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Ukrainische Kinder in Bremen Die Angst für ein paar Momente vergessen

Bremen empfängt ukrainische Teenager: ein Erholungsurlaub, der den Schrecken des Krieges für einen Moment vergessen lässt.
26.07.2024, 05:00 Uhr
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Von Anke Velten

Wie glücklich man sich schätzen kann, an einem friedlichen Ort zu leben: Diese junge Touristengruppe kann davon erzählen. 18 Jugendliche aus der Ukraine machen zurzeit in Bremen Urlaub vom Krieg. Mehr als 2000 Kilometer Distanz zur Heimat reichen zwar nicht, um den Schrecken völlig hinter sich zu lassen. Doch sie sind zumindest eine Chance, um kurz aufzuatmen und Kraft zu schöpfen.

Die Teenager im Alter zwischen 14 und 16 Jahren stammen aus Yuzhny, das „Juschnie“ ausgesprochen wird, erklärt Kateryna Solopova aus der Senatskanzlei, die die Gespräche übersetzen kann. Yuzhny ist eine Kleinstadt am Schwarzen Meer in der Region Odessa. Das Sirenengeheul bei Bombenalarm kennen alle der jungen Bremen-Besucher und auch die Angst – oder die Trauer – um die Väter, Onkel, großen Brüder, die in den Krieg ziehen mussten. „Unter ihnen ist keiner, dessen Vater nicht zurzeit an der Front, vermisst, gefallen oder schwer verwundet ist“, sagt Solopova. Zwei Tage hatte die Anreise gedauert, mit Zug und Bus

Wie es ihnen in Bremen gefällt? Die Jugendlichen sprudeln über vor Begeisterung, schwärmen von der prächtigen historischen Architektur, den spannenden Museen. Die Organisatoren hatten den knapp zweiwöchigen Aufenthalt mit Programm vollgepackt: Schloss Schönebeck wurde besichtigt, das Weserstadion, Klimahaus und Universum. Die Menschen seien so freundlich, findet die 15-jährige Sonia. Sogar der Bürgermeister habe die Gruppe im Rathaus empfangen, erzählt Karina. „Das haben wir nicht erwartet“, sagt sie, und auch nicht, dass ein Bürgermeister so locker und witzig sein könne. Lilia freut sich, dass sie die Stadtmusikanten gesehen hat. „Die kenne ich schon aus meiner Kindheit“, sagt die 14-Jährige.

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Mit der Frage, wie es denn Zuhause so sei, fließen schnell die ersten Tränen. Der Vater, der bis dahin im Hafen von Yuzhny gearbeitet hatte, wurde gleich zu Beginn des Krieges eingezogen, berichtet Karina. Das letzte Lebenszeichen kam von der Front bei Donezk, seit einem Jahr habe die Familie nichts mehr von ihm gehört. „Ich vermisse ihn so sehr“, sagt das 14-jährige Mädchen. „In unserer Stadt ist es relativ ruhig“, erzählt Sonia. Aber die ständigen Luftalarme und Stromausfälle, „die machen müde.“ Lilias Vater ist zurzeit in der Gegend von Kherson stationiert. Mehr möchte sie dazu nicht sagen. „Es fällt mir schwer“, sagt die 14-Jährige. Auch Maxims Vater ist seit mehr als zwei Jahren im Krieg.

Der Krieg ist für uns alle schwer und erschreckend.
Ivan, 16 Jahre

Seither sehe er ihn nur, wenn er alle ein, zwei Monate ein paar Tage Heimaturlaub habe. Die Familie versuche dennoch, ihr Leben zu leben, erzählt der 15-Jährige und versucht, nüchtern zu klingen, den Blick durch die coole Sonnenbrille auf einen fernen Punkt konzentriert. „Der Krieg ist für uns alle schwer und erschreckend“, sagt Ivan, 16 Jahre. Der Vater sei seit neun Monaten vermisst. Schwer sei es auch, die Angst und Verzweiflung der Mutter mit anzusehen. Es sei schön, ein paar Momente auf andere Gedanken zu kommen. „Aber richtig vergessen kann man das nicht.“

Das Land Bremen ist im Juni 2023 eine Partnerschaft mit der Region Odessa eingegangen, sagt Kateryna Solopova, die die Verbindung in der Senatskanzlei koordiniert. Der Besuch der 18 Jugendlichen war das erste Angebot seiner Art. „Er wäre nicht möglich gewesen ohne die Hilfsbereitschaft zahlreicher Sponsoren“, sagt sie, von großen Stiftungen bis zu kleinen Vereinen, Unternehmen und Privatleuten.

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Eine zentrale Rolle spielte das Team von „Europe Prykhystok“, das den Transfer arrangierte. Das humanitäre Netzwerk, gegründet im April 2022 von einer Gruppe junger Leute, organisiert mit Partnern in Europa kurze Erholungsreisen für ukrainische Kinder und Jugendliche – „Atempausen“ genannt. Es seien Abertausende an Kindern und Jugendlichen, die eigentlich eine solche Atempause benötigten, sagt Solopova. „Darum wäre es unser großer Wunsch, dass wir dieses Angebot langfristig durchführen können.“ Einige der großzügigsten Spender – darunter die Stiftung Chancen für Kinder und die Wirtschaftskanzlei BBG und Partner – hätten bereits ihre Unterstützung signalisiert.

In Bremen wurden die jungen Gäste von Ehrenamtlichen des Deutsch-Ukrainischen Kulturvereins Unity Center UA betreut. Klar war: Die traumatisierten Teenager, die in einem Gästehaus der Stiftung Friedehorst in Lesum untergebracht sind, sollten mehr als ein abwechslungsreiches touristisches Besichtigungsprogramm bekommen. Musiktherapeutische Angebote, Yoga-Workshops, Spaziergänge in der Natur und Sporteinheiten sollen ihnen dabei helfen, „emotional zu heilen und Resilienz aufzubauen“, sagt Yuliia Tsomyk, Referentin des Kulturvereins.

Am Sonnabend beginnt die lange Rückreise. Davor gilt es, jede Sekunde zu genießen. Karina hat die Tränen getrocknet. Nun geht es weiter, um im Schnoor nach einem kleinen Souvenir Ausschau zu halten, „etwas Besonderes, das es nur hier gibt“, erklärt sie. Lilia wird auf die Suche gehen nach einem Bremer Schlüsselanhänger für ihre Sammlung. Maxim ist nicht nach Einkaufen zumute. „Ich brauche nichts“, erklärt der 15-Jährige. „Aber ich wür

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