Eigentlich konnte sich Regina Wehmeyer immer sicher sein, dass das Gärtnern ihre Laune hebt. Wenn sie die Hände in die Erde steckt und beobachtet, wie langsam alles wächst und gedeiht, was sie dort angepflanzt hat, dann waren Alltagssorgen schnell vergessen. Doch schon seit einiger Zeit ist das anders geworden. "Ich bereite mich mental darauf vor, dass mich unschöne Dinge erwarten könnten, und versuche, mich davon nicht runterziehen zu lassen", sagt die Rentnerin. Das funktioniere mal besser, mal schlechter.
Wehmeyer gehört zu den Gärtnerinnen und Gärtnern des Lucie-Flechtmann-Platzes, einem Stadtgarten in der Neustadt, der in diesem Jahr zehnjähriges Bestehen feierte. Dahinter steckt der Verein "Kulturpflanzen", der sich um den Gemeinschaftsgarten und die "Klimawerkstadt" auf der anderen Straßenseite kümmert. Gerade erst ist im vorderen Bereich eine neue Hügellandschaft fertiggestellt worden mit verschiedenen Mikroklimazonen und neuer Bepflanzung – gefördert von der Umweltbehörde. Dahinter erstrecken sich Hochbeete, Pflanzenkisten und Sitzgelegenheiten, die die Freiwilligen in den vergangenen Jahren liebevoll gepflanzt und gepflegt haben.
Doch daran erfreuen kann sich bei den Vereinsvertretern aktuell niemand so richtig. Sie sehen ihren Garten wegen der wachsenden Drogenszene auf dem Platz in Gefahr und haben sich deshalb mit einem Brandbrief an die zuständigen Bremer Behörden gewandt.
An diesem Vormittag in der Mitte der Woche halten sich etwa 30 Personen auf dem Platz auf. "Heute ist es eher ruhig", sagt Heike Dietzmann von der Klimawerkstatt. Bis zu 100 Personen waren zuletzt täglich da, viele davon aus der Crackszene, die in Bremen für den meisten Ärger sorgt. Erst Mitte Juli gerieten mehrere Männer aneinander, auch Schlagstöcke und Messer sollen eingesetzt worden sein. Einige der Beteiligten wurden dabei laut Polizei verletzt. Auch an diesem Tag schaut eine Streife der Polizei routinemäßig vorbei.
Ein Container im vorderen Bereich des Platzes flankiert den Szenetreff, der bereits von Anfang an zum Platz dazugehörte. Streetworker der Inneren Mission sind hier mehrmals in der Woche vor Ort und bieten Unterstützung an. Schon in der Vergangenheit habe es immer mal wieder kleinere Konflikte zwischen dem Trinkertreff und den Stadtgärtnern gegeben. "Das muss man auch nicht romantisieren", sagt Dietzmanns Kollegin Marie Hornbach. "Das hatte aber längst nicht solche Ausmaße und konnte meist schnell geklärt werden."
Konsumiert wird praktisch rund um die Uhr. In dem kleinen Container sitzt ein Mann und hantiert mit Alufolie herum. Kurz darauf steckt er sich eine Crackpfeife an. Zwei Frauen haben sich ein paar Meter weiter einen Rückzugsort im Garten gesucht. Am Wochenende erst haben die Vereinsmitglieder die Beete und die Fläche drum herum aufgeräumt. "Wir finden regelmäßig benutztes Drogenbesteck darin", sagt Dietzmann. Auch jetzt, wenige Tage später, lassen sich in einigen Beeten bereits wieder die ersten Hinterlassenschaften finden.
Streetworker: "Viele fühlen sich nirgends mehr willkommen"
Christian Claus arbeitet seit mehreren Jahren als Streetworker für die Innere Mission vor Ort. Claus gibt zu, dass sich sein Job in den vergangenen Jahren verändert hat. Die eigentliche soziale Arbeit sei schwieriger geworden. Gerade hat er selbst einen Müllbeutel gegriffen, um eine Runde über den gesamten Platz zu drehen. Hin und wieder würden auch Vertreter der Szene dabei helfen. Mit den verstärkten Maßnahmen am Hauptbahnhof würde ein Teil der Süchtigen nun hier ihre Zeit verbringen. "Menschen aus der Crackszene zu erreichen, ist nicht leicht", sagt er. "Viele von ihnen fühlen sich zudem nirgends mehr willkommen, das ist ein Problem."
Die aktuellen Entwicklungen haben jedoch auch Auswirkungen auf die Menschen, die den Szenetreff vor Ort schon lange als ihre Anlaufstelle sehen. Auf einer Bank am Rande des Platzes sitzt ein Mann mittleren Alters mit einer Flasche Bier in der Hand. Er sei schon hergekommen, lange bevor das Gartenprojekt der Lucie-Leute begonnen hat. "Ich wohne nur zwei Straßen weiter und habe mich hier bereits vor 20 Jahren mit anderen getroffen, um etwas zu trinken und zu schnacken", sagt er.
Die Stimmung habe sich in den vergangenen Monaten auch für ihn verändert. Sie sei deutlich aggressiver geworden. "Das ist kein schönes Gefühl, ich bin nicht mehr oft hier", sagt er. Er sei immer gerne gekommen, weil er auf dem Platz die verschiedensten Menschen getroffen hätte. "Ich fand es schön, wenn Schulklassen hier etwas gelernt haben. Aber das kann man aktuell keinem zumuten", sagt er.