Über die Frage, wie es mit der Barrierefreiheit im Stadtteil aussieht, wurde im Findorffer Beirat bereits mehrfach diskutiert. Im Januar dieses Jahres verabredete man sich mit dem Bremer Landesbehindertenbeauftragten Arne Frankenstein zu einem Rundgang. Und so lief und rollte, schob und zwängte sich ein gutes Dutzend Interessierter jetzt durch die Straßen. Unterwegs wurden Hindernisse identifiziert, die nur diejenigen überraschten, die nicht tagtäglich mühsam mit Rollstuhl oder Rollator ihren Weg finden müssen. Der Beirat nahm es als Auftrag, künftig besonders aufmerksam zu sein, damit sich die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen.
Der Gruppe hatten sich neben Vertretern aus Beirat, Ortsamt, Findorffer Polizeirevier sowie Amt für Straßen und Verkehr (ASV) auch Susanne Findeisen, Thomas Kirpal und Michael Glotz-Richter angeschlossen: Das Trio ist im senatorischen Mobilitätsressort damit beschäftigt, die Neuordnung des Quartiers an der Bürgerweide zu planen.
Los ging es am Martinsclub-Nachbarschaftshaus Nahbei an der Thielenstraße – Treffpunkt vieler mobilitätseingeschränkter Menschen, wie Leiter Simon Brukner sagte. Im Gänsemarsch quetschte man sich zunächst durch die Grünbergstraße und wurde in der engen Passage, die zwischen Zäunen und parkenden Autos übrig geblieben war, von den ersten Blockaden aufgehalten: Von der einsamen Mülltonne, die zwei Tage nach der Leerung noch auf ihre Besitzer wartete, und dem sehr unglücklich, aber laut Revierleiter Walter Lübbe korrekt platzierten Baustellenschild. An ihnen wäre ohne zupackende Unterstützung für die teilnehmenden Rollstuhlfahrer kein Vorbeikommen gewesen.
Der abgesenkte Bordstein im Kreuzungsbereich zur Winterstraße zog als nächstes die Aufmerksamkeit auf sich: Eine an sich einfache Maßnahme, um den Straßenwechsel zu erleichtern. „So etwas machen wir sukzessive nach Kanal- oder Straßenbauarbeiten", erklärte Mark Castens, zuständig in der Verkehrsbehörde für die Straßen im Bremer Westen. Ein städtisches Programm für die systematische Absenkung aller Bordsteine gebe es allerdings nicht, und es wäre auch ein langwieriges und kostspieliges Unterfangen, so Castens: Jede Maßnahme schlage mit 6000 bis 7000 Euro zu Buche.
Erfreulich ungestört
Erfreulich glatt und ungestört verlief die Passage auf dem Gehweg der Borgfelder Straße. Hochgezogene Augenbrauen verursachten beim Revierleiter allenfalls die Fahrräder, die an diversen Zäunen angeschlossen waren. „Die müssten eigentlich alle in den Vorgärten abgestellt werden", erläuterte der Hauptkommissar.
Nächster Halt: Die Hemmstraße, die vor Jahren neu gestaltet worden war. Die kleingepflasterten Streifen auf dem Geh- und Radweg hatte man sich damals wohl als optische Auflockerung gedacht – nach Ansicht von Rollstuhlfahrer Malte Halim keine so gute Idee: „Klar, die bremsen aus.“ Ein noch unüberwindlicheres Problem seien indes die Stufen vor vielen Läden. Erfreulich allerdings: „Immer mehr Geschäftsleute haben inzwischen Rampen angebracht. Dafür kann man nur dankbar sein", so der junge Findorffer. Vor allem für sehbehinderte Menschen sei die Querung über die Eickedorfer Straße problematisch, sagte einige Meter weiter Monique Birkner, Mitarbeiterin des Landesbehindertenbeauftragten: „Auf der Mittelinsel ist nicht erkennbar, dass eine zweite Straße kommt." Auch die Pflasterung vor der Kirche sowie der Querungs- und Haltestellenbereich seien irritierend, so Birkner.
Für die Querung der Hemmstraße vor der großen Kreuzung hatte Mark Castens zuvor eine gute Nachricht: Im Einfahrtsbereich sollen noch im Laufe dieses Jahres das Großsteinpflaster entfernt und die Straßendecke asphaltiert werden. „Das Thema Barrierefreiheit ist bei uns im Tagesgeschäft angekommen und tief verankert", betonte der ASV-Vertreter. „Da, wo wir es können, machen wir es."
Gebremst wird der gute Wille von den finanziellen Ressourcen, wusste Arne Frankenstein. „Natürlich wünschen wir uns eine Beschleunigung, weil wir ja jetzt leben", so der Jurist. Darum sei es um so wichtiger, die Barrierefreiheit bei allen neuen Projekten von Anfang an mitzudenken, so der Landesbehindertenbeauftragte. „Das ist auch ein Gebot der Wirtschaftlichkeit. Man muss das Geld nur einmal ausgeben."
Seit 2003 gilt in Bremen das „Gesetz zur Gleichstellung von Menschen mit Behinderungen und zur Änderung anderer Gesetze." 2016 wurde mit Beteiligung vieler Behindertenverbände die Richtlinie novelliert, nach der bauliche Anlagen des öffentlichen Raums barrierefrei umgebaut werden. Für die anwesenden Ortspolitiker erwies sich der knapp zweistündige Rundgang als hilfreich, um die Aufmerksamkeit bei künftigen Planungen zu schärfen, erklärte Beiratssprecherin Anja Wohlers. „Ich habe viele Bereiche gesehen, die ich vorher nie als Hindernisse erkannt hätte.“