Die Tage, an denen die Akten von Gerichtsverfahren meterweise Regalfläche in Anspruch nahmen, sind gezählt. Ab 2026 ist die elektronische Akte für Justitia gesetzlich vorgeschrieben. Mit der Umstellung von drei der zwölf Kammern des Arbeitsgerichts auf die E-Akte hat Bremen auf diesem Weg jetzt die nächste Etappe in Angriff genommen. Den Auftakt machte im vergangenen Jahr das Verwaltungsgericht. Dort wird bereits seit Oktober mit der elektronischen Aktenführung gearbeitet.
Die Umstellung auf die E-Akte bedeutet den Aufbau eines kompletten elektronischen Workflows, erklärt Stephan Jacobs. Er begleitet den Wechsel als zuständiger Abteilungsleiter des Justizressorts. Die eingehende und ausgehende Post sowie alle vom Gericht erstellten Dokumente werden in einem elektronischen Aktensystem abgelegt. Elektronisch eingehenden Schriftsätze werden mit einer speziellen Postverteilungskomponente automatisiert dem Gericht oder sogar direkt der Akte zugeordnet. „Das System erstellt dann eine Nachricht für den zuständigen Bearbeiter, dem die E-Akte mit dem Schriftsatz vorgelegt wird.“
Zentrale Scanstelle
Da natürlich weiterhin auch Dokumente auf Papier bei den Gerichten eingehen werden, kommt der zentralen Scanstelle im Justizzentrum am Wall in diesem Prozess eine besondere Bedeutung zu. Hier werden diese Unterlagen eingescannt und dann ebenfalls direkt der E-Akte zugeordnet.
„Damit fallen zahlreiche Postverteilungsschritte weg“, sagt Jacobs. „Akten müssen nicht mehr in Regalen gesucht und vorgelegt werden. Und mehrere Mitarbeiter können zeitgleich in einer Akte arbeiten.“ Vereinfachte und schnellere Akteneinsicht und die Möglichkeit, Originaldokumente an alle Verfahrensbeteiligten zu versenden, seien weitere Vorteile des neuen Systems. Und man stehe, was das Potenzial der E-Akte angehe, ja erst am Anfang, so Jacobs. Neue Tools und Features würden die Bearbeitung von elektronischen Akten weiter vereinfachen. Effizienzgewinne, und damit eine Verbesserung des Services für Bürger und professionelle Kunden der Justiz, sind erklärte Ziele bei der Umstellung auf die E-Akte.
Die Systeme werden pro Gericht entwickelt. Dafür liefern die Mitarbeiter der IT-Behörde im Justizressort dem Dienstleister Dataport zunächst Beschreibungen, wie er diese Systeme aufzubauen hat. Anschließend werden sie in einem „Arbeitsplatzlabor“ von einem Projektteam aus dem jeweiligen Gericht getestet, das aus den IT-Experten und Vertretern aus den verschiedenen Bereichen des Gerichts besteht, wie Richter, Rechtspfleger und Servicemitarbeiter.
In Bremen wurde eigens dafür ein „eJustice-Schulungsraum“ eingerichtet, berichtet Projektgruppenleiterin Julia Rahmöller. Seit Oktober 2019 wurde das Team aus Mitarbeitern der drei „Pilotkammern“ des Arbeitsgerichts einmal die Woche in die Welt der E-Akte eingeführt, vormittags die Serviceeinheiten, nachmittags die Richter. Die unterschiedlichen anstehenden Arbeitsschritte waren abzuarbeiten (Technik, Organisation, Schulung, Scanstelle). Und es war zu prüfen, wo im System nachjustiert werden musste. Nicht nur auf technischer Ebene, sondern ebenso auf der organisatorischen und der rechtlichen.
Umstellung der übrigen Kammern soll schnell erfolgen
Nicht zuletzt galt es aber auch, Unsicherheiten und Ängste abzubauen, betont Rahmöller. Was nach ihrer Erfahrung am besten funktioniert, wenn die Mitarbeiter das System möglichst eng am eigenen Arbeitsalltag orientiert ausprobieren können. „Welche Probleme können auf mich zukommen? Wie gehe ich damit um?“ Basierend auf den auf diese Weise gewonnenen Erkenntnissen soll die Umstellung der verbliebenen neun Kammern des Arbeitsgerichts nun zügig vonstatten gehen und in spätestens zwei Monaten abgeschlossen sein.
