Wer die Eingangstür zum kleinen Theater am Deich öffnet, fühlt sich der Gegenwart entrückt. Das blau-weiße Foyer mit Minibar und geschwungenen Hängeleuchten, historische Schwarz-Weiß-Bilder, das Wappen und die verzierten Säulen im Saal des Holzhäuschens verbreiten eine anheimelnde Atmosphäre. Und ein bisschen wie zu Hause fühlen sich auch die Amateurtheaterspieler am Lehester Deich: Sie betrachten sich als kleine Familie, Besucher als Verwandte. Ein Probenbesuch des Stückes "Schmetterlinge sind frei".
Die Akteure auf und hinter der Bühne
Die Regie-Doppelspitze und die beiden Hauptdarsteller, die das Stück "Schmetterlinge sind frei" im Herbst aufführen wollen, haben alle früh Bühnenerfahrung gesammelt. Frank Egles' Begeisterung für die Bühne ist durch seine Aktivitäten fürs Krippenspiel und später als Darsteller in der Theatergruppe seiner damaligen Kirchengemeinde in Hannover entflammt. "Ich wollte sogar Schauspiel studieren", sagt der seit 1990 in Arsten lebende Theateramateur. Regisseurin Heike Weppler-Vollbrecht hat mit ihrer Schulfreundin schon in der Schule Theater gespielt, was auch für ihren Sohn Tom zutrifft. Der 25-Jährige spielt jetzt eine Hauptrolle in dem Vier-Personen-Stück. Die zweite hat Pia Pfeng übernommen. "Meine erste", sagt sie. Die Oberneuländerin hatte als Schulfach "Darstellendes Spiel" und in der zehnten Klasse eine Aufführung im Schlachthof. "Ich hatte eine größere Rolle", sagt die 24-Jährige, "und habe gemerkt, Theater liegt mir."

Die Regisseure Heike Weppler-Vollbrecht (hinten v.l.) und Frank Egles erklären dem Bühnennachwuchs Pia Pfeng und Tom Vollbrecht, wie das Bühnenbild für "Schmetterlinge sind frei" einmal aussehen soll.
Verschiedene Zugänge zum Theater am Deich
So unterschiedlich wie die vier Theatermacher, so verschieden sind die Wege, auf denen sie zum Theater am Deich gekommen sind. Vor rund 20 Jahren hatte Frank Egles einen Aufruf der Truppe im Stadtteil-Kurier entdeckt: "Er hieß ,Junge Liebhaber und Bösewichte gesucht'", erinnert er sich. Aus der Vielzahl an Interessierten hätten sich zwei Gruppen herausgebildet und jeweils einen kurzen Einakter eingeübt. "Es gab nur eine Aufführung und nur für Vereinsmitglieder", berichtet Egles, der seit damals dabeigeblieben ist.
Für Heike Weppler-Vollbrecht war der Anstoß, dass ihre Schulfreundin sie ansprach. Sie gehörte schon zum Ensemble, das jemanden für die Requisite suchte. "Ich habe einmal zugeguckt und gesagt: Ich mache unter der Bedingung mit, dass ich keinen Fuß auf die Bühne setzen muss", erzählt die Hornerin heute schmunzelnd. Durch sie hatte ihr Sohn Tom Vollbrecht bereits Berührungspunkte zum Ensemble. Als er 2018 angesprochen wurde, weil noch eine Rolle besetzt werden musste, zögerte er nicht lange: "Auswendiglernen liegt mir, ich bin da praktisch reingerutscht."
Vor zwei Jahren hat Pia Pfeng sich ans Herz gefasst und eine Mail an den Verein geschickt. "Auf dem Weg zum Stall komme ich direkt am Theater vorbei und wollte schon lange mitmachen", verrät die Physiotherapeutin und Tierheilpraktikerin für Pferde und Hunde. Prompt wurde sie zur Probe eingeladen. Der Zeitpunkt ihres Einstiegs sei wegen Corona eher ungünstig gewesen, sagt sie. "Aber das Ambiente hat mir gleich gefallen, die Leute waren so offen, da fühlte ich mich sofort integriert."
