"Es ist etwas, das man in die Hand nehmen kann. Ich kann es auflegen und habe diesen warmen, manchmal etwas knackenden Klang", sagt Henning Bosse über die Faszination, die Vinylplatten auf ihn ausüben. Bosse ist mit dieser Faszination nicht allein, denn die eigentlich totgesagte Vinylplatte erlebt seit Jahren eine Renaissance. Diese Leidenschaft können Fans und Besucher der gerillten Scheiben am Wochenende auf einer Plattenbörse im Bürgerhaus Mahndorf ausleben.
Gemeinsam mit dem Bürgerhaus Mahndorf organisiert Bosse die Plattenbörse. "Es ist die zweite, die ich mitorganisiere", sagt Bosse. Bis Covid habe es regelmäßig Schallplattenbörsen gegeben. "Während Covid und nach Covid ist leider nichts mehr passiert", bedauert Bosse. "Ich habe mich gefragt, warum es so etwas in Bremen nicht gibt", erzählt er weiter. Im Juni dann der erste Versuch einer Plattenbörse, in Walle, im Kulturzentrum Brodelpott. Wie war die Nachfrage? "Die haben uns die Bude eingerannt", sagt Bosse. Die Nachfrage sei also da. "Das ist im Juni deutlich geworden und deswegen legen wir nun nach."
Private Sammler im Bürgerhaus
Derzeit hätten sich 16 Plattenverkäufer angemeldet, die über 50 Verkaufsmeter im Bürgerhaus belegten. "Es können aber ruhig noch mehr werden, wir haben durchaus noch Platz", sagen Bosse und Sven Bohling, der vonseiten des Bürgerhauses die Plattenbörse mitorganisiert. Die Plattenbörse richtet sich dabei ausschließlich an private Verkäufer und Sammler. Einen musikalischen Schwerpunkt gibt es hingegen nicht. "Es ist so aufgebaut, dass für jeden etwas dabei ist."
Die Organisatoren gehen davon aus, dass nicht nur aus Bremen, sondern auch aus der Region bis hin nach Hamburg Fans der Kunststoffscheiben nach Mahndorf reisen werden. Doch was macht die Faszination aus für die Scheibe mit der Rille?
Eine Langspielplatte aus Vinyl misst 30,84 Zentimeter im Durchmesser. Sie besteht aus dem Kunststoff Polyvinylchlorid (PVC). Damit die Platte Tonsignale speichern kann, ist in den Kunststoff eine spiralförmige Rille gepresst. Die Flanken dieser Rille wiederum bilden die Schallschwingungen eines Musikstücks ab. Der Tonabnehmer mit einer feinen Nadel nimmt diese auf, die dann entweder direkt oder elektromagnetisch in akustische Signale – beispielsweise Musik – wiedergeben werden.
Nach Angaben des Verbands der Deutschen Musikindustrie ist der Umsatz mit Vinylplatten bis 2021 kontinuierlich gestiegen. 2022 ist der Umsatz dann leicht geschrumpft. In der Gesamtschau sind physische Tonträger wie Platte, CD und DVD aber weiter im Sinkflug. So lag der Marktanteil der physischen Tonträger 2021 bei 23,6 Prozent, der Rest wurde digital über Musikstreaming-Dienste umgesetzt. Ein Trend, der seit Jahren ungebrochen ist.
Warmer Klang durch Einschränkungen
Ironischerweise sind es gerade die technischen Einschränkungen im Vergleich zu den digitalen Aufnahme- und Wiedergabeverfahren, die das Hörvergnügen von Vinylplatten ausmachen. Bestimmte Frequenzbereiche lassen sich beispielsweise nicht so gut abbilden, anderes wird im Vergleich zu digitalen Formaten ungenauer gespeichert. Insgesamt wirkt der Klang dadurch auf viele Hörerinnen und Hörer aber "wärmer" – so wie es Henning Bosse auch sagt. Dazu kommt die Haptik: Man kann die Platten in die Hand nehmen, sie wenden, sie betrachten, mit den Fingerspitzen die Musik an den Rillen fühlen.
Ein bisschen Nostalgie dürfte bei dem einen oder anderen Vinylliebhaber auch mitschwingen. "Ich komme aus der klassischen Vinylzeit", sagt Bosse, der 1977 seine erste Platte kaufte, von der britischen Rockgruppe Status Quo. Es ist also für einige auch eine Erinnerung an die Kinder- und Jugendzeit.
Bis in die 90er-Jahre hielten sich die Vinylplatten, dann kam die CD. "Anfang der 90er ging es dann den Bach runter", so Bosse. "Aber seit 20 Jahren geht es wieder steil bergauf, die Presswerke kommen kaum noch nach." Vinyl sei allerdings sehr teuer geworden. "Deswegen gehen viele Leute auf solche Börsen und holen sich die Platten günstiger."
Junges Publikum
Dass sich die Vinylleidenschaft auf die Generation beschränkt, die mit der Platte im Regal und auf dem drehenden Plattenteller aufgewachsen ist, kann Bosse nicht bestätigen. "Es ist sehr viel, was an jungem Publikum nachwächst", hat er beobachtet.
Und die Plattenbörsen rühren auch einem offenbar menschlichen Bedürfnis. "Die Leute wollen vor Ort wühlen", sagt Bosse. "Als ich jung war und nicht alles überall zu jeder Zeit verfügbar war, war es ein Riesending in einen Plattenladen zu gehen, da war Spannung und Abenteuerlust dabei, und das Gefühl hast du auf Börsen immer noch."
Und noch etwas ist dem Sammler, der seinen Schwerpunkt in New Wave und Punk hat, aufgefallen: "Lange Zeit war der Sammlermarkt sehr männlich dominiert, aber inzwischen kommen immer mehr Frauen in den Markt, das freut mich sehr." Woran das liegt? "Ich glaube, das begann mit der DJ-Szene, in der immer mehr DJanes – weibliche DJs – erfolgreich sind und das hat viele Frauen motiviert."
Die Plattenbörse im Bürgerhaus Mahndorf, Mahndorfer Bahnhof 10, beginnt am 8. Oktober um 11 Uhr. Um 17 Uhr soll Schluss sein. Anmeldungen für Verkaufsstände sind über hb-eventservice@web.de möglich.