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Neuer Hebammenstudiengang startet im Herbst Von der Bremer Hochschule in den Kreißsaal

Im Herbst beginnt der neue Hebammenstudiengang an der Hochschule Bremen. Vorgesehen sind 40 Plätze pro Jahr. Wie die Ausbildung aussieht, erläutert die neue Leiterin des Studiengangs: Barbara Bäumgärtner.
08.06.2020, 05:00 Uhr
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Von Helke Diers

Die Hebammen gehen an die Hochschule. Im Klinikum Bremerhaven-Reinkenheide startete im vergangenen Jahr der letzte fachschulische Ausbildungsjahrgang – im Herbst beginnt nun das erste Semester für den „Internationalen Studiengang Hebammen.“ Deutschlandweit wurde die Hebammenausbildung an die Hochschulen überführt und damit europäischen Vorgaben angepasst. Die Ausbildungsplätze sollen dadurch aufgestockt werden, bundesweit gibt es einen Mangel an Hebammen. Kliniken in Bremen haben bereits Geburtshelferinnen etwa aus Italien eingestellt.

Für die zukünftige Ausbildung von Hebammen kommt eine Bremerin als Professorin zurück: Barbara Baumgärtner wird den Studiengang an der Hochschule leiten. Die Akademisierung der Hebammenausbildung ist in der EU seit Jahren beschlossene Sache. Seit 2013 wird in einer EU-Richtlinie von den Mitgliedstaaten gefordert, eine zwölfjährige allgemeine Schulbildung für den Hebammenberuf vorauszusetzen. Die Mitgliedstaaten mussten ihre Ausbildungen bis zum 18 Januar 2020 reformieren. Aus einer kleinen Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag ging 2018 hervor: Deutschland ist europäisches Schlusslicht bei der Umsetzung. „Nicht besonders rühmlich“, findet das Baumgärtner.

Vor und nach der Geburt im Einsatz

Baumgärtner ist zurzeit Professorin in Jena, seit 30 Jahren ist sie examinierte Hebamme, hat Lehramt studiert und an der Bremer Uni promoviert. „Eigentlich ist Bremen meine Heimat“, sagt sie. „Ich würde sagen, dass die Tätigkeit der Hebamme schon immer sehr differenziert und komplex war und eigentlich ein Studium erfordert hätte.“ Hebammen betreuen die Schwangeren vor und nach der Geburt, bieten Kurse an und begleiten die Frauen während der Geburt – in der Klinik, im Geburtshaus oder zu Hause. Sie dürfen regelhafte Geburten ohne Arzt oder Ärztin betreuen, umgekehrt ist das nur in Notfällen erlaubt.

Der Studiengang rund um die Geburtshilfe soll dem Berufsbild entsprechend breit aufgestellt werden. „Es geht längst nicht mehr nur um die körperliche und medizinische Ebene. Der Hebammenberuf ist im Querschnittsbereich gesundheitlicher Versorgung und der Ebene des sozialen Miteinanders angesiedelt“, betont Baumgärtner. Einer ihrer Forschungsschwerpunkte ist die Entscheidungsfindung von Schwangeren. In ihrer Arbeit befasst sie sich damit, wie Frauen durch das Gesundheitssystem geführt werden: „Welche Vorstellungen haben die Frauen? Wo kommen diese Vorstellungen her?“, nennt sie als Beispiele.

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Die zukünftigen Hebammen müssen auch kommunikativ und psychologisch ausgebildet sein. „Die Beurteilung des Geburtsverlaufs hängt nicht unbedingt davon, was es an Vorkommnissen gab, sondern auch davon, wie die Frau die Geburt erlebt hat. Ob man ihren Bedürfnissen gerecht geworden ist. Das kann sich auf Zeit, Zuwendung oder Information beziehen“, sagt Baumgärtner. Im Studium könne die erforderliche Tiefe, Reflektion und das wissenschaftliche Arbeiten besser integriert werden. „Das ging in der Ausbildung so nicht“, betont die Professorin.