Abwechslung durch Aufgabenwechsel
Perspektivwechsel ist im Horner Ensemble kein Problem. Als Frank Egles nach einer beruflich herausfordernden Phase wieder zum Theater zurückkehrte, setzte er einen neuen Schwerpunkt: "2018 habe ich zum ersten Mal Regie geführt. 'Die vollkommene Liebe' war mein Erstlingswerk", erzählt der Arster, der mit Heike Weppler-Vollbrecht professionell geleitete Regie-Workshops besucht hat. Die Hornerin ist die Allrounderin im Ensemble. Nach fünf Jahren Requisite wagte sie den Schritt ins Rampenlicht. "1996 hatte ich eine Minirolle als Dienstmädchen", blickt sie zurück. "Da war ich schwanger, da war Tom schon dabei", fügt sie hinzu und zeigt auf das entsprechende Foto an der Wand. Zehn Jahre schlüpfte Heike Weppler-Vollbrecht in verschiedene Rollen, ehe sie 2016 ins Regiefach wechselte. Und seit 2018 hat sie den Vereinsvorsitz inne. "Dieses Projekt mache ich nur Frank zuliebe", sagt sie.
Theater als Taktgeber
In Anbetracht des zeitlichen Aufwands, den die vier Ensemblemitglieder für ihr Hobby betreiben, muss schon Leidenschaft dahinterstecken. Pia Pfeng und Tom Vollbrecht proben seit Januar einmal in der Woche einzelne Szenen, ab April sind zwei knapp dreistündige Probenabende pro Woche geplant und in den Sommermonaten kommen noch zwei, drei ganze Tage hinzu. Ungeachtet der Freizeit, die die Hauptdarsteller fürs Auswendiglernen ihrer Texte aufwenden. Die Inszenierenden investieren noch mehr Stunden, für die Auswahl eines Stückes und Besetzung, die etwaige Anpassung des Textes und Überlegungen zur praktischen Umsetzbarkeit. Als Vereinsvorsitzende sei sie, sagt Heike Weppler-Vollbrecht, oft auch unter der Woche und "am Wochenende immer ein paar Stunden" für das Theater am Deich ehrenamtlich aktiv. "Im Hintergrund muss immer etwas organisiert werden."
Was die Anziehungskraft ausmacht
Einhelliges Fazit: Der Applaus, die Anerkennung des Publikums. "Da steckt ein halbes bis dreiviertel Jahr viel Arbeit drin, und dann so ein Feedback zu bekommen, ist einfach toll", so formuliert es Tom Vollbrecht. Stücke zu lesen und vor dem geistigen Auge umzusetzen, macht den Reiz für Frank Egles aus. "Ich habe viel Freude am Organisieren", erzählt Vereinschefin Heike Weppler-Vollbrecht, "und wir haben so tolle Mitglieder, die das anerkennen." Der 24-jährigen Pia Pfeng als jüngster Neuzugang ist ein anderer Aspekt wichtig: "Ich genieße jede Probe, weil ich einfach abschalten, mich auf etwas Schönes konzentrieren und das weitergeben kann", sagt sie. "Theater kann Menschen so viel geben, dort können alle einen schönen Abend erleben."
Worin die Besonderheit liegt
Dass sie als Debütantin gleich eine Hauptrolle bekommen hat, ist für Pia Pfeng ein Glückslos. Sie lobt die Liebe zu Details. "Das Theater am Deich ist sehr familiär", schwärmt sie. Tom Vollbrecht spricht von der Begeisterung fürs Schauspielern. Ihm sei wichtig, sagt der 25-jährige Chemielaborant, Arbeitskollegen, Freunden und Bekannten einen Zugang zum Theater live aufzuzeigen – in Zeiten starker Konkurrenz durch Neue Medien. "Sie kommen zur Aufführung, um mich in einer anderen Rolle zu sehen und sind vom Theater begeistert." Heike Weppler-Vollbrecht gefällt besonders das Miteinander im Ensemble und Verein. Für jede neue Inszenierung würde die Besetzung aus dem Fundus der 15 bis 20 aktiven Darstellerinnen und Darsteller neu zusammengewürfelt. Und so lange es ihnen möglich sei, könnten auch die ältesten Vereinsmitglieder mitmachen – auf der Bühne oder im Bardienst.