen. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Dienste nannte damals eine andere Zahl, vor allem eine höhere: 70.000. Heute verweist er auf Statistiken, in denen es um 115.000 nicht besetzte Stellen geht. Ihm zufolge steigt die Zahl der Menschen, die gepflegt werden müssen, deutlich schneller als die der Berufseinsteiger.
Neuerdings nennt der Verband noch eine andere Ziffer. Sie lautet drei. So häufig muss inzwischen jede Pflegeeinrichtung in der Bundesrepublik täglich Anfragen von Angehörigen ablehnen, die jemanden stationär oder ambulant versorgen lassen wollen. Der Zusammenschluss weiß das, weil er seine Mitglieder vor Kurzem befragt hat. 14.000 Pflegedienstleister gehören ihm an – und damit mehr als jede dritte Pflegeeinrichtung in Deutschland. Und allen geht es ähnlich. Wegen fehlender Kräfte können die stationären Anbieter vorhandene Plätze nicht belegen und müssen die ambulanten ihre Besuchstouren zusammenstreichen.
Für Bernd Meurer ist die Entwicklung alarmierend. Der Verbandspräsident spricht davon, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte der Pflegeversicherung das Angebot reduziert, während der Bedarf immer größer wird. Und das, meint er, hat längst Folgen für andere Branchen: Wer für seinen Vater keinen Heimplatz oder für seine Mutter keinen Pflegedienst findet, argumentiert er, kann keinen Bus fahren und auch keine Heizung reparieren. Der Pflegeverband hat sich deshalb mit Wirtschaftsverbänden zusammengetan. Aus dem Notstand in der Pflege ist inzwischen eine übergreifende Krise der Versorgung geworden.
Beide Seiten fordern keine weiteren Pläne, sondern dass Pläne endlich umgesetzt werden. Laut Meurer muss vor allem die Bürokratie abgebaut werden, damit möglichst viele Menschen möglichst schnell in der Pflege arbeiten können. Er spricht von einer Kompetenz internationaler Pflegekräfte. Und davon, dass jemand, der im Ausland eine dreijährige Ausbildung oder ein Studium absolviert hat und über angemessene Sprachkenntnisse verfügt, sofort als Fachkraft in Deutschland eingesetzt werden sollte. Seiner Ansicht nach darf es nicht sein, dass bestens ausgebildete Pflegekräfte über Jahre warten müssen, weil noch nicht die letzte Behörde ihren Stempel auf ein Zeugnis gesetzt hat.
Was passiert, wenn Verfahren nicht beschleunigt werden, hat das Statistische Bundesamt hochgerechnet. Es geht davon aus, dass bis zum Jahr 2049 zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen werden. Die breite Spanne erklärt die Behörde damit, dass in einem Fall ausschließlich die demografische Entwicklung betrachtet wurde und im anderen auch positive Trends, die es zwischenzeitlich auf dem Pflegemarkt gab, in die Prognose mit eingerechnet wurden.