Der Mangel an Pflegekräften in Bremen wird immer größer und steuert schon bald auf einen "Kipppunkt" zu. Zu diesem Befund kommt der Landespflegereport der Krankenkasse DAK-Gesundheit. "Schon 2029 wird der Pflegenachwuchs die altersbedingten Berufsaustritte der Babyboomer nicht mehr auffangen können", prognostiziert die Kasse. Bremen und Bayern seien die ersten Länder, die diesen Punkt erreichten.
Der Bremer DAK-Chef Michael-Niklas Rühe warnt: "In Bremen und Bremerhaven steht die Pflege auf der Kippe. Trotz anderslautender Versprechen sehen wir keine Entlastung für die Pflegenden und keine Reserven für den demografischen Wandel." Im Jahr 2023 gab es laut Report mehr als 10.400 Pflegekräfte im Land Bremen. Mehr als 2700 von ihnen erreichten in den nächsten zehn Jahren das Rentenalter. Dies seien 26,5 Prozent, die ersetzt werden müssten. Der tatsächliche Bedarf dürfte angesichts einer wachsenden Zahl pflegebedürftiger Menschen noch weitaus größer sein, so die Kasse.
In Bremen schmilzt die Arbeitsmarktreserve in der beruflichen Pflege laut dem Report besonders rasch. Bereits ab 2026 liege die Prognose bei knapp 190 Renteneintritten, denen gut 300 Berufseinsteiger gegenüberstünden. 2029 könne durch die Zahl der Berufseinsteiger – knapp 300 – das ausscheidende Personal – mehr als 300 – nicht mehr gedeckt werden.
"Wir haben trotz guter Ausbildungszahlen keinen Puffer gegen die berufsdemografischen Dynamiken in der Pflege", stellt der Studienleiter des Reports und Pflegeexperte Thomas Klie fest. "Ein Ausbau der Personalkapazitäten in der Pflege wird demografiebedingt nicht gelingen." Mithilfe von Wiedereinsteigerprogrammen, Zuwanderung und Qualifizierungsstrategien ließen sie sich bestenfalls stabil halten.
Auch der Bremer Pflegeforscher Heinz Rothgang bezeichnet die Lage als kritisch, die Versorgung sei gefährdet. "Der Mangel schlägt sich bereits nieder. Viele Pflegeheime können die Anfragen nicht mehr befriedigen, auch im ambulanten Bereich müssen Klienten abgewiesen werden." Bei dem DAK-Report handele es sich um eine Modellrechnung. "Als Warnung sind solche Prognosen gut. Sie besagen, wenn alles so bleibt, passiert Folgendes. Das Problem ist in Bremen bekannt, aufwecken muss man nicht und es wird bearbeitet. Es ist eher so, dass die Lage verdammt schwierig ist", betont der Uni-Professor.
Bremen hat einige Projekte auf den Weg gebracht, um den Pflegekräftemangel anzugehen. So soll etwa die Abbrecherquote in der Ausbildung von 30 Prozent reduziert werden. Ein weiteres Projekt zielt auf Berufsaussteiger: Laut einer Studie der Bremer Arbeitnehmerkammer liegt diese potenzielle Reserve bei etwa 1500 Fachkräften. Im vergangenen Jahr haben laut Gesundheitsbehörde zudem 120 Pflegekräfte aus dem Ausland das Anerkennungsverfahren durchlaufen.
Rothgang sieht mehrere Ansätze, um die Lage verbessern. Auch bei der Anwerbung aus dem Ausland: "Zum einen sind die Anerkennungszeiten bei ausgebildeten Pflegekräften von im Schnitt 500 Tagen viel zu lang, zudem gehen viele nach einer Zeit wieder zurück. Insbesondere aus dem Klinikbereich, wenn sie sehen, dass die Ärztedominanz hier höher ist als in anderen Ländern." Die internationale Konkurrenz sei groß.
"Wir müssen Pflegeschulen in den Ländern vor Ort eröffnen, die Menschen dort ausbilden, sodass das Curriculum in Deutschland anerkannt wird. Deutsch wird mit gelehrt, und das letzte Jahr der Ausbildung findet hierzulande statt", betont der Pflegeforscher. Dies sollten Länder mit einer großen Zahl junger Menschen sein; nicht Staaten, denen man die knappen Pflegekräfte wegnehme.
Nicht nur Fachkräfte fehlten, auch ausgebildete Assistenzkräfte. "Drei Prozent der Erwerbsbevölkerung sind in der Pflege tätig, warum nicht fünf Prozent?", so Rothgang. "Wir beklagen einen Wegfall von Arbeitsplätzen in der Industrie." Die Vergütung insbesondere in der Altenpflege habe massiv zugelegt – im Zeitraum von 2012 bis 2022 mit einem Plus von etwa 58 Prozent, im Rest der Wirtschaft von 27 Prozent. Hinzukomme: "Das ist der bestbezahlte Ausbildungsplatz, was aber wenig bekannt ist."
Die Herausforderung sei groß: Die Zahl der Pflegebedürftigen werde in Deutschland von fünf Millionen auf etwa acht Millionen bis in die 2050er-Jahre anwachsen, gleichzeitig gehe das Potenzial bei den Erwerbstätigen zurück. Rothgang sieht daher zivilgesellschaftliches Engagement stärker gefragt. "Diese Ressource müssen wir nutzen, die Sektoren in der Pflegeversorgung müssen sich öffnen."