Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Torfkahnflotte in Findorff „Kalle“ zu Wasser gelassen

Am Findorffer Torfhafen wurde ein neuer Torfkahn begrüßt: "Kalle von Bremen". Ein ehemaliges Wrack wird zum Highlight der wachsenden Flotte.
26.05.2025, 05:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Von Anke Velten

Einen fliegenden Torfkahn sieht man nicht alle Tage. Doch da musste „Kalle von Bremen“ durch. Für den jüngsten Neuzugang der Flotte am Findorffer Torfhafen stand die Gewichtskontrolle in der dritten Dimension an – die letzte Prüfung, bevor der Schiffsgutachter sein grünes Licht für Sicherheit und Tragfähigkeit geben kann. Die Verstärkung durch den siebten Kahn wird am Torfhafen dringend gebraucht. Täglich erreichen das Schiffsbüro bis zu 20 Anfragen, für den Juni sind schon 85 Kahnfahrten ausgebucht. Am Torfhafen läuft es so gut wie nie –  und immer besser, berichtet Projektleiter Ullrich „Mick“ Mickan – und hat dazu seine eigene Theorie.

Mit seinem Gewicht von 1,1 Tonnen ist Kahn Nummer sieben der schlankste in der Findorffer Torfkahnflotte. Das hat die Wiegeprozedur ergeben, für die die Bremer Feuerwehr ihren Autokran mit integrierter Waage an den Torfhafen brachte. Mit seinem glänzend teerschwarzen Look sieht Kalle nagelneu aus, und ist doch ein echtes Upcycling-Projekt. Der Kahn aus Privatbesitz habe nach dem Tod des Eigentümers jahrelang ungenutzt vor dem Wassergrundstück an der Wümme gelegen, bis sich einer der Mitarbeiter den Verfall nicht mehr länger mit ansehen wollte. Die Tochter des ehemaligen Besitzers spendete der Torfkahncrew ihr Erbstück. „Der Kahn war in schlimmem Zustand. Eigentlich wollte ich ihn noch nicht einmal geschenkt haben“, gesteht Mickan. „Aber der Kollege sagte: Den kriegen wir wieder hin.“

Der Kahn war ein Wrack

In der Werkstatt in Osterholz-Scharmbeck habe sich dann gezeigt, dass sich die Crew da ordentlich etwas vorgenommen hatte: „Nicht nur der Boden war komplett zerbröselt, auch das übrige Holz war verfault“, erzählt Mickan und zeigt Beweisfotos des Wracks. In monatelanger Arbeit im vergangenen Herbst und Winter sei das Boot dann bis aufs Gerippe zerlegt worden, erhielt neue Spanten, einen doppelten Boden, einen neuen Rumpf aus solidem Eichenholz und den neuen Anstrich. Nur Masten und Segel, die sicher und trocken gelagert worden waren, sind noch Originalstücke.

Für die übrige Flotte und die 19 Skipperinnen und Skipper hat die Saison schon im April begonnen. Auf dem Programm der ebenfalls rundum überholten Internetseite stehen wieder Naturentdeckungstouren, Picknick- und Kaffeefahrten, die „Romantische Moorlichterfahrt“ und die Ausflüge zu Gasthöfen in der Umgebung. Für Freitag, 12.  September, ist der zweite „Torfbarock-Abend“ in Kooperation mit der Hochschule für Künste und dem Kulturladen Huchting geplant. Die Premiere im vergangenen September, bei der die Torfkähne zu illuminierten schwimmenden Bühnen wurden, habe mit mehr als 2000 Besuchern alle Erwartungen übertroffen, erzählt Mickan. Das Angebot, die Findorffer Kähne für Gruppenfahrten zu chartern, werde immer öfter für Betriebsausflüge genutzt, bei denen mitunter sämtliche Boote gleichzeitig in Beschlag genommen werden.
Seit knapp zwei Jahren sind die Torfkähne auch für Passagiere in Rollstühlen bequem erreichbar. Über einen Lifter werden die Passagiere inklusive ihres Rollstuhls sicher ins Boot gehoben. Mickan erzählt, dass diejenigen, die sich schon getraut hatten, völlig begeistert von dem Erlebnis gewesen seien. Menschen mit Behinderung mitnehmen, das ist ein Vorsatz, der dem Projektleiter besonders am Herzen liegt – nicht zuletzt auch, weil die Torfkähne selbst ein Inklusionsbetrieb sind.

Lesen Sie auch

Dass die Torfkähne überhaupt noch fahren, ist einerseits Erwin Bienewald zu verdanken, der mit seiner inklusiven Maribondo-Stiftung die Trägerschaft für die Findorffer Torfkähne übernommen hat. „Ohne ihn gäbe es uns nicht mehr“, betont Mickan. Seit 2023 ist der Findorffer Torfhafen daher auch Arbeitsplatz für Kollegen mit Schwerbehinderungen. Auf der anderen Seite gäbe es den Betrieb wohl kaum noch ohne sein eigenes Engagement. Zwischen 2007 und 2017 hatte der studierte Theologe mit beruflichen Stationen unter anderem als Krankenhauspastor, Szene-Gastronom und Museumsplaner im Auftrag der Bras den Betrieb am Torfhafen verantwortet, der nach der Insolvenz des früheren Betreibers vor sich hin dümpelte.

Unter Mickans Leitung vergrößerte sich die Flotte und nahm Fahrt auf. Als er im Sommer 2022 davon erfuhr, dass die Bras das Findorffer Standbein nach 15 Jahren aufgeben wolle, war er von seiner Kölner Wirkungsstätte zurück nach Findorff geeilt, um das Ruder in die Hand zu nehmen.

"Bei uns passiert eigentlich nichts"

„Ich müsste das nicht mehr machen“, sagt der heute 74-Jährige, der noch immer so gut wie täglich am Torfhafen in seiner historischen Montur herumwirbelt. Doch der Anblick der Boote, die nach zwei, drei, vier Stunden in den Torfhafen zurückkehren, sei für ihn noch immer eine große Freude. „Viele Passagiere haben diesen total entspannten, entrückten Gesichtsausdruck“ sagt er. Die Natur, die Stille, die völlige Abwesenheit von den Aufregungen und Ablenkungen des Alltags erlebten viele Gäste als geradezu therapeutisch. „Bei uns passiert ja eigentlich nichts“, sagt er. „Und gerade das ist ja das Schöne.“

Info

Alle Informationen zu den Angeboten der Findorffer Torfkähne finden sich auf der Webseite www.torfkahnfahren.de, Buchungen und Anfragen werden über die E-Mail-Adresse buchung@torfkahnfahren.de entgegengenommen. Telefonisch erreichbar ist das Büro täglich außer montags von 9 bis 19 Uhr unter der Rufnummer 01 76 / 60 49 78 13.
Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)