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Forschung in den Lesum-Wiesen „Es drohen längere Überschwemmungen“

Starkregen und Sturmfluten sind Risiken für Weser und Lesum. Wie hoch die Überschwemmungsgefahr für die Lesum-Wiesen ist, das war Forschungsprojekt von JU-Professor Vikram Unnithan und seinem Team.
21.03.2022, 19:00 Uhr
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Von Klaus Grunewald/gru

Herr Professor Unnithan, Sie haben im Rahmen eines Ausbildungsprojektes zusammen mit ihren Studierenden einen Geländestreifen an der Lesum untersucht, der künftig als Flachwasser- und Laichzone für Fische genutzt werden soll. Aus welchem  Grund?

Vikram Unnithan: Das Bachelor-Programm „Earth and Environmental Sciences“ an der Jacobs University hat eine starke Feldarbeitskomponente, die fest im akademischen Lehrplan integriert ist. Normalerweise nehmen wir Studenten des zweiten und dritten Jahres mit auf eine ozeanographische und angewandte Geophysik-Exkursion zur sizilianischen Insel Vulcano. Leider war es aufgrund der Covid-Pandemie nicht möglich, nach Italien zu reisen. Daher beschlossen wir, eine Vielzahl von Standorten in und um das Werderland zu untersuchen. Die Lesum-Wiesen waren einer dieser Standorte, da sie einen einfachen und schnellen Zugang von der Jacobs University aus bieten und es einige Neuigkeiten in den lokalen Medien über anstehende bauliche Veränderungen an diesem Standort im Zusammenhang mit der geplanten Flachwasserzone für Jungfische gab.

Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?

Zu den Ergebnissen gehört ein hochauflösendes, drohnenbasiertes, digitales Höhenmodell, das die Vegetation und die morphologischen Elemente der Lesum-Wiesen sehr detailliert zeigt. Eine grobe Entwässerungsmodellierung mit frei verfügbaren digitalen Geländemodellen beleuchtet die wichtigsten Entwässerungswege in der Region, speziell am Kapellenberg. Schließlich zeigen drei geoelektrische Widerstandsprofile in bis zu mehreren Metern Tiefe, dass das Gelände sehr heterogen ist und ehemalige Entwässserungskanäle aufweist, die Regenwasser vom Lesumhang direkt in die Lesum leiteten.

Die Ergebnisse der Studie sollten mit Untersuchungen der Stadtgemeinde Bremen in den vergangenen Jahrzehnten verglichen werden. Was folgern Sie angesichts des fortschreitenden Klimawandels daraus?

Die aktuellen Studien und Berichte des Stadtstaates Bremen für diesen Bereich sind nicht frei verfügbar, sodass ein Vergleich der Ergebnisse nicht möglich war. Die allgemeinen Berichte, wie der jüngste Generalplan Küstenschutz von 2021 enthalten keine ausreichenden Details, um einen angemessenen Vergleich der Ergebnisse durchzuführen. Bohrkerne von dem Gelände, die von Bremen in früheren Jahren vorgenommen wurden, zeigen allerdings ebenfalls im Bereich der zukünftigen Überschwemmungsgebiete unterschiedlich anstehende Sand-, Torf- und Kleieschichten, die sich auch im dahinter befindlichen Hang fortsetzen.

Ihr jüngster Vortrag über Lesum-Wiesen und Lesum-Hang ist mit dem Untertitel „Geologie, Geschichte, Gegenwart und Gefährdung“ versehen. Bedeutet die Gefährdung, dass Lesum-Wiesen und Lesum nahe Grundstücke dauerhaft von Hochwasser bedroht sind?