Eigentlicher Vorreiter bei der E-Akte innerhalb Bremens Justiz war allerdings das Verwaltungsgericht. Hier wurde schon im Herbst 2019 umgestellt und damit Pionierarbeit geleistet, die nun den anderen Gerichten zugutekomme, sagt Stephan Jacobs. Anders als jetzt das Arbeitsgericht hat das Verwaltungsgericht sogar komplett umgestellt. Soll heißen: Nicht nur für die neuen Verfahren wurden elektronische Akten angelegt, auch der gesamte Altbestand wurde eingescannt.
Beim Arbeitsgericht wird dagegen seit dem Stichtag 20. April nur bei den neu eingehenden Verfahren vollständig elektronisch gearbeitet. Die älteren Verfahren werden weiterhin in Papierform geführt. Wegen der oft sehr kurzen Verfahren sei dies machbar, erläutert Jacobs. Durchschnittlich vier Monate dauert ein Verfahren am Arbeitsgericht. Deshalb sollen hier trotzdem in absehbarer Zeit fast alle laufenden Verfahren elektronisch geführt sein. „Und wenn ein Verfahren dann doch länger dauert, kann das ja auch nachträglich noch eingescannt werden.“ Letztlich muss jedes Gericht für sich entscheiden, ob der Aufwand lohnt, auch Altfälle noch einzuscannen. Nur der generelle Fahrplan ist festgelegt, betont Stephan Jacobs. „Bis zum 1. Januar 2026 muss der Prozess im Prinzip an allen Gerichten abgeschlossen sein.“
Nach den Arbeitsgerichten folgen das Sozial- und das Finanzgericht, Ende 2021 sollen alle Fachgerichte in Bremen umgestellt sein, skizziert Julia Rahmöller den weiteren Fahrplan des Justizressorts. Als letztes folgt die ordentliche Gerichtsbarkeit, also Amtsgerichte, Landgericht und Oberlandesgericht. Hier sei die Umstellung komplexer und die Bremer Justiz zudem auf Zulieferungen aus anderen Bundesländern angewiesen, erläutert Jacobs. Trotzdem ist auch hier geplant, noch in diesem Jahr bei den Zivilsachen mit der Pilotphase zu beginnen.
Sicherheit und Datenschutz
Um bei der Umstellung der Gerichte auf die elektronischen Akte den Datenschutz zu gewährleisten, wird für jede Abteilung eine eigene Datenbank eingerichtet, erklärt Stephan Jacobs, Abteilungsleiter in der Justizbehörde. Zugriff auf die Aktendaten hätten dann nur die Mitarbeiter aus der jeweiligen Abteilung, die für die Bearbeitung zuständig sind. „Und die Berechtigung für den Aktenzugriff läuft immer über unsere IT-Stelle.“
Die Gefahr, dass künftig komplette Gerichtsakten durch ihre elektronisch komprimierte Form leichter in die falschen Hände geraten könnten, sieht Jacobs nicht. Im Gegenteil: Bislang stünden die Akten in den Geschäftszimmern. „Und bei Papieren kann niemand sehen, ob sie kopiert wurden.“ Bei der E-Akte sei dagegen jeder Zugriff im Nachhinein nachvollziehbar.
Auch bei besonders sensiblen Dokumenten, wie etwa bei Urteilen oder Beschlüssen, werde die E-Akte für mehr Sicherheit sorgen. Für seine Unterschrift hat jeder Richter eine Signaturkarte mit dazugehöriger PIN, vergleichbar mit einer EC-Karte, erläutert Jacobs das Verfahren. Dazu gibt es künftig an jedem Arbeitsplatz ein Lesegerät. Hat ein Richter ein Urteil geschrieben und schließt die Datei, landet sie automatisch in der E-Akte. Die wiederum schiebt er in eine Signaturmappe. Sobald er dann seine PIN eingibt, erstellt und speichert der PC eine Signaturdatei.
Praktischer Vorteil dabei: Richter brauchen nicht mehr reihenweise Unterschriften zu leisten. Sie können beliebig viele Dokumente in die Signaturmappe schieben und dann unter einmaliger Eingabe der PIN gesammelt unterschreiben. Praktischer Nachteil: Nachträglich darf an dem Dokument nichts mehr geändert werden. Ändert etwa ein anderer Richter derselben Kammer, der das Urteil ebenfalls unterzeichnen muss, etwas in dem Dokument und sei es nur die Korrektur eines Tippfehlers, würde dies sofort die Signatur des Kollegen zerstören. Der Signaturvorgang müsste von vorne beginnen. „Auch hier also mehr Sicherheit“, betont Stephan Jacobs. „Es gibt sogar Prüfprogramme, mit denen gecheckt werden kann, ob und wo etwas an dem Original eines elektronischen Urteils verändert wurde.“