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Geschichte beginnt in Bremen Wie Kornkraft zum Biogroßhändler wurde

Seit 1985 gibt es das Familienunternehmen Kornkraft Naturkost – heute mit Sitz in Großenkneten. Die Geschichte der Biopioniere ging allerdings in Bremen los.
08.11.2023, 18:16 Uhr
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Von Anke Velten

Eine Lastwagenladung voller Kartoffeln, auf der man fast sitzen geblieben wäre: Damit ging es fast auf den Tag genau vor 42 Jahren in Bremen los. Kornkraft Naturkost ist einer der frühesten Bio-Großhändler und wirtschaftet heute auf einem zweieinhalb Hektar großen Betriebsgelände in Hosüne in der Gemeinde Großenkneten.

150 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter versorgen ganz Norddeutschland mit Bio-Produkten. Doch an den Werten der Gründerzeit hat sich nie etwas verändert. „Unser Lebensplan war es nicht, ein großer Arbeitgeber zu werden“, sagen Sabine und Jochen Schritt, heute 68 und 72 Jahre alt. „Wir wollten immer nur ein bisschen die Welt retten.“

Der Kundenkreis von Kornkraft Naturkost umfasst 600 Naturkostgeschäfte, Hofläden und Marktbeschicker. Ein wichtiger Geschäftsbereich sind zudem die Großküchen von Kitas und Schulen, Uni-Mensen, Betriebskantinen und Restaurants, die zentnerweise – und so verpackungsarm wie möglich – mit Getreide, küchenfertigem Obst, Gemüse und Molkereiprodukten beliefert werden. Eine logistische Höchstleistung: Was die Kundschaft abends bestellt, wird am nächsten Morgen vor der Tür sein – selbst, wenn diese Tür auf einer Nordseeinsel steht, sagt Jochen Schritt.

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Möglich machen das ein rund um die Uhr besetztes 4000 Quadratmeter großes Lager mit 10.000 verschiedenen Produkten und ein Fuhrpark mit 13 Fahrzeugen. Stolz sind die Schritts auch auf die eigene Kornkraft-Hausmarke mit Getreide, Saaten, Reis, Trockenfrüchten und Müsli, die teilweise in Pfandgläsern verkauft werden. Gemeinsam mit dem Bio-Safthersteller Voelkel aus dem Wendland wurde kürzlich zudem ein klimapositiver Apfelsaft aus Früchten von Streuobstwiesen entwickelt, über dessen Verkauf ein Umweltprojekt in San Salvador unterstützt wird. 

„Unsere Eltern waren Pioniere”, sagt Katarina Schritt, die das Unternehmen mittlerweile mit ihrem Bruder Robin in zweiter Generation leitet. Um zu begreifen, wie erstaunlich die Firmengeschichte ist, muss man sich vier Jahrzehnte zurückversetzen – in die Welt Anfang der 1980er-Jahre. Kalter Krieg, saurer Regen, Friedensbewegung, die jungen Grünen, Anti-Atom-Demos und Akademikerschwemme: Vor diesem Hintergrund hatte sich in Bremen eine Gruppe junger Leute zusammengefunden.

"Etwas Sinnvolles tun"

Jochen Schritt hatte damals sein Studium der Sozialwissenschaften abgeschlossen. „Wir wollten etwas Sinnvolles tun. Etwas bewirken, und gleichzeitig davon leben können”, erzählt er. Aus einer Laune heraus habe er einen klapprigen alten Mercedes-Lastwagen ersteigert. „Wir fuhren damit zu einem Bauernhof in Fintel und kamen mit einer Ladung Kartoffeln zurück nach Bremen.” Die Idee: Man wollte die ökologisch angebauten Kartoffeln in den Haushalten der Stadt entladen.

