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Werftgeschichte Als in Bremen-Burg die Segelschiffe vom Stapel liefen

Über hundert Seeschiffe verließen zwischen 1778 und 1869 die Bosse Werft in Burg. Davon berichtet ein Buch, das nun erschienen ist – als ein spannendes Stück bremischer Wirtschaftsgeschichte.
19.01.2025, 18:00 Uhr
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Von Ulrike Schumacher

Weit ist sie nicht gekommen, die Bark "Lessing", die am 4. April 1868 auf der Bosse Werft in Bremen-Burg vom Stapel lief. Schon auf der Jungfernfahrt ging das Schiff verloren. Fünf Tage nach ihrem Start in Bremerhaven in Richtung New York strandete die "Lessing" mit 451 Passagieren an Bord am 23. Mai 1868 vor Schottland. Sämtliche Passagiere und die Mannschaft konnten zwar gerettet werden. Aber all ihr Hab und Gut war für immer verloren.

Die Passagiere waren Auswanderer mit dem Ziel Amerika. Das Geschäft mit der Auswanderung war für Jahrzehnte sehr einträglich und verhalf den Werften – nach dem Ende der französischen Herrschaft – wieder zum Boom beim Schiffbau. Anschaulich nachzulesen ist dies im gerade erst erschienenen Buch über die Bosse Werft in Bremen-Burg, bei der in den Jahren 1778 bis 1869 – vom Bremer Norden aus betrachtet – direkt vor der Burger Brücke Segelschiffe gebaut wurden. "110 amtlich registrierte Seeschiffe" haben in den knapp hundert Jahren die Bosse Werft verlassen, berichtet Buch-Herausgeber Johann Christian Bosse, Ur-Ur-Ur-Enkel des Werftgründers. "Aber auch mindestens so viele kleine Schiffe", fügt er hinzu. "Schlickrutscher", wie er sie nennt.

30 Jahre lang gesammelt

30 Jahre lang hat Johann Christian Bosse alles gesammelt, was er über die Werft seiner Vorfahren in die Hände bekommen konnte. Seine Familie habe ihm "in den Ohren gelegen", die Lücke über das Wirken der Werft am Lesumufer zu schließen, erzählt der 81-Jährige. Ihren Werdegang von der Gründung bis zum Stapellauf des letzten auf der Werft gezimmerten Schiffes – der "Engelbert" – zu dokumentieren. "Du bist der letzte Bosse", hätten seine Verwandten gesagt, "du musst dich kümmern." Der Bremer beherzigte es und trug zusammen, was der Dokumentation dienen konnte.

Und nicht nur er. Die Autorin Lydia Niehoff, die bereits vieles über die bremische Wirtschaftsgeschichte veröffentlicht hatte, grub in Archiven in Bremen, Stade, Hannover und Amsterdam nach Quellen, nach Akten und Kartenmaterial. Der Segelschiffsexperte Peter-Michael Pawlik steuert zudem in der zweiten Hälfte des Buches, das unter dem Titel "Segelschiffe aus Bremen-Burg – Die Bosse Werft 1778 bis 1869" im Eigenverlag erschienen und in der Buchhandlung Otto und Sohn für 50 Euro erhältlich ist, die Bauliste der Werft bei. Mit ausführlichen Schiffsbiografien wie etwa der Schicksalsgeschichte des erwähnten Auswandererseglers "Lessing". Es stecke viel Arbeit in dem Buch, sagt der Herausgeber. "Und auch viel Neues." Allein zwanzig Abbildungen, "die noch niemals gedruckt wurden", finden sich in dem gut 200 Seiten starken und hochwertig produzierten Werk. Nebst Abbildungen von Schiffsgemälden, die im Focke-Museum, im Heimatmuseum Schloss Schönebeck oder im Schifffahrtsmuseum Bremerhaven hängen.

"Die Geschichte der Schiffswerft Bosse ist eine echte Bremensie, eingebettet in die Historie des Weserraums, obwohl Burg zur Zeit der Werftgründung gar nicht bremisch, sondern aufgrund der politischen Gegebenheiten ein Ort im Kurfürstentum Braunschweig-Lüneburg war", schreibt Lydia Niehoff in ihrer Einleitung. "Den Werdegang der Schiffbauwerft Bosse in Burg zu beschreiben, von den Schiffsbauten zu berichten, den Schiffbauern, Kaufleuten und anderen mit den Schiffen in Verbindung stehenden Menschen nachzuspüren", so die Autorin weiter, "ist Gegenstand dieses Buches und Ziel einer spannenden Reise durch die Zeit." Das ist nicht übertrieben.

Bis zu 200 Mitarbeiter

Der Werdegang der einst als reiner Familienbetrieb von Hinrich Bosse gegründeten Werft liest sich wie ein packendes Stück bremischer Wirtschaftsgeschichte. Dass die Bosses an der Lesum den Bau von Segelschiffen vorantrieben, liegt nicht zuletzt an der Unabhängigkeit der Vereinigten Staaten von England. "Das war damals der große Umbruch", blickt Johann Christian Bosse zurück. "Damit waren für uns die Meere plötzlich frei für Handel und Schifffahrt. In dieser Zeit entstanden die Werften." Neben der Bosse Werft, die zeitweilig bis zu 200 Mitarbeiter beschäftigte, waren es die Raschen Werft an der Lesum sowie die Werften in Vegesack. Wie wechselvoll die Geschichte der Bosse Werft war, offenbart sich im Kapitel "Wellengang und Flaute", das den Blick auf goldene Jahre lenkt, aber auch auf einen Einschnitt, ausgelöst durch die Eroberung Nordwestdeutschlands und der Hansestädte durch das Kaiserreich Frankreich.

Unter Napoleons Kontinentalsperre sei kein Handel mehr möglich gewesen, schildert der Herausgeber die damalige Lage. "Kriegspolitische und schutzzöllerische Maßnahmen ließen Handel und Schifffahrt kaum noch Perspektiven", schreibt die Autorin. Mit der Folge, dass es an Kaffee, Tee, Zucker und anderen Waren aus Übersee mangelte. Es blühte der Schmuggel – auf Schiffen mit doppeltem Boden. Nahezu unentdeckt geblieben sei die Schmuggel-Route über die Jade, von dort durch die Kanäle bis Brake und dann weiter bis Rönnebeck und schließlich bis Burg, sagt Johann Christian Bosse.

Wer im Übrigen denken mag, die Zeit der Luxus-Jachten sei neueren Datums und Angelegenheit der Lürssen-Werft an der Weser, sollte die Abhandlung lesen, die Peter-Michael Pawlik über das Vollschiff "Sylphide" geschrieben hat. Für den Seehandel war dieses Schiff nicht vorgesehen. Die "Sylphide" war von einem englischen Millionär als Luxusschiff für reine Lustfahrten in Auftrag gegeben worden. Der Mann sei mit dieser Segeljacht, erzählt der Herausgeber, im Mittelmeer herumgefahren.

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Info

Eine öffentliche Vorstellung des Buches über die Bosse Werft in Burg wird es am Freitag, 21. Februar, im Beisein des Herausgebers im Museum Schloss Schönebeck geben. Beginn ist um 18 Uhr. Wer Ergänzungen, Anregungen oder Fragen zur Bosse Werft hat, kann sich per E-Mail an die Adresse hegans@bosse-co.com wenden.

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