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Quartier im Wandel Was die Eisenbahnersiedlung Sebaldsbrück einzigartig macht

Die Eisenbahnersiedlung in Sebaldsbrück ist etwas Besonderes. Anwohner verraten, warum das auch Jahrzehnte nach der Gründung noch immer so ist.
08.08.2024, 05:00 Uhr
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Was die Eisenbahnersiedlung Sebaldsbrück einzigartig macht
Von Christian Hasemann

Um zu verstehen, dass die Eisenbahnersiedlung in Sebaldsbrück etwas Besonderes ist, dafür reicht es, Hildegard Guth zuzuhören. Sie kennt alle Namen ihrer Nachbarn, weiß, wo in dem Quartier die Kinder und die Enkelkinder die Häuser ihrer Eltern und Großeltern übernommen haben, wer saniert und wer renoviert. Sie stammt aus einer derjenigen Familien, für die diese Siedlung einst gebaut wurde: Eisenbahner. Doch auch dieses Dorf in der Stadt, wo beinahe jeder jeden kennt, ist vom Wandel betroffen – nicht immer zum Guten. Der Geschichtskreis Sebaldsbrück bringt nun ein Buch zur Historie heraus.

Die Ladenkirche Guter Hirte in der Forbacher Straße ist einer der wenigen Treffpunkte, die es in dem Quartier noch gibt. Gegenüber das alte Gemeindezentrum, das sinnbildlich für die Veränderungen in der Eisenbahnersiedlung steht. Es soll abgerissen werden, denn es ist in die Jahre gekommen. Die Gemeinde hatte zuletzt immer weniger Mitglieder.

Früher reges Vereinsleben

Einst war die Straße laut Hildegard Guth das Zentrum der Eisenbahnersiedlung, die Haupteinkaufsstraße mit kleinen Läden, in denen die Bewohner alles bekamen, was sie brauchten. Geschäfte gibt es allerdings hier nicht mehr. Immerhin: Die Ladenkirche, ein deutlich abgespecktes Gemeindezentrum, belebt eine Straßenecke, ein paar Meter weiter hat noch ein Pizza-Lieferdienst geöffnet.

"Wir hatten ganz viele kleine Läden, an jeder Ecke. Das kann man sich heute nicht mehr vorstellen", sagt Guth beim Treffen mit dem Geschichtskreis in der Ladenkirche. Zweimal am Tag sei früher der Briefträger gekommen, einmal morgens, einmal abends. Selbst die Rente des Großvaters sei per Post gekommen. "Auch das Vereinsleben wurde sehr gepflegt", berichtet sie. "Es gab ein Eisenbahnerorchester, Feuerwehrbälle, Kegelgruppen."

Tatsächlich bestätigt ein Blick in die Materialsammlung des Geschichtskreises Sebaldsbrück diese Erinnerungen. 1916 gründete sich ein Liederverein, 1928 ein Eisenbahner-Sportverein und 1934 ein Blasorchester. Es herrschte also ein reges soziales Leben in der damals noch jungen Siedlung.

1914 ging das Reichsbahn-Ausbesserungswerk Sebaldsbrück in Betrieb, Hunderte Arbeiter wechselten vom alten Werk am Bremer Hauptbahnhof nach Sebaldsbrück. Damals entstand auch der inzwischen denkmalgeschützte Wasserturm, ein Industriedenkmal am Rande des Quartiers. Wasser war für den Betrieb der dampfgetriebenen Lokomotiven notwendig.

Genossenschaft baut Wohnungen für Arbeiter

Mit der Ansiedlung des Werks wurde auch eine Unterbringung der Arbeiter und deren Familien nötig – Teil der Sozialpolitik der Reichseisenbahn. Dafür wurde die Genossenschaft "Eisenbahn-Heimstättenbau- und Sparverein Hemelingen" gegründet. Dieser pachtete von der preußischen Eisenbahndirektion 20 Hektar Land auf 99 Jahre. Bis 1940 stellte die Genossenschaft 363 Wohnungen fertig, überwiegend frei stehende Ein- und Zweifamilienhäuser – ausschließlich für Eisenbahner. Später konnten die Mieter ihre Wohnungen aus der Erbpacht kaufen, vielen taten das auch.

Hildegard Guths Großvater arbeitete in dem Werk, bezog eine der neuen Wohnungen. Ihre Eltern blieben dort wohnen, und auch sie wohnt noch immer in ihrem Geburtshaus. "Das Schöne war, die Arbeiter waren nicht nur Kollegen, sondern auch Nachbarn. Jeder hatte einen kleinen Gemüsegarten, eigentlich alle hielten Tiere, und man unterstützte sich gegenseitig."

Seit den 60er-Jahren konnten auch Menschen, die nicht bei der Bahn angestellt waren, eine der Wohnungen beziehen. In der Zeit entstand der Neubau der Kirche Zum Guten Hirten, die Schule an der Dudweiler Straße wurde gebaut, und das Krankenhaus Sebaldsbrück bekam 1961 ein neues Bettenhaus. Daneben wurde die Infrastruktur des Viertels saniert. Wenn man so möchte, war das die Blütezeit des Quartiers.

Manfred Knetschke zog vor annähernd 20 Jahren in die Eisenbahnersiedlung. Und obwohl die Zeit der Arbeitervereine längst vorbei ist, spürt er noch den Geist der Arbeitersolidarität im Quartier. "Es ist die Ruhe und die Nachbarschaft", sagt er. "Es dauerte nicht lange, da war man auf Du mit den anderen." Er hebt außerdem die Hilfsbereitschaft im Quartier hervor. "Und man macht die Tür auf und steht im Garten, das ist das Schöne."

Abbau der Infrastruktur

In den vergangenen beiden Jahrzehnten verschwanden nach und nach die Vereine, das Krankenhaus wurde geschlossen, das Ausbesserungswerk verlor seine Bedeutung für das Viertel. Zuletzt wurde 2023 das Gemeindezentrum entwidmet und geschlossen.

Guth blickt nicht wehmütig zurück, auf eine Zeit, die nicht wiederkommen wird. Sie blickt stattdessen mit leichter Hoffnung in die Zukunft. "Vielleich bekommen wir doch noch mal ein paar Geschäfte wieder hier her, denn mit der Bebauung ziehen ja auch Leute her." Kentschke ergänzt: "Eine Gaststätte oder Restaurant, wo man mal ein Bier trinken kann, das fehlt hier." Verbessert werden könne auch der Anschluss an den Nahverkehr.

Es gibt auch Zeichen einer Belebung: "Bald ist die Übergabe des Gemeindezentrums an den Investor, dann soll dort eine Kita mit sechs Gruppen entstehen", erklärt Pastor Tilman Gansz-Ehrhorn. Auch die Ladenkirche sei als Treffpunkt gut angenommen worden. "Ich hoffe, dass wir bald die Außenmöblierung bekommen und den Café-Betrieb aufnehmen. Das ist zwar dann keine Gaststätte, aber ein kleiner Treffpunkt."

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Info

Das Buch "Die Eisenbahnersiedlung" des Geschichtskreises wird am Montag, 19. August, ab 15 Uhr in der Ladenkirche Guter Hirte in der Forbacher Straße 21 vorgestellt. Die Broschüre kostet acht Euro. Weitere Informationen: geschichtskreis.sebaldsbrueck@gmx.de.

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