Bundesweit mehren sich Berichte über Kinder- und Jugendgewalt. Dass die Aggressionen zugenommen haben, berichteten jetzt auch Vertreter der drei Jugendfreizeiteinrichtungen in Burglesum. Das Thema Gewaltprävention in der offenen Jugendarbeit war auf ihren Wunsch auf die Tagesordnung des Beiratsausschusses für Soziales, Kultur und Gesundheit gesetzt worden. Der Hintergrund: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen sich mit zunehmenden Problemen konfrontiert und benötigen dringend Unterstützung. Es geht um physische und psychische Gewalt, um Vandalismus, Alkohol- und Drogenkonsum.
Die Situation sei mitnichten ein Burglesumer Phänomen, betonte Fachbereichsleiterin Larissa Krümpfer, die bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) für die Jugendfreizeiteinrichtungen zuständig ist. In Bremen-Nord betreibt die Awo das Jugendzentrum Burglesum, den Jugendclub Ups in Marßel, den Jugendclub Fockengrund in Grambke, das Jugendhaus Vegesack und den Vegesacker Mädchentreff Lilas Pause. Weitere Jugendeinrichtungen der Awo sind in Kattenturm, in Obervieland und in der Vahr. Aus Gesprächen mit Vertretern anderer Träger wisse sie, dass die Umstände in ganz Bremen ähnlich sind, so Krümpfer. "Wir haben in den vergangenen Monaten in allen Einrichtungen vermehrt mit physischer Gewalt zu tun."
Unter anderem berichteten die Sozialarbeiter von Gewalt unter jungen, zwölf- bis 15-jährigen Mädchen, die sich Gewaltvideos anschauen und diese dann auch selbst drehen. Alen Lilic, Leiter des Jugendclubs Ups, erzählte: "Ich habe ein Video gesehen, das auch unseren Jugendclub zeigt. Darauf wurde ein Mädchen an den Haaren über den Boden geschleift und es wurde massiv auf sie eingetreten." Trotz seiner langjährigen Erfahrung als Sozialpädagoge sei er erst einmal "in einer Schockstarre" gewesen. Die Möglichkeiten, solche Ereignisse mit den Jugendlichen aufzuarbeiten, seien aufgrund der knappen personellen Ausstattung im Ups äußerst begrenzt, schilderte Lilic.

Im Jugendzentrum (Freizi) Burglesum wurden die Öffnungszeiten eingeschränkt, damit immer drei Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gleichzeitig vor Ort sind.
Auch von Verabredungen zu Prügeleien, Fake-Profilen in sozialen Medien, Vandalismus und Bedrohungen durch Jugendliche und deren Angehörige berichteten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die mittlerweile Maßnahmen ergriffen haben, um die Situation besser unter Kontrolle zu behalten. "Im Freizi Burglesum waren die Türen früher immer geöffnet. Das haben wir geändert und Öffnungszeiten eingeschränkt. Wir haben unsere Arbeitszeit konzentriert, damit wir immer zu dritt arbeiten können", erzählte Anna-Lisa Steding, Leiterin des Jugendzentrums Burglesum. Nur so könnten sie den Überblick behalten, wenn sich die Jugendlichen im großen Haus verteilen und dabei nicht immer friedlich verhalten.
Immer häufiger Polizeieinsätze
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter seien zudem dazu übergegangen konsequent die Polizei zu rufen, berichtete Larissa Krümpfer, "obwohl es da eine Hemmschwelle gibt, weil unsere Angebote davon leben, dass die Jugendlichen freiwillig zu uns kommen". In der Vergangenheit habe es einmal im Monat zumeist kleinere Vorfälle gegeben. Mittlerweile verzeichneten sie mehrmals in der Woche Prügeleien oder auch Vorkommnisse, bei denen es um Drogen oder Vandalismus geht. "Ich finde auf unserem Gelände regelmäßig Koksbomben, Behälter, in denen Kokain transportiert wird", berichtete Tarkan Kaymakcalan, Leiter des Jugendclubs Fockengrund. Neben Drogenkonsum sei auch Drogenhandel ein Problem. "Ich versuche, die Jüngeren von den Älteren zu trennen. Das funktioniert aber nicht. Die Älteren versuchen die Jüngeren bei uns im Haus für den Drogenhandel zu akquirieren."
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sehen im veränderten Verhalten der Kinder und Jugendlichen unter anderem eine Folge der Isolation während der Corona-Pandemie. "Die Jugendlichen sind vollkommen verändert. Früher haben sie bei uns im Haus gechillt. Jetzt sind sie unruhig, rastlos, setzen sich kaum hin, gucken uns in Gesprächen nicht in die Augen, hören kaum zu", schilderte Anna-Lisa Steding die Auswirkungen. Zukunftsängste und eine gefühlte Perspektivlosigkeit als Reaktion auf die sich häufenden Krisen – Krieg in der Ukraine, Inflation, Klimakrise – sind weitere Auslöser, glaubt Maren Voß, Quartierskoordinatorin in Grambke.
Für Eyfer Tunc, die zum dreiköpfigen Streetwork-Team der Caritas für Bremen-Nord gehört und regelmäßig mit den Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern in den Jugendeinrichtungen zusammenarbeitet, ist zudem die Smartphone-Nutzung, die während der Pandemie extrem zugenommen habe, ein Problem.
Die Ausschussmitglieder versprachen Unterstützung. Sie fassten einen Beschluss, der sich bereits an den künftigen Beirat richtet. Der soll das Sozialressort bei der Aufstellung der Haushaltsvoranschläge auffordern, die offene Jugendarbeit im Stadtteil zu verstärken. Vor allem die personelle Ausstattung in den Einrichtungen sowie in der Straßensozialarbeit soll verbessert werden, fordert der Ausschuss.
Nur durch einen höheren Betreuungsschlüssel könne die notwendige und qualitativ gute Jugendarbeit sowie eine adäquate Gewaltprävention in allen sehr stark frequentierten Einrichtungen in Burglesum gewährleistet bleiben, heißt es zur Begründung. Unabhängig davon müsse das zuständige Ressort zeitnah eine umfassende fachliche Unterstützungsstruktur für alle Fachkräfte in den Jugendfreizeitheimen schaffen. Gefordert werden psychosoziale Betreuung der Teams durch Supervision, Beratung und Weiterbildung.