Bremen Stadtteile Osterholz Verden Diepholz Delmenhorst Wesermarsch Oldenburg Rotenburg Cuxhaven Bremerhaven Niedersachsen

Streetwork in Gröpelingen Die Arbeit ist da und wird mehr

Die Streetworker Tobias Winkler und Michael Erhardt kümmern sich in Gröpelingen um Menschen, die ansonsten kaum eine Lobby haben. Ihre Arbeit ist wichtig – doch wie viel ist sie der Stadt wert?
25.02.2023, 08:00 Uhr
Jetzt kommentieren!
Zur Merkliste
Die Arbeit ist da und wird mehr
Von Anne Gerling

Zum zweiten Mal innerhalb von zwei Monaten hat es in der Nacht auf den 23. Februar beim Szenetreff am Gröpelinger Straßenbahndepot gebrannt. Am Tag danach waren dort Abrissarbeiten zu beobachten: Die Reste des hölzernen Unterstands sind entfernt worden.

Gemeinsam mit ehemaligen Besuchern des Treffs war dabei Streetworker Michael Erhardt im Einsatz. Der Sozialpädagoge ist seit drei Jahren bei der Inneren Mission und hat sein Anerkennungsjahr bei Jonas Pot d’Or gemacht, dessen Stelle er zum 1. Oktober übernommen hat. Seitdem kümmert sich Erhardt unter anderem um den Szenetreff an der Ecke Stapelfeldtstraße/Debstedter Straße, den Pot d’Or vor sieben Jahren gemeinsam mit Arbeitslosen und Menschen mit Suchtproblemen aufgebaut hatte. Bis dahin gab es schlichtweg keinen Ort, an dem Menschen mit Alkohol- oder Drogenproblemen, ohne ein Dach über dem Kopf oder ohne Arbeit willkommen waren. Dementsprechend kam es mehrfach zu Konflikten an den Haltestellen beim Depot, wo sich Menschen trafen, um gemeinsam Alkohol zu konsumieren.

Abwanderung vom Hauptbahnhof

In den Tagen unmittelbar nach dem ersten Brand am 21. Dezember seien die Leute zunächst etwas abgewandert, hat Michael Erhardt nun dem Sozialausschuss des Gröpelinger Beirats geschildert: „Zum Beispiel in den Tunnel an er Stapelfeldtstraße. Seit der Freigabe durch die Polizei sind wieder mehr Leute am Szenetreff. Man merkt, dass durch die verstärkten polizeilichen Maßnahmen am Hauptbahnhof viele von dort abgewandert sind. Ich treffe in Gröpelingen viele, die ich vom Hauptbahnhof kenne.“

Lesen Sie auch

„Die Verschiebung vom Hauptbahnhof nimmt Ausmaße an, die zunehmend sehr schwierig werden“, bestätigt Streetworker Tobias Winkler von der Ambulanten Suchthilfe Bremen (ASHB), der seit März 2021 als Ansprechpartner für Drogenabhängige und Menschen mit Suchterkrankungen auf Gröpelingens Straßen und Plätzen unterwegs ist. Ihm zufolge halten sich mittlerweile fast zu jeder Tageszeit Menschen beim Szenetreff auf: „Zu Spitzenzeiten – etwa bei verstärkten Polizeikontrollen am Hauptbahnhof oder wenn die Leute am Monatsanfang Geld bekommen – steigen die Besucherzahlen dort auf 40 bis 50 an. Dementsprechend haben wir dort mit ziemlich vielen Problemen zu tun, zum Beispiel mit Konflikten untereinander. Der Bedarf an unserer Arbeit steigt also, aber wir können es zum Teil so nicht mehr auffangen.“

Wiederaufbau des Treffs geplant

Die Gröpelinger Ortspolitiker wollen den Szenetreff am Depot so schnell wie möglich wieder herrichten. Beiratssprecherin Barbara Wulff (SPD) erinnert sich noch gut an das erste Projekt dieser Art – einen 1999 im Grünzug nahe der Philippuskirche errichteten hölzernen Unterstand, der zu erheblichen Konflikten mit Anwohnern geführt hatte und kurz nach der Eröffnung abgebrannt ist.

Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund plädiert Wulff dafür, den Holz-Unterstand jetzt durch einen umgebauten Container zu ersetzen – eine Option, die kürzlich bereits Axel Brase-Wentzell, stellvertretender Leiter des Bereichs Wohnungslosenhilfe bei der Inneren Mission, ins Spiel gebracht hatte. Er hält die Wiedereröffnung des Treffs im Sommer für machbar, denn eine neue Baugenehmigung sei voraussichtlich nicht nötig. Für die Entsorgung der Brandruine sowie den Kauf und Umbau eines Containers veranschlagt Brase-Wentzell rund 12.000 Euro: „Wir brauchen eine Finanzierungsstruktur, mit der wir das hinkriegen könnten.“ Unterstützung könnte von verschiedenen Seiten kommen: Die evangelische Kirchengemeinde Gröpelingen und Oslebshausen, die schon den Holz-Unterstand mitfinanziert hatte, ließ über Beiratsmitglied Hanspeter Halle (Grüne) mitteilen, dass sie auch jetzt wieder Geld zuschießen würde. Die CDU-Fraktion wiederum hat gute Kontakte zu einem auf Container-Umbau spezialisierten Unternehmen – es sieht mit dem Wiederaufbau also gar nicht mal schlecht aus.

Stellen-Finanzierung unklar

Etwas anderes allerdings bereitet den Ortspolitikern aktuell große Sorgen: Die knappen Mittel für die Straßensozialarbeit. „Wir haben noch keine Finanzierung für die Stelle, die wir aktuell am Laufen haben. Das ist für dieses Jahr noch nicht geregelt, obwohl mir das zugesagt wurde“, sagt nämlich ASHB-Geschäftsführerin Beatrix Meier: „Das ärgert mich maßlos, weil von allen Seiten deutlich gemacht wurde, dass es eine Notwendigkeit für diese Stelle gibt. Und durch die Situation am Hauptbahnhof und den Brand haben wir eine verschärfte Lage. Perspektivisch wünschen wir uns außerdem, dass wir mit einem Teil der Beratung wieder vor Ort sind, weil wir merken, dass die Schwellen zu unserer Beratungsstelle in der Stadtmitte zu hoch sind.“

Lesen Sie auch

Die unklare Finanzierung seiner Stelle verwundert auch Streetworker Tobias Winkler, der während seiner zwei Jahre in Gröpelingen beobachtet hat: „Die Arbeit war da und wurde mehr. Und jetzt ist plötzlich das Signal, dass man uns die Arbeit wieder wegnimmt. Das passt nicht zusammen.“

Ähnlich knapp ist die Lage bei der Inneren Mission, wo Jonas Pot d’Or 1996 mit einer halben Stelle anfing, die über das Gesundheitsressort refinanziert wurde. Der Betrag ist Brase-Wentzell zufolge seitdem gleich geblieben, während die Tarife stiegen – dementsprechend seien daraus nun 13 Stunden geworden, die Michael Erhardt wöchentlich in Gröpelingen unterwegs sein könne. Reicht das? „19,5 Stunden wären gut“, sagt Erhardt, „das ermöglicht einem, zwei Tage vor Ort zu sein plus einen halben Tag Pufferzeit zur Vor- und Nachbereitung und als Wegezeit.“ Nun bekommen die Streetworker Unterstützung aus der Ortspolitik: Der Gröpelinger Beirat fordert, ihre Stellen aufzustocken und abzusichern.

Zur Startseite
Mehr zum Thema

Das könnte Sie auch interessieren

Rätsel

Jetzt kostenlos spielen!
Lesermeinungen (bitte beachten Sie unsere Community-Regeln)