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Bremer Lyriker Warum Autor Michael Augustin mit 70 noch nicht ans Aufhören denkt

Michael Augustin aus der Altstadt verfasst geistreiche Miniaturen, sammelt sprachliche Kuriositäten, war Radiomacher, ist Übersetzer, Journalist und Kinderbuchautor. Ob er mit 70 Jahren ans Aufhören denkt?
21.12.2023, 05:00 Uhr
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Von Matthias Holthaus

An seinem 70. Geburtstag sei er geflüchtet, erzählt Michael Augustin: „Ein zweitägiger, emotionaler Spaziergang mit meiner Frau und meiner Mutter in Lübeck – dort, wo alles losging.“ Und was da im Juni 1953 losging, das kann man getrost als einzigartige Karriere bezeichnen: Denn Michael Augustin schreibt bis heute Gedichte, Prosa, Kurzgeschichten, er verfasst die geistreichen Miniaturen, sammelt sprachliche Kuriositäten, war lange Jahre Radiomacher, ist Übersetzer, Journalist, Gastprofessor und auch Kinderbuchautor.

Aber erst einmal: Lübeck. Dort wuchs er auf, veröffentlichte in jungen Jahren Gedichte auf der Jugendseite der Lübecker Nachrichten und in der Schülerzeitung. Und bereits zu Schulzeiten sei er ein großer Fan von Bob Dylan gewesen. „Ein Junge auf dem Schulhof meinte dann, dass sich Bob Dylan nach dem Dichter Dylan Thomas benannt habe“, erinnert er sich. „Und er sagte: 'Den musst du lesen'. Und da war ich drin in der Materie.“ Dann habe er noch einen Gedichtband von Bertolt Brecht geschenkt bekommen – „so geht das los, dass einen andere Leute dahin führen.“ „Dahin“, das ist die Lyrik. Entweder sie lasse einen kalt oder nicht, sagt Augustin. Er habe dann auch Texte von Donovan und Bob Dylan übersetzt. „Eine wunderbare Art, sich der Lyrik zu nähern.“ Aber um „dahin“ zu kommen, müsse man vor allem und hauptsächlich eines tun: lesen.

Begegnung mit Erich Fried

Im Alter von 16 Jahren ist Augustin nach Kiel gezogen, in einer Buchhandlung habe er da gearbeitet und immer mal wieder Freikarten für Lesungen bekommen. Für Günter Grass etwa, für Peter Handke und für Augustin ganz besonders: für Erich Fried. "Er war der Übersetzer von Dylan Thomas und hat seine ersten Bücher beim Verlag Klaus Wagenbach gemacht. Diese schwarzen Quarthefte waren sehr wichtig für uns", erzählt Augustin. Er habe Fried auch für seine Schülerzeitung interviewt und von ihm eine Einladung nach London erhalten, wo Augustin dann auch wohnte. Und auch Fried schlug ihm Bücher vor, die er lesen sollte. „Ich durfte ihm Gedichte schicken, die kamen dann mit Anmerkungen zurück, das hat mich sehr geprägt.“

Ein Studium schloss sich der Schulzeit an, Anglo-Irische Literatur und Volkskunde in Irland und Kiel, währenddessen war er bereits beim Radio tätig: „Ich habe Spaß daran gefunden, meine Seminare zu verwerten“, erzählt er. Unterschichtenkultur, die Geschichten der kleinen Leute, „das waren die ersten Radiosachen. Damals hatte ich das Glück, mit einem Geschichtensammler in Nordirland unterwegs zu sein, dort habe ich zum ersten Mal mit Mikro und Tonband gearbeitet für meine erste Radiosendung – und dann wurden es zwei Sendungen, dann drei ...“ Er sei immer wieder gefragt worden, ob er etwas anzubieten habe, „und das habe ich mir nicht zweimal sagen lassen.“ Und irgendwann habe Radio Bremen angerufen, „bei ihnen würde eine Stelle frei werden.“

Gedichte, Musik und Miniaturen

Von 1979 bis 2019 ist er dann bei Radio Bremen geblieben, „und dort hatte ich immer die Chance, eigene Sachen zu machen und zu produzieren. Ich hatte wahnsinniges Glück, dass alle meine Chefs das anerkannt haben.“ Dazu gehörte auch das Organisieren des Literaturfestivals „Poetry on the Road“, bis 2018 tat er das. Seine Sendungen im Radio hießen zum Beispiel „Augustins Miniaturen“ und „Fundsachen“. Sie beinhalteten Gedichte, Musik und eben die Miniaturen, „und diese Sendungen zu machen, war mir immer eine große Freude“ – und nicht nur ihm. „Bis heute werde ich darauf angesprochen.“ Er machte Radiofeatures, manchmal dreistündige Sendungen über Heinrich Böll oder auch Gottfried Benn: „Eine irre, aber auch lustvolle Recherche.“

Wie viele Bücher er bisher geschrieben hat, kann er gar nicht so genau sagen: Um die 40 dürften es bislang gewesen sein. Bände mit Gedichten, Miniaturen und Prosa sind natürlich darunter, aber auch kuriose Entdeckungen aus Bremer Zeitungen der Biedermeierzeit. Das Glück, so sagt er, „ist immer noch unglaublich groß, wenn man sein frisch gedrucktes Buch in der Hand hält. Und in letzter Zeit auch viele Kinderbücher.“ Das neueste Buch heißt „Das Aquarium bleibt heute geschlossen“, ist illustriert und erzählt in Versform davon, dass etwa der Butt kaputt, der Zander durcheinander und der Dorsch morsch ist. „Kinderbücher schreiben ist eine völlig neue Erfahrung für mich: Ein Riesenspaß, eine Riesenfreude – Kinder sind zugänglich für Gedichte, sie wollen mitreden und mitraten.“ Mittlerweile habe er eine drei Jahre alte Enkeltochter „und da erfahre ich auch, welchen Spaß sie mit der Sprache hat.“

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Der Spaß mit der Sprache scheint in der Familie verbreitet zu sein: Verheiratet ist er mit Sujata Bhatt, „einer im englischsprachigen Raum sehr bekannten Autorin“, wie er sagt, „wenn man in Großbritannien das Äquivalent des Abiturs macht, dann liest man ihre Gedichte.“ Zu Hause sei die gegenseitige Kritik sehr wichtig, „ich bekomme alles zu lesen, was sie schreibt und umgekehrt. Wir sind unsere schärfsten Kritiker“, doch das genau sei wichtig und hilfreich.

Was wünscht sich der nunmehr 70 Jahre alte Michael Augustin denn noch? „Ich hoffe, dass es so weitergeht“, sagt er. „Was ich gerne mache, sind Lesungen. Ich war mit meiner Frau auf vielen Poesiefestivals in Portugal, Singapur, Irland oder Griechenland. Das ist etwas Großartiges, die Kollegen kennenzulernen.“ An einen endgültigen Ruhestand denkt er indes nicht. „Ich habe das Vergnügen, meine Tage nach eigenem Gutdünken einzuteilen. Und wenn ich ein Gedicht geschrieben habe oder eine Collage, dann ist das für mich wie ein Lebenszeichen – das möchte ich nicht missen.“

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Info

Collagen, Bücher und neue Werke von Michael Augustin sind bis Ende Januar im Rahmen der begehbaren Schaufensterausstellung im Schauraum und Atelier von Krämer Raumkunst, Graf-Moltke-Straße 44, zu sehen.

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