Das Problem: „Wir waren viel zu spät”, sagt Schritt. „Alle, die überhaupt noch Kartoffeln für den Winter einlagerten, hatten ihre Horden schon gefüllt.” Plan B: der Findorffmarkt. „Bei der Kundschaft kamen unsere Kartoffeln gut an”, sagt er. „Aber schlagartig nannten auch die anderen Marktleute ihre Produkte bio.” Eine Definition, geschweige denn einen gesetzlichen Schutz habe es für diesen Begriff damals noch lange nicht gegeben. „Erst viel später wurden die EU- und staatlichen Bio-Siegel eingeführt.“

Das junge Kollektiv hatte seine eigene Arbeitsweise. „Jeder tat so viel, wie er wollte und konnte und nahm sich aus der Kasse, was er brauchte”, erinnert sich Jochen Schritt. Vier Jahre lang sei das gut gegangen, dann nicht mehr. Der erste Bio-Marktstand Bremens wurde von einem der Mitgründer bis ins vergangene Jahr weitergeführt. Die Schritts gingen andere Wege. Sie beschlossen, einen Großhandel für Bio-Produkte zu gründen und gaben ihm seinen Namen. „Kornkraft statt Kernkraft: Fanden wir gut“, sagt Jochen Schritt.

Vertriebsstruktur schließt Lücke

Auch ohne staatliche Regelungen gab es in dieser Zeit schon Landwirte und Anbauverbände, die ihre eigenen Richtlinien geschaffen hatten. „Aber es gab keine Vertriebsstruktur“, erklärt Katharina Schritt. „Das war die Lücke, die meine Eltern geschlossen haben.” Im Vergleich zu heute war es anfangs eher ein Kleinhandel. Beliefert wurden die wenigen Bioläden der Stadt wie die Findorffer Sonnenblume, Kraut und Rüben im Viertel, der Naturkrämer in Delmenhorst. „Eine unserer ersten Maßnahmen war es aber auch, die Bio-Bäckereien von regionalem Getreide zu überzeugen”, sagt Jochen Schritt. „Sie verwendeten damals noch französisches Mehl.“

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1986 zog das Paar, das sich beim Studium in Göttingen kennengelernt hatte, aufs Land in das zehn Hektar große Hosüne-Gelände und gründete mit 30 anderen Familien eine ökologische Gemeinschaft. „Hier konnten wir Schritt für Schritt mit der aufblühenden Bio-Branche wachsen“, sagt Sabine Schritt. Hinzu kamen im Laufe der Zeit auch fünf eigene Kornkraft-Bioläden – der mit 350 Quadratmetern größte steht in Habenhausen. Bis auf den ersten in Hosüne handelte es sich immer um bestehende Läden, die von den vorherigen Betreibern aufgegeben wurden, sagt Jochen Schritt.

Virtuelle Reise zu den Höfen

Die Kunden von heute erwarten und finden dort ein Vollsortiment, vom Apfel bis zur Zahnbürste, und auch Tomaten im Winter, Bananen und Kurkuma aus Übersee. „Bio von hier“ liegt den Schritts aber nach wie vor am Herzen. Die regionalen Produkte werden besonders gekennzeichnet. Die Erzeugerkarte auf der Homepage führt virtuell auf die Höfe, direkt zu den Bauersleuten, die davon erzählen, wie sie leben, was sie anbauen, was sie antreibt: zum Beispiel auf den Demeter-Hof im ostholsteinischen Heringsdorf, auf dem Jochen Schritt als Ältester von zehn Geschwistern aufgewachsen ist und den sein Bruder Armin weiterführt.

Mit den endlichen Ressourcen der Erde schonend und sparsam umgehen, das praktiziert das Unternehmen nach eigenen Angaben von Beginn an. Bis 2025 will Kornkraft klimapositiv werden. Für sein Engagement wurde das Unternehmen in diesem Jahr für den Deutschen Nachhaltigkeitspreis vorgeschlagen und schaffte es unter die drei Finalisten der Kategorie "Lebensmittelgroßhandel". „Ökologischer Anbau ist ein wesentlicher Beitrag zum Klimaschutz, denn er baut Humus auf, der CO2 bindet, statt die Erde auszulaugen“, erklären die Schritts. „Wir brauchen hundert Prozent Ökolandbau. Sonst hat die Erde keine Zukunft.“

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