Pilze und Ungeduld passen offenbar gut zusammen. „Pilze wachsen schnell und ich bin ein ungeduldiger Mensch“, sagt Ronny Claßen, während er in einem Keller mit mehreren Räumen und Gängen in Sebaldsbrück steht. Die Luft ist feucht und stickig, doch die Hauptprotagonisten fühlen sich anscheinend wohl. „Es gibt Austernseitlinge, Limonenseitlinge und Rosen- oder Flamingoseitlinge“, erklärt Claßen – und während er die Pilzzucht anfangs als Hobby betrieben hat, ist aus diesem Zeitvertreib mit Neighbourshrooms inzwischen eine Firma geworden.
Monatlich komme er inzwischen sortenbedingt auf 40 bis 50 Kilogramm Pilze, perspektivisch werde es auch noch holzzersetzende Pilze in seinem Keller geben: Shiitake, Igelstachelbart oder den Kräuterseitling. Die anderen Pilze gedeihen nicht auf Holz: In der etwa zwei Meter hohen Reifekammer liegen auf mehreren Regalbrettern diverse Plastiksäcke, aus denen forsch ein paar rosafarbene Pilze hervorlugen. Ihre Nahrung: Kaffee. „Es ist ein Mix aus Kaffeesatz und Stroh. Der Kaffeesatz kommt von Cafés aus dem Viertel, das Stroh von Biobauern aus Ganderkesee.“
Die Mischung macht es anscheinend. Denn: „Reiner Kaffeesatz wird sehr dicht und das Stroh gibt Luftigkeit“, sagt Claßen. Das sich daraus ergebene Substrat mit den Pilzsporen kommt dann in Plastikbeutel, der Beutel selbst bekommt dann ein paar Löcher verpasst. „Und ich muss dann dafür sorgen, dass der Pilz das Substrat bevölkert, weil es sonst anfängt zu schimmeln. Man muss also schneller sein als der Schimmel.“ In der Regel sei ein solcher Beutel mit dem Substrat-Sporengemisch nach drei Wochen bevölkert, nach vier Wochen könne dann geerntet werden.
Ronny Claßens Leidenschaft für die Pilzzucht ist im Jahre 2012 entstanden. Er habe ein wenig Kaffeesatzsubstrat mit Rosenseitlingsporen erhalten, damals wohnte er noch in einer Wohngemeinschaft und dort lag auch der Ursprung seiner Pilzzucht. „Ich habe angefangen, Kaffeesatz zu sammeln und das führte zu vielen Pilzen – zu viele für meine WG, sodass ich die Pilze dann auch an Nachbarn und Freunde verteilt habe.“ Später seien Restaurantbetreiber auf ihn zugekommen und hätten gefragt, ob er sie beliefern könne: „Und dann wusste ich, dass ich es gewerblich machen werde.“
Seine Wirkungsstätte hat er dann zunächst in das Creative Hub an der Friedrich-Karl-Straße verlegt, „und jetzt bin ich hier.“ Hier, das sind die Kellerräumlichkeiten einer ehemaligen Fleischerei. Und diese Räumlichkeiten renoviert Claßen derzeit aufwendig und befreit die Wände von dem schwarzen Ruß, der sich dort über die Jahre durch eine rege Räuchertätigkeit angesammelt hat. Noch ist also seine Produktion auf die etwas improvisierte Reifekammer beschränkt, „doch irgendwann kann ich dann bis zu 700 Kilogramm Pilze im Monat ernten.“
Das Problem liege nicht in der Produktion der Pilze, sondern im Verkauf. „Bei mir kostet ein Kilogramm Austernseitlinge zum Beispiel 32 Euro, im Supermarkt jedoch zwischen zwölf und 15 Euro." Dafür kämen sie dann aus Osteuropa, wo Pellets als Substrat genutzt würden und wo unklar sei, ob das Sägemehl nicht einfach nur Abfall ist. Oder ob eigens dafür Bäume gefällt wurden. "Ich möchte hiermit zeigen, dass es auch anders geht.“
Abomodell für Kunden
Das schätzt anscheinend seine Kundschaft: „Ein paar Leute haben ein ,Pilzabo', die bekommen dann alle zwei Wochen 250 Gramm Pilze.“ Ein Lokal am Ziegenmarkt liefere ihm den Kaffeesatz, den er für die Pilzzucht benötige. Im Gegenzug bekomme es Pilze. „Sie nutzen meine Pilze, die auf ihrem Kaffee wachsen, um dann Essen zu machen – so schließt sich der Kreis.“ Und regelmäßig ist er auch mit seinem Stand auf dem Findorffmarkt zu finden.
Das Pilzgeschäft war für Claßen auch ein Lernprozess. „Der Kaffeesatz muss frisch genutzt und es muss viel Brut verwendet werden“, erinnert er sich. Und nachdem diese Erkenntnis kam, „war das der Gamechanger. Der frische Kaffeesatz, vermischt mit Stroh – das hilft beim Luftaustausch. Seitdem habe ich fast keinen Ausfall mehr.“ Ihn fasziniere der Anbau von Lebensmitteln schon lange, „doch mich selbstständig zu machen, war nie der Plan. Pilze anbauen, um davon zu leben – das ist irgendwie so passiert.“ Wobei er sich grundsätzlich eher als Sozialunternehmer sieht: „Das klassische Wirtschaften ist nicht meins“, bekennt er freimütig, „vielmehr fühle ich mich verpflichtet, dass gesellschaftlich etwas vorangetrieben wird.“
Etwa Bildungsangebote unterstützen - „dort, wo sozial Schwächere wohnen, die nicht so viel Einkommen haben. Deshalb verkaufe ich auch Pilzpakete, um von dem Erlös kostenlose Workshops anbieten zu können.“ Vom Erlös der Pilzpakete wandert ein Euro in seinen Geldbeutel, ein weiterer Euro geht dann in die Tasche der Kinder- und Jugendfarm in Oslebshausen. „Die Arbeit dort muss unterstützt werden“, sagt Claßen, „in den Workshops mit den Kindern auf der Farm zeigen wir, dass es eine Alternative zu Fleisch gibt, die schmeckt – zum Beispiel Burger aus Pilzen.“
Als studierter Werkstoffwissenschaftler hat sich Ronny Claßen viel mit kompostierbaren Verpackungen beschäftigt und bei seiner Arbeit mit den Pilzen versucht er auch, so wenig Müll wie möglich zu erzeugen. Es ist dann auch ein Umweltgedanke, der den 38-Jährigen umtreibt: „Pilze können dafür sorgen, dass die Böden wieder fit gemacht werden. Und das alte Substrat kann man dann auf die Äcker bringen, das ist gut für den Boden und wertet ihn auf.“
Aufwerten möchte er auch seine Produktionsstätte, eine Crowdfundingkampagne läuft gerade, eine Wärmepumpe muss her, um die Produktion energieeffizienter zu gestalten. Und dann, so Ronny Claßen, wenn die Produktion effizienter werde, „dann werden die Pilze im Endeffekt auch preiswerter.“