Im Vorjahr hatte es sich schon abgezeichnet: Das teuerste Hochwasserschutzvorhaben im Bremer Norden wird noch einmal teurer – und später fertig als geplant. Damals konnte Nicole Raming noch nicht genau sagen, welcher Betrag obendrauf kommt und wie viel Zeit zusätzlich gebraucht wird, bis die Arbeiter im Blumenthaler Kämmerei-Quartier fertig sind. Die Projektleiterin des Deichverbands rechnete noch. Inzwischen liegt das Ergebnis vor. Und steht die neue Spundwand, sodass die alte wegkann.
An diesem Nachmittag ist Raming allein im Bürocontainer. Eben war Baubesprechung. Der Polier hat mit seinem Team geschildert, was heute und die nächsten Wochen noch ansteht. Jetzt sind die Männer draußen. Sie inspizieren einen Abschnitt des Weserufers, an dem zuletzt gearbeitet wurde. Reine Routine zur letzten Kontrolle. Die Planerin des Deichverbands sagt, dass die nächste Sturmflut kommen kann. Die neue Hochwasserschutzlinie zwischen der Bahrsplate und dem Fahrzeug-Terminal an der Westpier ist fertig.

Projektleiterin Nicole Raming am Deichschart: Das Tor hat bereits den Farbton, den später auch die neue Spundwand haben soll – mahagoni.
Zu tun gibt es trotzdem noch jede Menge. Raming will zeigen, was geschafft wurde und was noch gemacht werden muss. Sie geht voran. Zum neuen Deichschart, das heute geschlossen ist, aber künftig geöffnet sein soll, damit jeder an die Wasserkante kann. Zu den Flächen hinter der neuen Flutbarriere, die mal eine Promenade ergeben sollen. Zum Übergang zur Bahrsplate, wo später der Fußgänger- und Radfahrweg direkt am Wasser enden soll. Oder starten – je nachdem, aus welcher Richtung man kommt.
Alles zusammengerechnet kommt man auf eine Baustelle von anderthalb Kilometern. Was von der Länge her im Grunde keine große Arbeit für den Deichverband bedeutet – aber wegen der städtebaulichen Anforderungen, die es zu erfüllen gilt. Und wegen der Probleme, die aufgetreten sind. So viele, dass der Deichverteidigungsweg immer noch eine Schotterpiste ist. Genauso wie die Promenade. Das Pflastern und Asphaltieren hat Raming inzwischen auf 2024 verlegt. Ein Dreivierteljahr ist das Projekt jetzt hinterm Zeitplan.

Die künftige Promenade: Wo die alte Spundwand weg ist, sind jetzt die gegenüberliegenden Werften zu sehen.
Die Projektchefin hat dokumentiert, was alles dazwischengekommen ist. Sie zeigt Fotos von Rohren, die im Weg waren. Von Pfählen. Und von einer Grube, die ausgehoben werden musste – so breit und tief, dass ein kleines Haus darin Platz gehabt hätte. Raming zufolge war klar, dass man auf Hindernisse stoßen wird, weil der Grund mal Industriegrund war. Sie spricht von Probebohrungen, die es deshalb gegeben hat. Und davon, dass es dennoch zu Störungen gekommen ist. Die Arbeiten gehen mittlerweile ins vierte Jahr.
Auch deshalb, weil die Schwierigkeiten nicht nur in der Erde steckten, sondern ebenfalls im Stahl. Raming bleibt bei einem Abschnitt stehen, bei dem die Spundwand anders aussieht als in allen anderen Abschnitten. Überall konnten die Platten, die zum Schutz vor den Fluten obendrauf kamen, geschweißt werden – nur auf einer Länge von 200 Metern nicht. Dort mussten sie geschraubt werden, weil der alte Stahl darunter zu wenig Aluminium und zu viel Stickstoff enthält und deshalb nicht schweißbar ist. Wieder eine Verzögerung.

Zwischen alter und neuer Spundwand: Der Polier und sein Team überprüfen die Arbeiten an der Flutbarriere.
Der Stahl war es auch, der hauptsächlich dafür gesorgt hat, dass die Kostenrechnung für das Projekt am Ende anders ausgefallen ist, als ursprünglich kalkuliert. Raming sagt, dass er geordert wurde, als der Krieg in der Ukraine seinen Anfang nahm und die Preise explodierten. Monat für Monat ging es um 20 Prozent rauf. Einfach abwarten, bis sich der Markt wieder beruhigt, konnten die Planer nicht – wegen der Verträge, die geschlossen, und der Aufträge, die erteilt waren. Die Spundwand musste kommen. Jetzt.
Die Projektleiterin zeigt mal nach rechts, wo der neue Stahl eine geschlossene Mauer bildet, mal nach links, wo der alte seit Wochen mit Schneidbrennern gekappt wird – und der Blick auf das gegenüberliegende Ufer frei wird: hier die Werkshallen der einen Werft, dort das Schwimmdock einer anderen. Und davor Boote, Schiffe, Frachter. Raming meint, dass das schön aussieht – und die Spundwand mit einem Anstrich noch schön wird. Der Stahl wird mahagonifarben. Er soll sich an den Ton der alten Kämmerei-Bauten angleichen.
An manchen Stellen hat er das schon. Etwa am Deichschart, dem Tor zur Promenade. Bis zu acht Meter wird sie breit und ähnlich ausgestattet sein wie die Promenade in Vegesack: mit Bänken, Mülleimern, Geländer. Und vielleicht auch mit zwei Bäumen. Raming sagt, dass das gerade vom Bauamt geprüft wird. Nach ihrer Rechnung sollen die Arbeiten Ende nächsten Jahres abgeschlossen sein. Dann werden sie 27 statt 20 Millionen Euro gekostet haben, wie zuletzt veranschlagt.

Die Uferzone aus Richtung der Bahrsplate: Anderthalb Kilometer ist der Abschnitt lang.