Kann jemand dafür verurteilt werden, wenn er sich gegen eine Polizeimaßnahme wehrt, die nicht rechtmäßig ist? Diese Frage warf am Montag im Landgericht der Verteidiger eines Mannes auf, der wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und gefährlicher Körperverletzung angeklagt ist.
Die Antwort des Anwalts: Nein, kann er nicht. Alles, was seinem Mandanten zur Last gelegt wurde, habe sich aus dem falschen Handeln der Polizei ergeben. „Unter dem Strich ist ihm gar nichts vorzuwerfen. Er ist deshalb freizusprechen.“
Der Angeklagte ist einer der drei Männer, die im Juli 2017 in Bremerhaven bei einer Personenüberprüfung wegen einer Ordnungswidrigkeit im Straßenverkehr die beteiligten Polizisten attackiert haben sollen. Die Rede war von Faustschlägen, Tritten und einem Flaschenwurf. Die Polizisten erlitten dabei Prellungen, Schürf- und Kratzwunden. Außerdem soll einer der Angeklagten Pfefferspray eingesetzt haben.
Handyaufnahmen untersagt
Mehr als zwei Jahre nach Prozessbeginn steht das Verfahren nun vor dem Abschluss, am Montag plädierte der erste Verteidiger. Ein Teil der Vorwürfe gegen dessen Mandanten hatte sich bereits im Laufe der Verhandlung erledigt. Ursprünglich war er verdächtigt worden, mit einem Zimmermannshammer gedroht zu haben; doch ein von der Verteidigung vorgelegtes Handyvideo belegte, dass das nicht stimmt. Weshalb auch die Staatsanwaltschaft zu diesem Tatkomplex auf Freispruch plädierte. Aus Sicht der Anklagebehörde reichten aber auch die Widerstandshandlungen und dazu Beleidigungen für ein Jahr und vier Monate auf Bewährung.
Das müsse man rechtlich anders einordnen, forderte der Verteidiger. Schließlich habe sich sein Mandant nur eingemischt, weil seiner Schwester von einem Polizisten das Filmen der Kontrolle mit einer Handykamera untersagt worden war. Diese Aufnahmen seien jedoch vollkommen rechtmäßig gewesen, der Polizist hätte sie nicht daran hindern dürfen. So gesehen, habe es sich um einen „rechtswidrigen Angriff“ auf die Schwester des Angeklagten gehandelt. Wenn aber die Diensthandlung des Polizisten nicht rechtmäßig gewesen sei, müsse das Einschreiten seines Mandanten dagegen als „zulässige Nothilfe“ gewertet werden, argumentierte der Anwalt. Und nur deshalb habe dieser anschließend auch gegen weitere Maßnahmen der Polizei Widerstand geleistet. Gemeint war damit die Gegenwehr des Mannes, als die Polizisten versuchten, ihn zu Boden zu bringen.
Ob das Gericht dieser Argumentation folgt, bleibt abzuwarten. Am nächsten Verhandlungstag, dem 23. Oktober, stehen zunächst die Plädoyers der Anwälte der beiden anderen Angeklagten auf dem Programm. Hier hatte die Staatsanwaltschaft auf Haftstrafen zwischen zwei und drei Jahren ohne Bewährung plädiert.
Damit nähert sich ein Prozess dem Ende, der von Anfang an unter keinem guten Stern stand. Zunächst brauchte die Justiz zu lange, um einen Verhandlungstermin zu finden. Die Angeklagten klagten sich deshalb mit Erfolg aus der Untersuchungshaft. Im September 2018 wurde der Prozess dann gegen vier Brüder und ihre Schwester eröffnet, musste nach 13 Verhandlungstagen aber im März 2019 abgebrochen werden – wegen des Verdachts der Befangenheit gegen einen der Schöffen. Er soll einige der vor Gericht als Zeugen aussagenden Polizisten persönlich gekannt und außerdem nicht öffentliche Details zu dem Verfahren in seiner Nachbarschaft ausgeplaudert haben.
Interna ausgeplaudert
Im Januar 2020 startete der Prozess deshalb mit neuen Schöffen noch einmal von vorne. Auf der Anklagebank saß da allerdings nur noch ein Trio. Das Verfahren gegen die mitangeklagte Schwester wurde eingestellt, verbunden mit der Auflage, 150 Arbeitsstunden abzuleisten. Ebenfalls eingestellt wurde das Verfahren gegen einen der Brüder. Eine mögliche Strafe in Bremen wäre angesichts einer anderen Verurteilung vor dem Landgericht Stade nicht ins Gewicht gefallen: Dort war er im November 2019 als Kopf einer Einbrecherbande zu neun Jahren und einem Monat Gefängnis verurteilt worden.