Die Akademisierung der Ausbildung wird vom Deutschen Hebammenverband (DHV) befürwortet. Heike Schiffling ist Vorsitzende des Verbandes in Bremen und denkt auch an die berufliche Laufbahn ihrer Kolleginnen. „Wir beobachten, dass die Frauen ihren Beruf lange und gerne ausüben. Momentan landen sie aber in einer Bildungssackgasse. Wenn sie sich nach 15 oder 20 Jahren weiterentwickeln wollen, haben sie es recht schwer, weil sie zunächst einen Bachelor nachholen müssen.“ Auch Baumgärtner berichtet von fünf Freundinnen aus ihrer Ausbildungszeit, die sich in ihrer weiteren beruflichen Laufbahn alle für ein nachträgliches Studium entschieden hätten. Diese Hebammen sind dann für die Berufspraxis oft verloren. Eine „erhöhte Verbleibquote“ Barbara Baumgärtner als weitere, mit dem Bachelor-Abschluss verbundene Hoffnung.

Theoretisches und praktisches Studium

Das Studium an der Bremer Hochschule wird acht Semester dauern. Auch ein Auslandsaufenthalt ist für die angehenden Hebammen verpflichtender Bestandteil der neuen Ausbildung. Zunächst wird vorwiegend theoretisch gelernt, dann geht es blockweise in die Berufspraxis – in die Klinken, zu freiberuflichen Hebammen oder in gynäkologische Praxen. Theorie und Praxis sollen sich etwa die Waage halten. Auf dem Stundenplan stehen Module zu anatomischen und physiologischen Grundlagen, beruflichem Selbstverständnis und Wochenbettbetreuung.

Mit der Akademisierung ist auch die Hoffnung verbunden, dem Hebammenmangel entgegenzuwirken. Seit einigen Jahren ist es in Bremen nicht mehr möglich, mit einer Beleghebamme zu entbinden. Das Geburtshaus in Schwachhausen schloss Anfang des Jahres seine Pforten für Geburten, Stellen bleiben in den Kliniken unbesetzt und Kreißsäle werden vorübergehend geschlossen. Durch den neuen Studiengang werden die Ausbildungsplätze mehr als versiebenfacht: Bisher konnten alle drei Jahre 16 neue Hebammenschülerinnen und -schüler in Bremerhaven ausgebildet werden, mit dem neuen Studium stehen nach Angaben der Hochschule 40 Plätze jährlich zur Verfügung.

Die 29-jährige Carolin Aust möchte sich für das Studium an der Hochschule bewerben und sagt: „Mit der Akademisierung schwingt die Hoffnung mit, dass der Beruf endlich Anerkennung bekommt. Für die Hebammen, die unter diesen schwierigen Bedingungen ihren Beruf mit so viel Leidenschaft ausüben.“

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Auch Baumgärtner denkt an ein verbessertes Ansehen der Kolleginnen. „Man hat eine andere Wahrnehmung, ein anderes Standing“, betont sie. Auch auf die Bezahlung der Hebammen könnte sich der Bachelor-Abschluss auswirken. „Da gibt es durchaus noch Spielraum.“ Der DHV gibt das Bruttoeinstiegsgehalt einer Klinikhebamme für 2018 mit knapp 2800 Euro brutto ohne Zuschläge an. An Begeisterung für ihren zukünftigen Beruf fehlt es den Bewerberinnen nicht. Aust schwärmt über ihre Faszination für die Geburt: „Wenn auf einmal ein neuer Mensch im Raum ist, das ist für die Familien ein ganz besonderes Erlebnis. Dies zu begleiten, ist eine wundervolle Aufgabe.“

Wegen der Corona-Pandemie startet das Bewerbungsverfahren an der Hochschule am 1. Juli und endet am 20. August. Die Vorlesungen beginnen nach Hochschulangaben am 2. November.

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