Im hiesigen Bereich von Weser und Lesum besteht ein anhaltendes Risiko und Potenzial für Überschwemmungen, allein aufgrund der erhöhten Häufigkeit von Extremereignissen wie Regenfällen oder Gezeitensturmfluten. Laut eines kürzlich veröffentlichten Berichts musste das Lesumsperrwerk in den vergangenen Jahren im Durchschnitt etwa 150 Mal pro Jahr geschlossen werden, wodurch der Wasserstand in der Lesum auf 2,5 Meter anstieg. Die überschwemmte Wiese mit der Flachwasserzone hat dann denselben Pegelstand. Dies, gepaart mit der Ausbaggerung der Weser für die Schifffahrt, der nachfolgenden weiteren Erhöhung der Strömung in der Lesum, dem Klimawandel und dem damit verbundenen Meeresspiegelanstieg, führt zu einem erhöhten Risiko längerer Überschwemmungen.

Sie sprechen davon, dass innovative Strategien erforderlich sind, um in Zukunft besser gegen höhere Niederschlagsmengen und steigenden Meeresspiegel gewappnet zu sein. Wie könnten diese Strategien konkret aussehen?

In meinem Vortrag sind Beobachtungen und Ergebnisse unserer Exkursion vorgestellt worden. Dabei ging es aber nicht ins Detail über innovative Strategien. Aus den öffentlich zugänglichen Berichten und unseren Ergebnissen lässt sich nicht ableiten, warum dieser naturnahe Standort vom Stadtstaat Bremen als Ausgleichsgelände für den vor gut 20 Jahren mit Sand gefüllten Überseehafens ausgewählt wurde.

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Eine Prognose der Organisation „Climate Central“ besagt, dass Bremen und Bremerhaven Ende des Jahrhunderts im Meer versänken, selbst wenn kein CO2 mehr ausgestoßen würde. Allerdings berücksichtigt die Studie keinerlei Schutzmaßnahmen wie Deiche oder Sperrwerke. Wie hoch müsste Ihrer Meinung nach ein Deich am Admiral-Brommy-Weg sein, damit die Grundstücke und Häuser auch noch in 50 Jahren vor Überschwemmungen geschützt bleiben?

Die Antwort auf diese Frage liegt in dem, was wir in den letzten 10.000 Jahren gesehen haben (Holozän/Nacheiszeit-Alter). Ein kontinuierlicher Anstieg des Meeresspiegels hat zu einer Ausdehnung der Nordsee ins Landesinnere – oder zu einem Rückzug des Landes – geführt. Der anthropologisch, also durch den Mensch induzierte, Klimawandel beschleunigt diesen Prozess um das Zehn- bis Hundertfache. Das bedeutet, dass man das gesamte System betrachten und nicht nur den Deich am Admiral-Brommy-Weg erhöhen muss. Soweit mir bekannt ist, soll das Sperrwerk in den nächsten Jahren erhöht werden. Was das für das neue Überschwemmungsgebiet der Lesum-Wiesen bedeutet, lässt sich derzeit nicht absehen.

Übrigens war die Diskussion nach meinem Vortrag im Kulturbahnhof Vegesack mit kenntnisreichen Anwohnern und Anwohnerinnen sowie Experten für Deichbau und Grundwasserablauf (vom Hang des Knoops Parks) sehr interessant. Und sie hat mehr zusätzliche Fragen als Antworten aufgeworfen, die wir in den nächsten Jahren im Rahmen weiterer Exkursionen berücksichtigen wollen.

Das Interview führte Klaus Grunewald.

Zur Person

Der gebürtige Inder Vikram Unnithan ist Doktor und Professor für Geowissenschaften im Fachbereich Physik und Geowissenschaften an der Jacobs University Bremen. Dort lehrt und forscht er bereits seit 2004. Vikram Unnithan interessiert sich für ein breites Spektrum prozessorientierter geologischer Studien und angewandter Geophysik, das von seismischer Interpretation, Modellierung von Erdölsystemen, planetarischen Analoga bis hin zu Kaltwasserkorallenstudien und GIS-Datenvisualisierung und -analyse reicht.

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